#121 - Meine Erfahrungen mit der neurologischen Reha
In Folge #121 berichte ich Dir von meinen Erfahrungen mit der Reha.
Wie kam es überhaupt dazu? Wie läuft so eine Rehabilitation ab?
Welche Behandlungsbausteine gehören dazu? Und was konnte ich
anschließend für mich selber mitnehmen. Meine...
41 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
In Folge #121 berichte ich Dir von meinen Erfahrungen mit der
Reha. Wie kam es überhaupt dazu? Wie läuft so eine Rehabilitation
ab? Welche Behandlungsbausteine gehören dazu? Und was konnte ich
anschließend für mich selber mitnehmen. Meine Eindrücke und
Erfahrungen sind selbstverständlich subjektiv. Es würde mich
freuen. wenn sie Dir dennoch ein Gefühl dafür geben, was Dich
erwartet, was möglich ist und wo die Grenzen liegen.
Ich war in einer Einrichtung mit dem Schwerpunkt Neurologie, aber
keiner komplett auf Multiple Sklerose ausgerichteten Klinik. Je
nachdem, wie Deine Ansprüche sind und was Du benötigst, solltest
Du Dich im Voraus informieren. Generell gilt ambulant vor
stationär. Also die deutsche Rentenversicherung bevorzugt
ambulante Behandlungen vor stationären Aufenthalten.
Zum Hintergrund
Warum ich überhaupt zur Reha wollte?
Im Sommer 2004 erhielt ich die Diagnose Multiple
Sklerose. Ein Jahr nach der Sehnerventzündung,
bei der zunächst ein klinisch isoliertes Syndrom
(KIS oder CIS) festgestellt wurde.
Letzten Sommer ging es mir nicht so gut. Ich
hatte mit ständigen Schmerzen in den Händen und
Füßen zu tun und Probleme mit dem Schlafen
außerdem eine Menge negative Emotionen.
Auslöser war sicherlich ein komplexes
Zusammenspiel an Ursachen. Ich hatte mit dem
Multiple Sklerose Podcast ein gutes Jahr vorher
begonnen. Da mir das Thema extrem am Herzen liegt
und ich Dir und anderen Mut machen will, hatte
ich meine Erfahrungen zu den ersten 15 Jahren mit
MS als Autobiografie
veröffentlicht und eine Webseite
samt Blog ins Leben gerufen. Das alles kostete
Zeit, die ich abends und am Wochenende
investierte.
Meine Tochter war aufgrund der Corona-Pandemie
teils in Betreuung, teils nicht, weil wir keine
systemrelevanten Berufe hatten. Bis Februar 2021
lebten wir in einer schönen Zweiraumwohnung in
Berlin-Charlottenburg, die zu dritt mit Home
Office und oft ohne Kinderbetreuung zu klein war.
Keine oder kaum liebe Menschen treffen, trotzdem
funktionieren und die Auswirkungen der ganzen
Situation möglichst von unserer Tochter
fernhalten, das ging an die Substanz.
Das Stresslevel steigt
Mein Wiedereinstieg in den Job lief nicht so
entspannt ab wie gewünscht. Ich hatte mich
wirklich darauf gefreut. Aber meine Tochter ging
nicht gern zu den Tagesmüttern, trotz langer
Eingewöhnung. Mein neues Arbeitsgebiet umfasste
zur Hälfte ein Themengebiet, mit sehr
spezifischem technischem Wissen, dass ich mir
erarbeiten musste und einer sehr großen
Bandbreite an Aufgaben. Die Kollegen hatten
eigentlich keine Zeit für die Themen, die wir
zusammen bearbeiten sollten, da der Druck von
oben auf anderen Dingen lag und ich mittlerweile
zwei Chefs, statt nur einem. So häuften sich die
Frustrationen.
Im März zogen wir dann an die Nordsee um, in die
Heimatstadt meines Mannes. Hier lief es zumindest
mit der Tagesmutter um einiges besser und ein
Kitaplatz war ab August garantiert. Der Stress
auf Arbeit spitzte sich zu und es ging mir
wirklich schlecht.
Ich sah auch keine Perspektive mehr für mich.
Gute Konditionen und ein vermeintlich sicherer
Arbeitsplatz sind eine Sache, aber die Arbeit
wirkte sich negativ auf meine Gesundheit und die
MS aus.
Neuer Fokus
Alles rund um das Thema Multiple Sklerose machte
mir aber weiter viel Spaß und ich wollte auf
keinen Fall den Podcast aufgeben. Im Gegenteil,
ich wollte zukünftig noch mehr Zeit investieren,
den ich merkte, dass ich so andere Menschen auf
ihrem Weg unterstützen konnte besser mit der MS
zu leben.
