Gedanken am frühen Morgen - Ohne Anklage ist Gerechtigkeit

Gedanken am frühen Morgen - Ohne Anklage ist Gerechtigkeit

5 Minuten

Beschreibung

vor 10 Monaten

Joseph war also in der Tat gerecht, weil er liebte, und er
liebte, weil er gerecht war. Deshalb also war er frei von
Grausamkeit, weil er die Liebe erwog; weil er die Angelegenheit
in Ruhe überdachte, wahrte er sich sein Urteil; indem er die
Strafe aufschob, entging er dem Verbrechen; indem er dem Ankläger
aus dem Wege ging, traf ihn auch nicht die Verurteilung. Gewiss
klopfte ihm sein heiliges Herz, durch das unerhörte Ereignis
gewaltig erregt; denn [vor ihm] stand seine Braut, schwanger und
doch eine Jungfrau; sie stand da im Besitze ihres Leibessegens,
doch ihrer Unschuld nicht beraubt; sie stand da, selbst in Sorgen
wegen ihrer Empfängnis, aber ihrer Unversehrtheit gewiss; sie
stand da vor ihm im Schmucke ihres Muttersegens, aber nicht
entblößt der Ehre der Jungfräulichkeit. Was sollte der Bräutigam
diesen Tatsachen gegenüber tun? Sollte er sie des Verbrechens
anklagen? Aber er war doch selbst der Zeuge ihrer Unschuld!
Sollte er sie für schuldig erklären? Aber er war doch selbst der
Wächter ihrer Unschuld! Sollte er ihr Ehebruch vorwerfen? Aber er
war doch selbst der Beschützer ihrer Jungfräulichkeit! Was sollte
er also tun? Er gedenkt, sie zu entlassen, weil er sie einerseits
nicht dem öffentlichen Gerede preisgeben, andererseits nicht das
Geschehnis verheimlichen konnte. Er gedenkt, sie zu entlassen,
und stellt das Ganze Gott anheim, weil er es einem Menschen nicht
anvertrauen kann. Brüder! So lasst auch uns, so oft uns eine
Sache beunruhigt, der Schein uns trügt, das Äußere der
Angelegenheit uns das Innere nicht erkennen lässt, das Urteil
vermeiden, die Straffe zurückhalten. das Verdammungsurteil nicht
aussprechen, lasst uns das Ganze Gott anheimgeben, damit wir
nicht, indem wir vielleicht leichtfertig über einen Unschuldigen
die Strafe zu verhängen trachten, uns selbst ein Strafurteil
sprechen, wie der Herr sagt: „Mit dem Gerichte, mit dem ihr
richtet, werdet auch ihr gerichtet werden“.



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