Beschreibung

vor 3 Jahren
Diese Woche in der Zukunft: 

Gestalten wir das menschliche Gehirn um. Nach Belieben?
Jedenfalls nach Wunsch. Das Prinzip ist im Grunde bekannt und
bewährt: Das Hirn nimmt Reize aus der Umgebung auf und
organisiert sich intern entsprechend um, um mit diesen Reizen
besonders gut umgehen zu können. So entsteht Schmerz, wenn sich
Migränepatient:innen Flackerlicht und Alkohol aussetzen. So
entstehen zahllose Empfindungen und Reaktionen. Die uns stören,
die wir Krankheit nennen – und ebenso die, die wir wollen.
Während die Technologie-Enthusiasten auf die Gehirn-Implantate
von Elon Musks Neuralink warten, ist der gezielte Umbau des Hirns
längst möglich.


In der analogen Welt mussten alle Migränepatient:innen sich noch
mit dem allgemeinen Ratschlag in den immer gleichen Büchern
begnügen: Halten Sie sich von den üblichen Auslösern fern. Kein
Rotwein, kein Candlelight zum Dinner, wenig Stress. Nicht nur
wurden sie damit – ohne Reizung – immer sensibler. Es war auch
niemals notwendig, diese Ratschläge jeden Tag umzusetzen.
Allerdings: Ohne eine digitale Messung, ohne eine drastische
Vermehrung der individuellen Daten und deren laufender Auswertung
war es nicht möglich, in Echtzeit zu sagen: Heute bist du
widerstandsfähig, heute geht was. 


Die Migräne-App M-Sense macht genau das. Sie ist eine der immer
noch überschaubar wenigen Apps, die es in Deutschland auf Rezept
gibt. Für Gründer Markus A. Dahlem ist das Prinzip
dahinter aber deutlich erweiterbar. Wir sind längst in der Lage,
individuelle Menschen mit einer Flut an Daten sehr genau zu
beschreiben. So können wir inzwischen auch die Reize, denen wir
uns aussetzen, extrem genau dosieren und damit auch längere
Entwicklungsprozesse deutlich beschreiben und präzise steuern –
und so das Hirn gezielt dazu anstoßen, sich in eine gewünschte
Richtung umzubauen. Am Ende steht das Hirn nach Wunsch. 


Markus A Dahlem betont: Im Grunde ist das alles nicht neu. Lernen
verändert das Hirn. Und wo wir früher auf Erfahrung bauen
mussten, können wir Reize, Prozesse und Wirkung inzwischen genau
messen. Und mehr noch: können wir Sensoren zu Aktivatoren
erweitern, die nicht nur messen, sondern selbst Impulse geben.
Für Markus A. Dahlem bietet die Digitalisierung von Medizin die
Chance, ein längst bekanntes Verfahren auf Speed zu setzen. 


Lernen wird zum Kernthema, genauer: Das Verlernen. Wenn wir dem
eigenen Hirn gezielt Mechanismen abtrainieren, entsteht Raum für
Neues. Dahlems These: Das geht. Auch wenn das Sprichwort etwas
anders sagt: Wir können verlernen, Fahrrad zu fahren. Hier liegt
eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem Lernen von Individuen
und dem Lernen von Organisationen: Wer Raum für Neues schaffen
will, muss zunächst die Verbindung des Alten lösen. Sich von der
Idee befreien, man müsse am Büroschreibtisch sitzen, um
konzentriert arbeiten zu können. Sich von der Wahrheit lösen,
Fakten müssten auf Papier festgehalten werden, um zu gelten. Die
Annahme begraben, ein Dokument bräuchte immer einen Stempel, um
echt zu sein. Schieben wir sie beiseite, entsteht der Raum, über
Arbeit, Wahrheit und Echtheit neu nachzudenken. 
Der Gast in dieser Woche:

Markus A. Dahlem, Physiker, Migräne-Forscher, Gründer und CEO von
Newsenselab, die u. a. die Migräne-App M-Sense entwickelt
haben. 


Auf Twitter: @markusdahlem

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: