Robert Prosser zu Gast bei Auf Buchfühlung

Robert Prosser zu Gast bei Auf Buchfühlung

1 Stunde 1 Minute

Beschreibung

vor 4 Jahren
Am 5. Februar haben wir uns in Wien mit Robert Prosser getroffen,
um mit ihm über seine beiden Romane Gemma Habibi und Phantome,
seine Zeit als Slam Poet, Sprayer und Boxer, über Hip-Hop-Einflüsse
und Heimito von Doderer, aber auch seine Haltung zu Peter Handke zu
sprechen. Die Tiroler Gemeinde Alpbach im Bezirk Kufstein ist nicht
nur Austragungsort des bekannten Forum Alpbach und letzte
Ruhestätte des Physik-Nobelpreisträgers Erwin Schrödinger. 1983
wurde hier Robert Prosser geboren, der heute einer der
erfolgreichsten österreichischen Schriftsteller seiner Generation
ist. In Innsbruck studierte er Komparatistik, taggte daneben nicht
nur seine Graffitis, sondern fasste auch erstmals Fuß auf Lese- und
Slam-Bühnen. 2007 gründete er zusammen mit Stefan Abermann, Martin
Fritz und Martin Kozuh die Innsbrucker Lesebühne “Text ohne
Reiter”. Er trat mit seinen Performances aber auch schon in Tel
Aviv und China auf. Überhaupt ist Robert Prosser gern und viel
unterwegs. Und das nicht nur zwischen Tirol und Wien - seinen
beiden Lebensmittelpunkten, sondern er reiste auch schon in den
armenischen Kaukasus, ins ehemalige Jugoslawien, nach Syrien und
Westafrika, Indien, Venezuela und und und. Seine Eindrücke
verarbeitet er in Romanen - aber davon werden wir noch hören.
Robert Prosser ist aber nicht nur ein produktiver und mit
zahlreichen Preisen ausgezeichneter Autor, ihm liegt auch die
Vermittlung von Literatur und die Vernetzung von Autorinnen und
Autoren am Herzen. So war er z.B. einer der Mitbegründer des
Projektes „Babelsprech“ zur Förderung junger Poesie, ist als
Herausgeber tätig, z.B. einer Anthologie junger österreichischer
Gegenwartslyrik (wo warn wir? ach ja 2019 im Limbus Verlag).
Gemeinsam mit Josef Kirchner hat er im November 2019 die
Programmleitung des Literaturfests Salzburg übernommen. Wie geht
man mit den Erfahrungen von Krieg und Flucht um? Wie kann man die
eigene Erinnerung bewahren und vor dem Missbrauch durch
nationalistische Politik schützen? Wohin mit all der Energie und
mit dem Frust, dass die EU als Versprechen von Glück und Zukunft so
nahe ist, dieses Versprechen aber nie eingelöst wird? All diesen
und weiteren Fragen geht der Robert Prosser mit seinem 2017
erschienen Roman Phantome nach. Er löst damit seinen Vorsatz ein,
denn er wollte sich ein “Land erschreiben, seine Vergangenheit und
Gegenwart”. Die Annäherung an das komplexe Thema der
Jugoslawienkriege gelingt dem Autor über die Graffiti-Szene. Im
ersten Teil, der spielt 2015, begleiten wir einen jungen Sprayer
durch Wiener U-Bahn-Tunnel und auf Demonstrationen in Tuzla...
Dieser Teil ist sprachlich stark vom Hip Hop geprägt, auch vom
Szene-Vokabular des Sprayers, von der Energie, die in Auflehnung
und Protest liegen. Durch seine Freundin Sara, der Tochter einer
Bosniakin und eines Österreichers, kommt er erstmals mit Bosnien
und seiner Geschichte und Gegenwart in Berührung. Die beiden reisen
nach Tuzla, Srebrenica und Sarajevo und bald schon verschiebt sich
das Hauptaugenmerk des Ich-Erzählers. Anstatt Spuren - in Form von
Graffitis - hinterlassen zu wollen, macht er sich auf die Suche
nach den Spuren von Saras Vergangenheit. Es ist ein erzählerische
Kniff, uns über die Geschichte des Ich-Erzählers an das Thema
