(13) Friedrich Nietzsche »Zarathustra« 1.Teil Nr.2
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Lesung - Klassiker, Philosophie, Gedichte | Gelesen von Elisa Demonki
Beschreibung
vor 18 Jahren
»Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem
Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?
Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein
Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden?
Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich.
Wehe, du willst an’s Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib
wieder selber schleppen?« Zarathustra antwortete: »Ich liebe die
Menschen.« »Warum«, sagte der Heilige, »ging ich doch in den Wald
und die Einöde? War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr
liebte? Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der
Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen
würde mich umbringen.“ Zarathustra antwortete: »Was sprach ich von
Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk.« »Gib ihnen Nichts«,
sagte der Heilige. »Nimm ihnen lieber etwas ab und trage es mit
ihnen – das wird ihnen am wohlsten tun: wenn er dir nur wohltut!
Und willst du ihnen geben, so gib nicht mehr, als ein Almosen, und
lass sie noch darum betteln!« »Nein«, antwortete Zarathustra, »ich
geb kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.« Der Heilige lachte
über Zarathustra und sprach also: »So sieh zu, dass sie deine
Schätze annehmen! Sie sind mißtrauisch gegen die Einsiedler und
glauben nicht, daß wir kommen, um zu schenken. Unsre Schritte
klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie Nachts
in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne
aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? Gehe nicht
zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den
Tieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, – ein Bär unter Bären,
ein Vogel unter Vögeln?« »Und was macht der Heilige im Walde?«
fragte Zarathustra. Der Heilige antwortete: »Ich mache Lieder und
singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich:
also lobe ich Gott. Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich
den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum
Geschenke?« Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er
den Heiligen und sprach: »Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst
mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!« – Und so trennten
sie sich von einander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie
zwei Knaben lachen. Als Zarathustra aber allein war, sprach er also
zu seinem Herzen: »Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige
hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott tot ist!«
Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?
Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein
Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden?
Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich.
Wehe, du willst an’s Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib
wieder selber schleppen?« Zarathustra antwortete: »Ich liebe die
Menschen.« »Warum«, sagte der Heilige, »ging ich doch in den Wald
und die Einöde? War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr
liebte? Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der
Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen
würde mich umbringen.“ Zarathustra antwortete: »Was sprach ich von
Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk.« »Gib ihnen Nichts«,
sagte der Heilige. »Nimm ihnen lieber etwas ab und trage es mit
ihnen – das wird ihnen am wohlsten tun: wenn er dir nur wohltut!
Und willst du ihnen geben, so gib nicht mehr, als ein Almosen, und
lass sie noch darum betteln!« »Nein«, antwortete Zarathustra, »ich
geb kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.« Der Heilige lachte
über Zarathustra und sprach also: »So sieh zu, dass sie deine
Schätze annehmen! Sie sind mißtrauisch gegen die Einsiedler und
glauben nicht, daß wir kommen, um zu schenken. Unsre Schritte
klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie Nachts
in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne
aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? Gehe nicht
zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den
Tieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, – ein Bär unter Bären,
ein Vogel unter Vögeln?« »Und was macht der Heilige im Walde?«
fragte Zarathustra. Der Heilige antwortete: »Ich mache Lieder und
singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich:
also lobe ich Gott. Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich
den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum
Geschenke?« Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er
den Heiligen und sprach: »Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst
mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!« – Und so trennten
sie sich von einander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie
zwei Knaben lachen. Als Zarathustra aber allein war, sprach er also
zu seinem Herzen: »Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige
hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott tot ist!«
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