#100 – Zukunft und Digitales bei der MS-Behandlung mit Prof. Tjalf Ziemssen

#100 – Zukunft und Digitales bei der MS-Behandlung mit Prof. Tjalf Ziemssen

In Folge 100 vom Podcast geht es darum, wie die Behandlung von MS-Patienten bereits heute digital unterstützt wird und welche Verbesserungen die Zukunft bringt? Bevor es losgeht, möchte ich mich bei Dir bedanken, dass du die Beiträge liest und...
56 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren









In Folge 100 vom Podcast geht es darum, wie die
Behandlung von MS-Patienten bereits heute digital
unterstützt wird und welche Verbesserungen die
Zukunft bringt?


Bevor es losgeht, möchte ich mich bei Dir
bedanken, dass du die Beiträge liest und hörst.
Es macht mir großen Spaß, immer mehr Experten zu
ihrem Fachwissen zu interviewen sowie die
Perspektive und Erfahrungen anderer MS-Patienten
zu verbreiten. Denn die Krankheit der 1.000
Gesichter verdient eine vielfältige Darstellung.


Die Antworten von Prof. Ziemssen zu digitalen
Tools und der Zukunft der Behandlung für
MS-Patienten habe ich versucht, kurz
zusammenzufassen.


Vielen Dank auch an das MS-Zentrum Dresden, dass
ich die Karikaturen von Phil
Hubbe verwenden darf, die er für die
Broschüre zum Welt-MS kreiert hat. Übrigens eine
sehr lohnenswerte Lektüre: 


Stay Connected – Broschüre
Zur guten Versorgung von MS-Patienten am
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Dresden
Vorstellung

Prof. Dr. Tjalf Ziemssen leitet das MS-Zentrum am
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in
Dresden. Er war bereits mehrfach zu Gast,
präsentiert einen monatlichen Patientenpodcast im
Videoformat und hat das Vorwort zu meinem
Erfahrungsbericht „Multiple
Sklerose? Keine
Angst!“ geschrieben:



Podcast #032 – Interview mit Prof. Dr.
Ziemssen, Neurologe und Leiter vom MS-Zentrum
DresdenProf. Ziemssen


Podcast #068 – Interview mit Prof.
Ziemssen zur Corona-Impfung und Impfungen
allgemein


Zu Gast im MS-Patientenpodcast des
MS-Zentrums in Dresden

Digitales und Zukunft Wie sah
die Patientenversorgung vor 20 Jahren im Bereich
Multiple Sklerose aus? Gab es digitale Hilfsmittel?

Im Jahr 2000 war die Bildgebung durch das MRT
digital. In Dresden am Uniklinikum wurden damals
erste PCs angeschafft, um Patientendaten digital
zu sammeln.  Denn es war bereits damals
klar, dass die Behandlung von MS-Patienten durch
eine größere Datenbasis verbessert werden kann.
Was hat sich seitdem verändert? Welche
digitalen Unterstützungen nutzen sie heute?

Die MS als Krankheit der 1.000 Gesichter ist
multidimensional. Deshalb braucht man
Instrumente, die die vielfältigen Defizite
möglichst frühzeitig erkennen, nicht erst, wenn
es zu bleibenden Einschränkungen gekommen ist,
sondern bereits bei kleinen Veränderungen
eingreifen.


Es sollen sowohl die Symptome auf Patientenseite
genau erfasst werden, als auch das Fortschreiten
der Erkrankung aus Ärztesicht.
Seit wann gibt es die digitalen Funktionstests
und wie helfen sie dabei die neurologische
Untersuchung objektiver zu machen?

Die neurologische Untersuchung ist schwer
quantifizierbar. Man weiß nicht, wie viel
schlechter zum Beispiel die Kraft oder das Sehen
geworden ist.


Der seit mehreren Jahren eingesetzte Tablet-Tests
hingegen, misst die Sehkraft auf die gleiche Art,
der Kognitionstest funktioniert immer gleich und
muss innerhalb eines festen Zeitfensters
absolviert werden und die Gehstrecke ist immer
gleich lang und man vergleicht die benötigte
Zeit. Dabei werden die Daten von einem Patienten
über den zeitlichen Verlauf miteinander
verglichen. Das erlaubt eine deutlich präzisere
Bestimmung der geistigen und körperlichen
Fähigkeiten.

















Werden die digitalen Funktionstests demnächst per
App oder online möglich sein?

