Gedanken am frühen Morgen - Das Wunder Denken

Gedanken am frühen Morgen - Das Wunder Denken

6 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Groß, o mein Gott, ist die Macht des Gedächtnisses, überaus groß;
ein weites, unermeßliches, inneres Heiligtum. Wer hat es je
gegründet? Und das ist eine Kraft meines Geistes und gehört zu
meiner Natur; aber dennoch fasse ich nicht ganz das, was ich bin.
Also ist der Geist zu enge, um sich selbst zu fassen? Wo mag das
sein, was er von sich nicht faßt? Etwa außer ihm und nicht in ihm
selbst? Warum also faßt er es dann nicht? Gewaltige Verwunderung
erfaßt mich, und Staunen ergreift mich deshalb. Und die Menschen
gehen und bewundern die Höhen der Gebirge, die gewaltigen Wogen
des Meeres, den breiten Fluß der Ströme, den Umfang des Ozeans
und den Umlauf der Gestirne, auf sich selbst aber achten sie
nicht, sie wundern sich nicht, daß ich dies alles, während ich
davon sprach, nicht mit Augen sah,und doch würde ich nicht davon
sprechen, wenn ich nicht Berge und Fluten und Ströme und
Gestirne, die ich gesehen, und den Ozean, von dessen
Vorhandensein ich nur gehört habe, innen in meinem Gedächtnisse
in eben so gewaltiger Ausdehnung wie draußen in der Wirklichkeit
erblickte. Und doch habe ich diese Gegenstände nicht etwa, als
ich sie mit Augen sah, in mich aufgenommen; auch sind sie gar
nicht selbst bei mir, sondern nur ihre Bilder, und ich weiß nur,
welcher Sinn meines Körpers mir ihre äußere Form vermittelt hat.

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