Meine Hausärztin empfahl mir dringend eine Kur,
damit ich die Abwärtsspirale stoppen und ich
endlich wieder zum inneren Gleichgewicht
zurückfinden konnte. Es fiel mir schwer, mich
darauf einzulassen. Ich bin es gewohnt, die Zähne
zusammenzubeißen und durchzuhalten, aber das war
keine gute Idee. Aufgrund der MS-Symptome
beantragte ich letztendlich die Reha und mein
Neurologe füllte die benötigten Unterlagen aus.
Doch erneut machte Corona das Leben schwer. Denn
ein Kind zur Neurologischen Reha mitzunehmen, war
nur noch an wenigen Stellen erlaubt und dann auch
erst für Kinder ab 3 Jahren. Also musste ich bis
Anfang Januar warten und dann ging es ab nach
Nordhessen. Alle anderen Einrichtungen, die näher
lagen, erlaubten entweder gar keine Kinder oder
nicht unter Corona-Bedingungen.
Mittlerweile hatte ich mein inneres Gleichgewicht
größtenteils wiedererlangt und mich dazu
entschieden meinen beruflichen Weg als
Patientenexpertin zu gehen. Das bedeutet, dass
ich mich einerseits für die Belange von Menschen
mit MS einsetze und andererseits das stetig
wachsende Wissen leicht verständlich weitergebe.
Damit Du und möglichst viele andere ein schönes
Leben mit MS führen können. Denn das ist
heutzutage möglich.
Trotzdem haben 17,5 Jahre mit MS auch bei mir
Spuren hinterlassen. Die Reha sollte eine
bewusste Auszeit der Entspannung, Erholung und
körperlichen Regeneration werden.
Die Kur beginnt
Am Montag, den 3. Januar reisten meine Tochter
und ich mit dem Zug an. Zwei große Koffer waren
bereits ein paar Tage vorher abgeholt und
transportiert wurden. So mussten wir nur mit
leichtem Handgepäck fahren, was sehr angenehm
war.
Aufgrund einer Verspätung verpassten wir den
letzten Anschluss und kamen erst nach dem
Mittagessen an. Das Zimmer war angenehm groß und
vom Balkon konnten wir die Weser sehen.
Es gab erste kleine Checks und
Einführungsgespräche, damit mein Zustand
festgestellt werden konnte, um mein
Behandlungsprogramm zu optimieren. Beim
Abendessen waren nur sehr wenige Menschen im
großen Speisesaal. Ich sah nur Menschen mit
Geheinschränkungen und alle waren mehrere
Jahrzehnte älter.
Das war zunächst ein Schock.
Am nächsten Tag standen noch ein paar mehr
Erstaufnahmen an, unter anderem der Termin mit
meiner Physiotherapeutin von der Krankengymnastik
und eine Blutabnahme.
Und zum Glück sahen wir drei Mütter mit
Kitakindern, die auf ihre Aufnahme warteten. Ich
war sehr erleichtert.
Kinderbetreuung vor Ort
Im Gebäudekomplex gab es eine Kinderstube samt
Erzieher und ganz viel Spielzeug und Büchern. Es
war so gedacht, dass man die Kinder nach dem
Frühstück dorthin brachte oder sie alternativ zur
Schule gefahren wurden, zum Mittagessen abholte
und dann weiter bis 16:30 Uhr betreuen lassen
konnte.
Soweit so gut. Tolles Angebot. Leider wollte
meine Tochter partout nicht dortbleiben und
weinte und brüllte das halbe Gebäude zusammen,
sodass ich sie nach zwei erfolglosen Versuchen
immer bei mir behielt. Die anderen Mädchen waren
knapp zwei Jahre älter und der Unterschied ist
enorm in dem Alter. Nun ja, meine Tochter war
superlieb und ruhig und störte meine Anwendungen
nicht. Sie war einfach froh, bei mir bleiben zu
dürfen. Somit hatte ich allerdings keine Zeit für
mich, wie gehofft. Nur als meine Eltern zu Besuch
kamen und mein Mann uns abholte, gab es kurze
Phasen des Alleinseins. Aber das ist alles eine
Typsache und jedes Kind reagiert in der Situation
anders.
Meine Tochter und ich beim MTT - hier
Rumpfstabilisierung. Sie blieb lieber bei mir, als in
die Kinderbetreuung vor Ort zu gehen.