Es wird gerade an einer App gearbeitet. In einer
großen Anwendungsstudie soll nun ausprobiert
werden, wie gut die Tests, die zuhause angewandt
werden können, auch durchgeführt werden. Und wie
nützlich die daraus entstehenden Daten sind. Die
Studie startet im Herbst 2021. Für das
regelmäßige ausfüllen und nutzen können Punkte
gesammelt werden, die dann wiederum zu einem
kleinen Obolus führen. Es wäre natürlich
großartig, wenn die Tests, die man in entspannter
Atmosphäre durchführen kann, zuhause mittels App
oder Tablet genutzt werden. 


Gerade wird in Dresden auch untersucht, wie
Patienten, die Tests (Tablet, Ganganalyse)
empfinden und wie schwer ihnen die Durchführung
fällt. Dabei kam heraus, dass die meisten
Patienten, absolutes Verständnis haben und gerade
die Patienten mit größeren Einschränkungen noch
eher von der Sinnhaftigkeit überzeugt sind.
Wichtig ist, dass PatientInnen merken, dass
die  Daten nicht nur gesammelt werden,
sondern direkt zu einer besseren Betreuung und
Behandlung bei ihnen selbst führen. 
Welche Bedeutung hat die Ganganalyse und welche
neuen technischen Hilfsmittel helfen ihnen dabei
Beeinträchtigungen früher wahrzunehmen und
gegenzusteuern?

Der Gang ist für den Neurologen besonders
wichtig. Man schaut, wie der Patient in das
Behandlungszimmer läuft. Wenn man viel Erfahrung
hat, sieht man als behandelnder Arzt, ob ein
Patient schlechter läuft als beim letzten Mal.


Bei der Ganganalyse werden an den körpernahen
Extremitäten kleine Sensoren umgeschnallt
(Handgelenk, Beine). Der Patient läuft dann
mehrfach über einen Spezialteppich voller
Sensoren und führt verschiedene Bewegungen durch.
Der zeitliche Aufwand ist gering und die Daten
aussagekräftig und gut vergleichbar, um bereits
frühe Veränderungen zu messen. Im späteren
Verlauf werden ebenfalls feinere Abstufungen
gemessen, um beispielsweise die Sturzanfälligkeit
besser einschätzen zu können.


Die Kraftmessplatte bietet eine weitere
Möglichkeit, Kraft und Gleichgewicht zu messen
und das für jedes Bein extra.


Untersuchungen müssen mit wenig Zeit und Aufwand
durchgeführt werden und das bei jedem Patienten
mindestens einmal im Jahr, ohne die
Datenspeicherung zu überfordern. Dann macht es
Sinn im Alltag und bringt langfristig nützliche
Daten für Arzt und Patienten.


Einen genauen Einblick in die Tests erhältst Du
in Folge 98 mit Max zur Kraft,
Ausdauer, Balance.

















Wie haben sich die Studien in den letzten 20 Jahren
verändert? Gibt es andere Schwerpunkte oder sind
neue Aspekte hinzugekommen?

Viele Patienten denken bei Studien immer nur an
klinische Studien zu neuen Medikamenten. Es gibt
aber auch ganz viele Studien, die zu einer
besseren Diagnostik beitragen.


Wichtig bei einer Studie ist, dass sie immer
unter den gleichen Rahmenbedingungen durchgeführt
wird, egal ob es um die Dauer geht oder eine
bestimmte Art der Auswertung von MRT-Bildern.
Wenn man immer wieder die gleichen
Rahmenbedingungen anwendet und die gleiche
Fragestellung nutzt, kann man am Ende eine valide
Aussage treffen, zum Nutzen einer neuen Art der
MRT-Auswertung, wie gut sich Tablettests zuhause
durchführen lassen, der Aussagekraft bestimmter
Blutwerte, und vielen mehr.


Die neue Studie zur App, um Tests zuhause
durchzuführen, könnte zum Beispiel ein deutlich
genaueres Bild vom Ist-Zustand wiedergeben, weil
es mehr Messungen gibt, als bei einem Test, der
nur alle drei Monate durchgeführt wird, wo die
Tagesform viel stärker ins Gewicht fällt.
Für wen und welche Art von Terminen eignet sich
die Videosprechstunde am MS-Zentrum?

