#103 – Interview mit Dr. Klehmet zu schubassoziierten Symptomen, Vorbeugung weiterer Schübe und dem Verhindern permanenter Defizite
Dr. Klehmet spricht über schubassoziierte MS-Symptome, die
Vorbeugung weiterer Schübe und wie man permanente Defizite bei MS
verhindert. Hier geht es zum Blogbeitrag: ...
34 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 3 Jahren
Dr. Klehmet spricht über schubassoziierte MS-Symptome, die
Vorbeugung weiterer Schübe und wie man permanente Defizite bei MS
verhindert.
Hier geht es zum Blogbeitrag:
https://ms-perspektive.de/interview-mit-dr-klehmet-zu-schubassoziierten-symptomen-vorbeugung-weiterer-schuebe-und-dem-verhindern-permanenter-defizite/
In Folge 103 vom MS-Perspektive Podcast begrüße
ich PD Dr. med. Juliane Klehmet. Sie ist
ärztliche Leiterin vom MS-Zentrum am Jüdischen
Krankenhaus in Berlin. Wir sprechen über
schubassoziierte MS-Symptome. Wie man Schüben der
Multiplen Sklerose am besten vorbeugen und wenn
es doch dazu kommt, permanente Defizite
verhindern oder zumindest möglichst kleinhalten
kann.
Vorstellung
Juliane Klehmet ist verheiratet mit einem Arzt
und Mutter von zwei Kindern (12 und 14 Jahre).
Die Freizeit verbringt sie sehr gern im Garten
und mit Bücherlesen.
Wichtigste Stationen bis zur jetzigen Position?
Fachärztin in der Charité absolviert. Bis 2018
dort tätig gewesen im Bereich der
Neuroimmunologie. Unter anderem untersuchte Dr.
Klehmet Krebszellen und deren Autoaktivität.
Klinisch arbeitete sie jahrelang in verschiedenen
Spezialambulanzen, unter anderem der MS-Ambulanz
der Charité. In 2018 übernahm sie dann die
Leitung des MS-Zentrums am jüdischen Krankenhaus
in Berlin.
Persönliche Motivation für den Beruf?
Aufgrund der Neuroimmunologie, was schon immer
ein Schwerpunkt der Charité war. Die zunehmende
Möglichkeit, die Krankheit behandeln zu können,
war mit ein Grund, den Weg Richtung Multiple
Sklerose einzuschlagen. Außerdem fand sie es
spannend, dass sehr viel geforscht wird und
dadurch immer mehr Therapieansätze entstehen, um
MS-Patienten stetig besser behandeln zu können.
Wie viele MS-Patienten betreuen sie insgesamt
pro Jahr ambulant?
Ambulant werden ca. 1.200 MS-Patienten behandelt,
was zu rund 3.200 Patientenkontakten im Jahr
führt.
Rückbildung schubassoziierter Symptome Wie
unterstützen sie ihre Patienten, damit sich
MS-Symptome möglichst komplett zurückbilden?
Zunächst geht es darum, Patienten darüber
aufzuklären, dass es zu Schüben kommen kann und
das es wichtig ist, dass sich die Patienten dann
zeitnah melden, damit wir reagieren können. Am
Anfang bedeutet das oft Verunsicherung für die
Patienten, weil gerade frisch diagnostizierte
nicht wissen, ob gerade ein Schub vorliegt oder
nicht. Dafür ist die Vorstellung vormittags in
unserer MS-Ambulanz gedacht. Anhand der Anamnese
oder eventueller Untersuchungen oder eines MRTs
klären wir, ob es ein neuer Schub ist.
Das ist wichtig, weil wir die akute Schubtherapie
frühzeitig einleiten müssen, sprich das
hochdosierte Cortison. Die hoch antientzündliche
Wirkung des Cortisons dämmt den Schub ein und
hier gilt, je eher, desto besser. Wir überprüfen
dann, wie gut das Cortison im Verlauf anschlägt.
Eventuell muss eskaliert werden, was entweder
eine doppelte Dosis Cortison ist. Und falls das
auch nicht hilft, führen wir eine Plasmapherese
durch. Das wird allerdings nur gemacht, wenn es
um relevante Behinderungen, nicht bei
Taubheitsgefühlen und Kribbeln.
Im Fall von Sensitivitätsstörungen bitten wir die
Patienten um Geduld. Solche Symptome dauern oft
Wochen bis Monaten bis sie sich zurückbilden. Da
müssen sie dem Körper Zeit gegeben werden.
Bei motorischen Schüben spielt die unterstützende
Therapie eine große Rolle, sprich
Krankengymnastik, Ergotherapie, Logotherapie sind
wichtige Faktoren bei der Rückbildung von
Schüben.