Tagesplanung bei der Reha
Krankengymnastik und Wassergymnastik (Physiotherapie)
Generell bestand mein Tag aus mehreren
Anwendungen. Es gab Krankengymnastik
/ Physiotherapie, wo ich
Übungen für meine Probleme gezeigt bekam –
generelle Stärkung, Gleichgewicht und Beckenboden
– und gleich ein erstes Mal durchführte.
Alle Übungen waren eher sportlich ausgerichtet,
inklusive Dehnung und dem Weichmachen der
Faszien, dem Bindegewebe, das Muskeln und Organe
umhüllt und möglichst weich und geschmeidig
bleiben oder wieder werden soll.
Ich erhielt einige Anwendungen im Wasser, wo ich
ebenfalls von einer Physiotherapeutin angeleitet
wurde.
Ergotherapie
Bei
der Ergotherapie lag
der Fokus auf dem Gleichgewicht und der
Sensibilisierung meiner Hände. Hier empfand ich
das greifen in einem Bad aus warmen Rapskörnern
besonders angenehm.
Das Paraffinbad war auch richtig toll, bei dem
meine Hände mit mehreren Schichten flüssigem
Paraffin überzogen wurden. Das wärmte herrlich
durch bis in die Tiefe meiner Hände.
Und die Gleichgewichtsübungen auf dem
Balanceboard waren anspruchsvoll, aber machten
Spaß und dadurch war der Trainingseffekt gewiss
noch etwas gesteigert.
Medizinische Trainingstherapie (MTT)
Ich hatte alle zwei Tage Zeit im Fitnessstudio
fürs MTT, wo mir bei einer
Einweisung ein Sportprogramm gezeigt wurde, dass
ich absolvieren sollte. Nach dem ersten Termin
war ich selbstständig dort, es gab aber immer
Ansprechpartner vor Ort, die bei Bedarf Tipps
gaben, wie die Übung besser ausgeführt werden
konnte.
Therapeutisches Klettern
Eine für mich völlig neue und großartige Sache
war das therapeutische
Klettern. Im Fitnessstudio gab es eine
sieben Meter hohe Kletterwand mit verschieden
farbig markierten Griffen. Die Schwierigkeit nahm
je nach Farbe ab oder zu und es gab auch einen
Überhang. Mir hat es großen Spaß gemacht, dort
gesichert zu klettern. Die schwierige schwarze
Route und den Überhang habe ich allerdings nicht
geschafft. Aber bei jeder Einheit kletterte ich
mehrfach hoch und konnte dabei meinen kompletten
Körper schulen. Kraft, Dehnung, geistige
Flexibilität.
Denn zum Teil musste umgegriffen werden und eine
Lösung für das Problem unter körperlicher
Anspannung gefunden werden.
Hier klettere ich gerade den grünen Pfad hoch. Meine
Tochter hat das Foto aufgenommen.
Massage bei der Reha
Ein paar Mal durfte ich auch ganz entspannt eine
Hydrojet-Massage auf einem Wasserbett genießen.
Im Wasserbett selbst wird ein Strahl erzeugt, der
durch die Ummantelung durchdrückt, auf der man
liegt. Das Wasser ist warm und sehr entspannend.
Danach hat mein Körper immer gut gekribbelt.
Vorträge und Schulungen
Außerdem gab es noch einige spannende Schulungen
und Vorträge zu den Themen Stressmanagement,
Sport, Gesunderhaltung der Blutgefäße oder auch
beantragen eines Behinderungsgrades.
Mal war zuhören gefragt, mal aktive Teilnahme.
Auf jeden Fall wurde mir dadurch nochmal mehr
deutlich, wie wichtig eine gesunde und
ausgewogene Ernährung ist, gemeinsam mit
regelmäßigem Sport. Und natürlich auch die
Auseinandersetzung mit Themen, die die Seele
belasten.
Neuropsychologie bei der Reha
Eine spannende Terminserie war zum
Thema Neuropsychologie.
Hier soll noch ein Interview folgen, um das
genauer zu erklären.
Zunächst gab es ein Gespräch, in dem wir uns
darüber unterhielten, welche kognitiven
Auswirkungen die MS auf meinen Alltag hat, und
dann geb es mehrerer Tests inklusive einer
Schlussauswertung. Gerade der Bereich der
kognitiven Einschränkungen erhielt lange Zeit zu
wenig Bedeutung und umso mehr habe ich mich
darüber gefreut, dass es Teil der Reha war.
Denn bei Bedarf erhält man hier auch
Unterstützung, um zuhause einen geeigneten
Psychotherapeuten zu finden und eine Therapie zu
beginnen. Oder man bekommt Tipps, wie man mit
Einschränkungen im Alltag besser umgehen kann
Ernährungsberatung
Drei Termine zur Ernährungsberatung waren
ebenfalls Teil meines Programmes. Dabei wurde
explizit auf die MS eingegangen und sowohl
allgemeines Wissen zu einer gesunden Ernährung
vermittelt, als auch konkrete Tipps und Rezepte
mitgegeben.
