Gedanken am frühen Morgen - Das Vorbild verstehen

Gedanken am frühen Morgen - Das Vorbild verstehen

6 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Die Augenblicke, in denen er allein war, nahm er entweder die
notwendige Nahrung zu sich oder erholte sich durch Lesung. Wenn
er aber las, dann glitten seine Augen über die Seiten, sein Herz
suchte nach dem Verständnis, Stimme und Zunge aber ruhten. Oft
wenn wir zugegen waren - jeder durfte bei ihm eintreten, keiner
wurde angemeldet -, sahen wir ihn schweigend lesen und nie
anders. Wenn wir nun längere Zeit so schweigend dagesessen - denn
wer hätte es gewagt, ihm in solcher Stunde der Sammlung lästig zu
fallen? -, gingen wir wieder weg; vielleicht wollte er für die
kurze Zeitspanne, welche er sich für seine geistige Erholung
abgewinnen konnte, müde von der Unruhe fremder Angelegenheiten,
sich nicht zu anderem abrufen lassen, vielleicht verhüten, daß er
einem eifrigen und genauen Zuhörer weniger klare Stellen dieser
Schrift gar erklären oder über schwierigere Fragen entscheiden
mußte; hätte er nämlich auch noch seine Ruhepausen dafür opfern
wollen, dann wäre er überhaupt nicht zum Lesen gekommen. Aber
auch die Rücksicht auf Erhaltung seiner Stimme, die ihm gar
leicht heiser wurde, konnte für ihn ein mehr als gerechter Grund
sein, stille zu lesen. Jedoch, in welcher Absicht er immer dies
tun mochte, sicher war seine Absicht gut.

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