Nicht für ein erstes Kennenlernen, aber für das
Auswerten großer Datenmengen. Wenn viele Tests
durchgeführt wurden, der Patient von weiter
anreist, dann ist es eine gute Möglichkeit, um
diese Daten auszuwerten. Die Videosprechstunde
kann gut eingesetzt werden, um beispielsweise
Medikamente, Nebenwirkungen, neue Symptome zu
besprechen. Für simple Fragen ist es eine gute
Ergänzung.

















Was sind Konzept und Ziel der regelmäßigen
Patientenfortbildung vom MS-Zentrum Dresden?

Die unterschiedlichen Bereiche aus der
medizinischen Perspektive darstellen. Neuigkeiten
zum MRT, aus dem neuroimmunologischen Labor und
viele weitere. Denn nur der informierte Patient
kann sehr bewusst Entscheidungen treffen für sein
Leben und den Umgang mit der MS.


Die Veranstaltung fand vor Corona in Präsenz
statt. Damals bestand der Nachteil für einige
Patienten darin, dass sie nicht zum eigentlichen
Termin da sein konnten, bei langer Anreise oder
anderweitigen Verpflichtungen. Digital ist dieses
Problem gelöst und durch die Aufzeichnung, kann
der Podcast auch nachgehört werden.


Hier geht es zum Newsletter, um über die
nächste Patientenfortbildung informiert zu
werden.

















Wann wird das digitale Patientenportal in den
Regelbetrieb gehen und was wird darin alles
gebündelt sein?

Parallel zur normalen Sprechstunde soll das
digitale Patientenportal viel Verwaltungsaufwand
übernehmen. Der Start wird voraussichtlich in
2022 sein.


Es wird einige Tage vor dem Termin im MS-Zentrum
einen digitalen Check-in geben. Dort kann man
überprüfen, ob die Medikamente noch stimmen, ob
etwas MS-Relevantes vorgefallen ist, seit dem
letzten Termin und welche Untersuchungen genau
anstehen.


Dann findet die Untersuchung statt. Das Tool soll
erkennen, wo gerade eine Station frei ist, um die
Wartezeit so gering, wie möglich zu halten.


Nach der Untersuchung, erfolgt 3-4 Tage später
der Check-out. Dort wird zusammengefasst, was ich
mit dem Arzt besprochen habe, meine Laborwerte
sind verfügbar. Das alles wird in der ersten
Version zu finden sein.


Perspektivisch soll das Patientenportal so
ausgebaut werden, dass ich als MS-Patient einen
weiteren Blick in die Zukunft habe, ca. zwei
Jahre und quasi einen Fahrplan erhalte, der mir
zeigt, wann das nächste MRT ansteht und andere
Untersuchungen, wie die Blutabnahme. Damit kann
ich als MS-Patient auch abgleichen, ob alles so
lief, wie geplant oder abgewandelt wurde. 


Das Portal soll auch Patienten zur Verfügung
stehen, deren Arzt es nicht nutzt. In dem Fall
trägt der MS-Patient seine Daten ein und erhält
eine Übersicht, welche Untersuchungen wann Sinn
machen.

















Was verbirgt sich hinter dem Begriff der
E-Health-Gesundheitsökonomie und welche Relevanz
hat er für MS-Patienten?

Hier soll gezeigt werden, welche Ersparnisse es
der Gesellschaft bringt, regelmäßig Sport zu
machen, Physiotherapie zu erhalten oder ein
Medikament zu nehmen, dass die Multiple Sklerose
in Schach hält.


Dadurch kann man Innovationen belohnen und
unnütze Untersuchungen, Medikamente, etc. nicht
länger finanzieren.


Ein Beispiel ist das MRT. Jeder Radiologe bekommt
die gleiche Bezahlung, egal ob die Daten keine
Auswertung zulassen oder qualitativ sehr
hochwertig sind. Ein hochwertiges MRT zeigt viele
Details und den Verlauf der Entzündungsaktivität
und des Gehirnvolumens über die Zeit. Es können
MRTs miteinander verglichen werden, die zu
verschiedenen Zeiten durchgeführt werden, was
wiederum die Aussagekraft für den Neurologen
verbessert. In Zukunft sollte das gute MRT
belohnt werden und das schlechte MRT durch Druck
von außen der Vergangenheit angehören.


Qualität lässt sich über Kosten gut
herausfiltern. Unter Medikament A gab es 20
Fehltage und unter Medikament B nur 5 Fehltage.
Dann ist Medikament B offensichtlich besser und
erfolgreicher. Diese Auswertung basiert
selbstverständlich auf großen Datenmengen, da man
so eine Aussage nie für einen Patienten alleine
treffen kann.