Progressive Muskelentspannung
Vergangenheit angewendet habe. Sie kann Dir beim
Einschlafen und Stressabbau helfen und es gibt
jede Menge Angebote dazu. Vor Ort haben wir
mehrfach trainiert und gerade, wenn ich vorher
Sport hatte, tat es mir besonders gut.
Visite bei der Reha
Zwischendrin gibt es auch die Visite durch den
Chefarzt und/oder Oberarzt, bei der man seine
Wünsche und Fragen platzieren kann.
Ich hatte zwei dieser Termine und habe dort
erbeten, meine Kur von vier auf drei Wochen zu
verkürzen. Denn da meine Tochter nicht in die
Kita wollte, hatte ich letztendlich weniger Zeit
für mich, als zuhause und ein schlechtes
Gewissen, dass sie so lange nicht kindgerecht
ihre Tage verbringen musste. Wahrscheinlich wird
eine Verkürzung nicht so oft erbeten, aber die
Ärzte verstanden mein Anliegen und die Erfolge
der Reha waren nach kurzer Zeit bereits so gut,
dass sie meinem Wunsch entsprechen konnten.
Mein Resümee zur Reha bei Multipler Sklerose
Eine Reha ist eine gute Möglichkeit, Deinen
Körper und Geist zu regenerieren und Defizite zu
verringern. In den vier Wochen einer
neurologischen Reha kannst Du natürlich keine
Wunderheilung erwarten. Aber Du kannst einen
Neustart hin zu einem gesünderen und bewussteren
Leben machen. Du erhältst viele Informationen,
Übungen und weitergehende Unterstützung, um
Deinen Alltag anschließend wieder besser zu
bewältigen. Es liegt also zu einem großen Teil an
Dir selbst, wie lange der Effekt anhält. Ich habe
mir gleich ein paar kleine Trainingsgeräte
bestellt, um mich zu kräftigen und meine Balance
zu trainieren.
Denn ohne Gleichgewicht wäre irgendwann kein
Badminton und Snowboard mehr möglich. Das will
ich nicht, sondern lieber irgendwann in ferner
Zukunft damit aufhören, weil ich zu alt dafür
geworden bin, also 60+ oder so.
Und nach der Reha?
Klasse am Rehakonzept finde ich die anschließende
ambulante Fortsetzung. Bei mir ist das Training
in einer Physiotherapie. Insgesamt 26 Termine am
besten 2x die Woche für eine Stunde. Das bringt
bereits eine Menge.
Reha vor Rente. Ein gutes Konzept. Alle vier
Jahre kann man eine Reha beantragen. Unter
bestimmten Umständen wie einem akuten Schub auch
eher. Es gibt Kliniken, die sind neurologisch
ausgerichtet und es gibt spezielle
MS-Rehakliniken, die ganz besonders auf Multiple
Sklerose ausgerichtet sind. Ich war nur in einer
allgemeinen neurologischen
Rehabilitationseinrichtung, die aber auch ein
spezielles Konzept für MS-Patienten
zusammengestellt haben und es dann an die
jeweiligen Bedürfnisse und Symptome anpassen.
Wäre eine Reha zur MS etwas für Dich?
Also wenn Du schon mal über eine Reha nachgedacht
hast, dann sprich mit Deinem Arzt darüber. Besser
zeitig gegen Probleme der MS arbeiten, als der
Erkrankung das Feld zu überlassen. Es sind Dein
Leben, Dein Körper und Dein Geist. Unterstütze
alle drei dabei, so gut wie möglich zu
funktionieren. Versuche, Verlorenes zurückzuholen
oder zumindest das Level langfristig zu halten.
Vertiefende Einblicke in die Arbeit der Therapeuten
Ich habe einige Menschen angesprochen, die mir
bei der Reha geholfen haben und denen ich
begegnet bin, ob sie für ein Interview
vorbeikommen, um uns einen Einblick in ihre
Arbeit zu gewähren.
Mal sehen, wie viele dazu bereit sind. Denn
natürlich ist die Arbeit am und mit dem Menschen
wichtiger, als darüber zu sprechen und manchen
ist die Aufmerksamkeit unangenehm.
Deshalb nochmals ein ganz großes Dankeschön an
das gesamte Team für die sehr gute Arbeit.
Bestmögliche Gesundheit wünscht Dir,
Nele
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