Gedanken am frühen Morgen - Den Zorn zügeln

Gedanken am frühen Morgen - Den Zorn zügeln

6 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Es sind uns aber auch vorbildliche Handlungen der Alten entweder
in mündlicher Überlieferung erhalten oder in den Schriften von
Dichtern und Geschichtsschreibern niedergelegt, und auch den
Nutzen hieraus dürfen wir nicht außer Acht lassen. Ein Beispiel.
Es schmähte den Perikles irgendein Marktschreier, ohne dass
dieser darauf achtete. Ja, einen ganzen Tag lang überhäufte das
Lästermaul den Perikles schonungslos mit seinen Schmähungen; er
aber kümmerte sich nicht um ihn. Als es dann bereits Abend und
dunkel geworden war und jener immer noch nicht gehen wollte, ließ
ihn Perikles mit einem Licht [nach Hause] geleiten, um sich so
recht in der Schule der Weisheit zu üben. — Wieder ein anderer
war über Euklid von Megara aufgebracht, hatte ihm den Tod
angedroht und geschworen. Er seinerseits aber schwur, er werde
ihn gewiss versöhnen und seinen Feind beschwichtigen. Wie
wertvoll und wichtig, die Erinnerung an solche Vorbilder
wachzurufen, sooft ein Mann vom Zorne erfasst wird! Dagegen muss
man auf der Hut sein vor der Tragödie, die einfach sagt: „Gegen
Feinde bewaffnet Zorn die Hand.“ Vielmehr ist es das Beste,
überhaupt nicht in Zorn zu geraten. Ist das nicht das leichteste,
dann wollen wir ihn wenigstens mit unserer Vernunft zügeln und
ihn nicht weiter austoben lassen.

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