Und natürlich ist die Unterstützung durch
Partner, Familie und das persönliche Umfeld eine
wichtige Komponente auf dem Weg der Genesung.
Gönnen sie sich im Falle eines Schubes Ruhe und
Erholung, damit ihr Körper genug Energie hat sich
zu regenerieren.
Wie lange dauert es bis sich Symptome
zurückbilden?
Es sollte eine Dynamik erkennbar sein. Gerade bei
Schüben, die durch motorische Symptome
gekennzeichnet sind, wie Schwächegefühl und
Lähmung, geht das schneller durch die
Cortison-Behandlung, als bei sensiblen
Schüben. Sensible Symptome dauern meist viel
länger, eher Wochen oder Monate.
Bei der Sehnerventzündung geht es oft auch etwas
langsamer, dennoch muss eine Dynamik erkennbar
bleiben, ansonsten eskaliert man. Schließlich
geht es um die Sehkraft und dort soll kein
Defizit bleiben.
Vorbeugung weiterer Krankheitsschübe Welche
Elemente gehören zur Prävention von Schüben und
können sie diese gewichten?
Die verlaufsmodifizierende Therapie ist der
wichtigste Pfeiler für die Prävention von neuen
Schüben und dem Verhindern von Läsionen im
Gehirn. Damit soll verhindert werden, dass
Nervenzellen untergehen oder sich auch bestehende
Symptome verschlechtern. All diese Faktoren
gehören zu den Zielen der MS-Behandlung – NEDA =
No evidence of disease activity (keine
Krankheitsaktivität – weder sichtbar, noch im
Verborgenen).
Falls NEDA nicht gelingt, ist das ein Hinweis
darauf, dass eine hochwirksamere Therapie
begonnen werden sollte (siehe »Hit
Hard and Early mit Prof. Schwab«).
Indikatoren dafür sind schwere Schübe, Schübe,
die sich nicht oder nur schwer zurückbilden,
viele Schübe, eine hohe Läsionslast im MRT. Es
zählen auch ungünstig gelegene Läsionen dazu,
z.B. am Hirnstamm oder im Rückenmark. Wenn einer
oder mehrere der Faktoren zutreffen, empfehlen
wir eine hochwirksamere Therapie. Natürlich
müssen immer Nutzen und Risiko gegeneinander
abgewogen werden.
Feststeht, immer mehr retrospektive
(rückblickende) Daten deuten darauf hin, dass
durch den Einsatz verlaufsmodifizierender
Medikamente, die Multiple Sklerose deutlich
milder geworden ist. Und wenn MS-Patienten mit
einem hochaktiven Verlauf frühzeitig in eine
hochwirksame Therapie einsteigen, können sie die
Krankheit stark abschwächen und eine bessere
Langzeitentwicklung erzielen. Dabei ist die
verlaufsmodifizierende Therapie gewiss die
wichtigste Säule.
Natürlich gehören auch Lebensstilfaktoren dazu.
Vermeiden sie Nikotin, es verschlechtert den
Verlauf deutlich. Vitamin D spielt eine Rolle,
weshalb eine ausreichende Substitution erfolgen
sollte. Der genaue Zusammenhang ist bisher
allerdings noch nicht geklärt. [Anmerkung Nele
Handwerker: Daher bitte keine Hochdosiseinnahme.]
Die Ernährung sollte auf dem mediterranen Konzept
basieren, viel Olivenöl und Gemüse, dafür wenig
rotes Fleisch. Wenn Kohlenhydrate, dann
ballaststoffreich.
Außerdem hat sportliche Betätigung viele positive
Effekte, sowohl auf den Krankheitsverlauf, als
auch das Wohlbefinden der Patienten. Durch Sport
können Schmerzen und Fatigue reduziert werden.
Zusätzlich bekommt man als Patient das Gefühl,
aktiv etwas machen zu können und der Krankheit
nicht nur ausgeliefert zu sein.
Deshalb empfehlen wir unseren Patienten von
Anfang an, Sport zu machen. Auch im Hinblick auf
das Gewicht. Denn Übergewicht wirkt sich
ebenfalls eher negativ auf den Krankheitsverlauf
aus. Übergewicht reduziert die Wirksamkeit von
Medikamenten und verringert die Bildung von
Vitamin D.
Permanente Defizite verhindern Was können
MS-Patienten tun, um permanente Defizite zu
verhindern und wie unterstützen sie dabei?
Sport und Krankengymnastik sind sehr wichtig für
Patienten, gerade mit Spastik-Symptomatik.