heranzuführen - ein sehr geschickter. Der junge Sprayer ist voller
Unkenntnis in Bezug auf die Jugoslawienkriege und verunsichert. Er
weiß genauso wenig, wie die meisten von uns, wie die Dinge richtig
einzuordnen sind. Hier holt uns der Autor ab und nähert sich der
eigentlichen Geschichte. Von der erfahren wir im 2. Teil des
Romans, er spielt 1992, in dem die Sprache hinter die Geschichte
zurücktritt, es wird epischer, erzählender. Von Krieg und
Vertreibung erzählt der Autor am Beispiel eines serbisch-bosnisches
Paares, Anisa (das ist die Mutter von Sara) und Jovan, die durch
den Krieg getrennt werden. In dieser Konstellation manifestieren
sich all die großen Konflikte, durch ihre Geschichten erfahren wir
von den Phantomen des Krieges, die man nicht loswerden kann. In
einem kurzen dritten Teil hält Robert Prosser nochmal eine
Überraschung für uns parat. Die Stimme des Erzählers ändert sich
noch einmal und obwohl das zunächst irritierend erscheint, ist es
schlüssig - und vielleicht auch eine kleine Hommage an einen
Freund, von dem wir im Gespräch noch erfahren werden. “Ohne dass er
es als moralische Attitüde vor sich hertragen müsste” schreibt
Wiebke Porombka in der ZEIT, “ist dieser Roman [...] eine Schule
der Empathie und der Demut vor den Versehrungen, die politische
Konflikte in Biografien brennen.” Phantome war 2017 nicht zuletzt
deshalb für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der Roman ist 2017
im Ullstein Verlag erschienen und inzwischen auch als Taschenbuch
erhältlich. Gemma Habibi ist Robert Prossers aktueller Roman, der
im Juli 2019 im Verlag Ullstein fünf erschienen ist. Lorenz, der
Protagonist des Romans, kehrt mit einer Idee für seine
Anthropologie-Masterarbeit von einer Reise nach Syrien zurück, die
ihn wiederum in einen Boxclub in Wien führt. Während Lorenz sich zu
einem ernstzunehmenden Boxer entwickelt, Westafrika bereist und
sich in die Fotografin Elena verliebt, wütet in Syrien ein Krieg,
der die Gesellschaft in Aufruhr versetzt und zahlreiche Menschen in
die Flucht treibt. Auch Lorenz syrischer Freund Zain ist nach Wien
geflohen und träumt davon, als Boxer unsterblich zu werden. Mit den
Worten “Kurdistan, Wien, Ghana: Drei Welten, drei Leben, drei
Runden im Boxring. Ein dichter, intensiver Roman über Obsession und
Freundschaft, Engagement und Aufbruch, geschrieben von einem der
wortgewaltigsten Schriftsteller seiner Generation.” beschreibt der
Verlag den Roman und uns stellten sich die Fragen, welchen
Herausforderungen man sich als Autor ein Jahr nach der Nominierung
für den Deutschen Buchpreis gegenüber sieht und wie es Robert
Prosser gelingt. Wir danken Robert Prosser für das Gespräch und das
Zur-Verfügung-Stellen der Audiomitschnitte seiner Performance von
Gemma Habibi. An den Drums: Fabin Faltin. Neben Phantome und Gemma
Habibi sind folgende Bücher von Robert Prosser im Buchhandel
erhältlich: Strom. Ausufernde Prosa (2009), Feuerwerk. Prosa
(2011), der Roman Geister und Tattoos (2013) - alle im Klever
Verlag erschienen. Die erwähnte Reportage über den Libanon mit
Fotos von Leonhard Pill erscheint im Herbst 2020 im Klever Verlag,
ein Ausschnitt daraus ist Anfang Februar im Standard ALBUM
erschienen. Den Link dazu findet Ihr in den Shownotes. Die nächste
Ausgabe von “Auf Buchfühlung” gibt es am 28. März.

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