In einem Projekt werden Krankenkassendaten
ausgewertet. Anhand von Ausgaben für Medikamente
und Behandlungen, die in Anspruch genommen
werden, kann man sehen, wie eingeschränkt ein
Patient ist.

















Warum ist ein eigener Studiengang für Multiple
Sklerose sinnvoll und wer sind geeignete
Kandidaten?

Geeignete Kandidaten sollten einen
Hochschulabschluss haben und medizinischen
Background vorweisen. Dazu gehören Ärzte,
Therapeuten, Naturwissenschaftler. Man lernt die
Multiple Sklerose umfassend kennen. Der
Wissensaufbau erfolgt systematisch von der
Entstehung der Krankheit über die Diagnostik, das
Auswerten von Statistiken, über
verlaufsmodifizierenden Therapien bis hin zu
symptomatischen Therapien. Wie behandle ich
Spastik? Wie behandle ich Schmerzen. Es gehören
aber auch die ganzen rechtlichen und
sozialmedizinischen Dinge dazu.


Das kann sonst nur über Jahre an einem MS-Zentrum
erlernt werden. Durch den Studiengang ist es
neben dem Beruf innerhalb von zwei Jahren
möglich.

















Welche Vision verfolgen sie für die Behandlung der
MS-Patienten?

Unsere Vision für 2030 ist der digitale Zwilling,
eine digitale Datenmenge, die dem behandelnden
Arzt zeigt, wie sich die Krankheit darstellt. Das
bedeutet, dass wir die Krankheit in ihren
verschiedenen Verläufen verstanden und erfasst
haben.


Der digitale Zwilling ist kein eigentlicher
Zwilling vom Patienten, sondern das eine Gesicht
aus den 1.000 Gesichtern, das zu mir als
individuellem Patienten am besten passt und
meinen voraussichtlichen Weg und das Ansprechen
auf Therapieoptionen und Lebensstil inklusive
Änderungen darstellt.


Es ist vielmehr eine Ansammlung von Daten der
Vergangenheit, die einen Blick in die Zukunft
ermöglicht, ähnlich der Wettervorhersage. Und am
meisten nutzt es, wenn jeder einzelne MS-Patient
dieses Wissen nutzen wird, um bewusst
Entscheidungen zu treffen, aber auch
Handlungsoptionen zu kennen an verschiedenen
Stationen in seinem / ihrem Leben.


Da es sich um ein lernendes System handelt, ist
es entscheidend viele Daten zu haben und weiter
zu füttern, um immer bessere Voraussagen treffen
zu können.


Das ist dann der Schlüssel zu einer
individualisierten Therapie.


Beim Thema Kognition ist die Herausforderung
besonders komplex, da viele Faktoren mit hinein
spielen. Zukünftige Systeme werden gewiss auch
diese Komplexität mit abbilden können.
Verabschiedung Möchten sie den Hörerinnen und
Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Unterstützen sie uns bitte bei Studien.
Wissenschaftliche Studien werden systematisch in
allen möglichen Bereichen durchgeführt. Sie
ermöglichen uns die Multiple Sklerose immer
besser behandeln zu können. Dafür brauchen wir
ihre Mitarbeit. Nur so können wir Innovationen
voranbringen. Vielleicht empfinden sich den
systematischen Ansatz manchmal als nervig, aber
er bringt die Behandlung voran. Digitale
Unterstützungen müssen ebenfalls getestet und
überprüft werden, um zu sehen, was es bringt, was
der Mehrwert ist und wie es weitergehen kann.


Dabei muss es stets darum gehen, eine sinnvolle
Studie durchzuführen, die am Ende dem Patienten
nutzt.
Wie bleibt man über alle Neuerungen am
MS-Zentrum Dresden bestmöglich informiert?

Hier auf MS-Perspektive reinhören, da sind wir
regelmäßig mit verschiedenen Experten zu Gast und
berichten über die neuesten Themen. 


Dann gibt es unseren
eigenen Patientenpodcast,
der einmal im Monat stattfindet und den gerne
alle live oder später hören und sehen können, die
daran interessiert sind.


Die Einladungen zum Patientenpodcast werden über
den Newsletter verschickt.
Abonnieren lohnt sich.



















Bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele


Mehr Informationen rund um das Thema MS
erhältst du in meinem kostenlosen
Newsletter.


Hier findest du eine Übersicht zu
allen bisher veröffentlichten
Podcastfolgen.









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