Muskeln können sich versteifen, wenn sie nicht
regelmäßig bewegt werden. Das wurde leider zum
großen Problem in der Pandemie, als Behandlungen
für Patienten ausfielen, die schwerer betroffen
sind. Krankengymnastik und Sport sind wirklich
wichtig.
Des Weiteren gehört eine ausreichende Versorgung
mit Hilfsmitteln dazu. Die Hilfsmittel können
sowohl unterstützen, aber auch am Anfang von
auftretenden Problemen helfen, diese nicht größer
werden zu lassen und Dysbalancen zu reduzieren
bzw. diesen entgegenzuwirken. Auch
Bewegungstrainer zuhause helfen. Leider erscheint
es mir immer schwerer, diese Hilfsmittel bei der
Krankenkasse durchzusetzen, obwohl es wichtig
ist, frühzeitig gegenzusteuern und nicht erst,
wenn die Einschränkungen unumkehrbar sind zu
kompensieren.
Dauerhafte Einschränkungen kleinhalten Wie
versuchen Sie, entstandene Behinderungen gering zu
halten und auf dem Level zu stabilisieren?
Physiotherapie ist gut. Bewegen sie sich
möglichst viel.
Beim Thema kognitive Einschränkungen, wie
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen ist
es wichtig, aktiv am gesellschaftlichen Leben
teilzunehmen. Nicht zuhause einigeln, sondern
Arbeiten gehen, solange das möglich ist.
Aus ärztlicher Sicht schauen wir, dass wir das
richtige Medikament einsetzen, sowohl für die
verlaufsmodifizierende Therapie, aber auch die
symptomatische Behandlung.
Antispastika, spielen eine große Rolle. Wenn die
Spastik und vielleicht begleitende Schmerzen
stark ausgeprägt sind, kann medizinisches
Cannabis helfen.
Blasenstörungen müssen gut behandelt werden, aber
auch Depressionen und Schmerzen.
Wichtig ist, dass sie als Patient diese Probleme
ansprechen, damit sie behandelt werden können.
Eine begleitende Psychotherapie kann ebenfalls
hilfreich sein, da die Psyche auf alle Bereiche –
körperlich, geistig und seelisch – Einfluss hat.
Generell gilt, dass die alleinige Immuntherapie
sicherlich bei einem Großteil der Patienten nicht
allein reichen wird.
Blitzlicht-Runde Vervollständigen Sie den
Satz:
„Für mich ist die Multiple Sklerose…
…eine Erkrankungen, die wir zunehmend besser
verstehen, kein Grund ist zu verzweifeln, da
immer mehr und bessere Optionen bestehen. Und wo
ich gespannt bin, was wir in den nächsten Jahren
noch an zusätzlichen Möglichkeiten bekommen, um
Patienten noch besser zu unterstützen.“
Welche Internetseite können Sie zum Thema MS
empfehlen?
DMSG.de
Amsel.de
KNMS – Kompetenznetz Multiple
Skerose
Welchen Durchbruch in der Forschung und
Behandlung zur MS wünschen Sie sich in den
kommenden 5 Jahren?
Einen Biomarker, der mir sagt, welchen Patienten
ich von Anfang an mit welchem Medikament am
besten behandle. (Statt bisher eher ein
ausprobieren, aufgrund der 1.000 Gesichter der
MS.)
Bessere Behandlungsoptionen für die chronischen
Verläufe, die den Untergang der Nervenzellen
verhindern und gegen den degenerativen Verlauf
gut anschlagen. Vermutlich wird es auf eine
kombinierte Therapie herauslaufen.
Verabschiedung Möchten Sie den Hörerinnen und
Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?
Die MS ist keine Diagnose zum verzweifeln. Wenden
sie sich von Anfang an an einen Experten, damit
die richtige Therapie eingeleitet werden kann.
Und leben sie möglichst so weiter, wie bisher.
Wie erreicht man das MS-Zentrum am Jüdischen
Krankenhaus am besten?
Über die Webseite und
am besten per E-Mail:
sekretariat-neurologie[at]jkb-online.de oder per
Telefon: 030 4994-2388.
Wichtig, wir brauchen eine Überweisung, damit wir
mit unserer Arbeit beginnen können.
++++++++++++++++++++
Vielen Dank an Dr. Juliane Klehmet für das
geführte Interview, die gebündelten Informationen
und den positiven Zuspruch zum guten Umgang mit
Multipler Sklerose.
Bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele
Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst
du in meinem kostenlosen
Newsletter.
Hier findest du eine Übersicht zu
allen bisher veröffentlichten
Podcastfolgen.
Weitere Episoden
49 Minuten
vor 1 Woche
27 Minuten
vor 2 Wochen
45 Minuten
vor 3 Wochen
In Podcasts werben
Kommentare (0)