Der überfällige, unumgängliche Blogbeitrag (+Podcast) über Twitter aka Gavin Karlmeier schließt den Kreis.
1 Stunde 20 Minuten
Podcast
Podcaster
Beschreibung
vor 1 Jahr
Da sind wir also. In Musks Mahlstrom, täglich neu angerührt,
überwürzt und halbroh. Als ich Mitte November einen Blogbeitrag
begann, der vor allem eine emotionale Momentaufnahme sein sollte,
war mir nicht klar, wie chaotisch die kommenden Tage und Wochen in
der Causa Twitter noch werden sollten. Jeden Tag, teilweise
mehrfach, schreibt Musk selbst ein neues Kapitel der Seifenoper
rund um dieses Medium/diese Website/dieses Social Network und
inszeniert sich selbst irgendwo zwischen Troll, unbeholfenem
Möchtegernkomiker und eiskalt kalkulierendem Geschäftsmann. Das
Ganze ist so faszinierend und verstörden, dass Dennis Horn und
Gavin Karlmeier sich in einem (nahezu?) täglichen Podcast
ausschließlich mit diesem Thema befassen: „Haken dran – das
Twitter-Update“ wurde dank dieser simplen wie anstrengenden Mission
zu einem viel zitierten und verdienten Erfolg. Grund genug, Gavin
Karlmeier spontan via Twitter (obviously) zum Gespräch zu laden,
das den Hauptteil der zu diesem Blogpost gehörenden Audioebene
bildet. Es war mir ein Anliegen und ein Vergnügen mit Gavin über
diesen Clusterfuck an Gesamtsituation zu sprechen und ich hoffe Ihr
genießt das Gespräch ebenso. Hier nun aus historischen Gründen der
Originalblogpost: Calm your tits, Dominik. It’s just a website.
Guten Morgen Kinners. Ich bin heute Nacht gegen 2 Uhr morgens
aufgewacht. Keine Ahnung ob es die Verdauung, die Harnblase,
Existenzangst oder die Gesamtsituation war. Es ist 2022 und ich bin
Ü40, es ist ein Wunder, dass ich überhaupt schlafen kann.
Vielleicht war es aber auch mein sechster Sinn für Social Media:
Was sich seit dem Kauf von Twitter durch Elon Musk abgezeichnet
hatte, kickt langsam in den Super Pursuit Mode: Musk nimmt Kurs auf
den Eisberg um zu schauen wie unsinkbar das Schiff Twitter ist.
Also: Seine eigentliche Absicht ist seit Kurzem „Twitter 2.0“
umzusetzen und da man dafür „sehr hardcore“ sein muss, hat er
Mitarbeitern das tolle Ultimatum gestellt, doch härter und mehr zu
arbeiten (vermutlich bei gleichem Gehalt) oder gegen Abfindung das
Unternehmen zu verlassen. Keine Ahnung in welchem
Alphamalebullshitberaterseminar er solche Verhandlungstaktiken
gelernt hat aber seine Motivationsdiarrhö kam bei einigen Hundert
der noch verbliebenen Mitarbeiter (er hatte zuvor schon circa die
Hälfte gefeuert) nicht so gut an. Mittlerweile sind so viele
Arbeitskräfte weg oder werden es bald sein, dass einige ehemalige
Mitarbeiter überzeugt sind, dass die Technik der Platform bald
anfangen wird zu bröckeln. (Ich habe hier bisher größtenteils
diesen sehr guten Artikel von The Verge paraphrasiert und
kommentiert:
https://www.theverge.com/2022/11/17/23465274/hundreds-of-twitter-employees-resign-from-elon-musk-hardcore-deadline)
Die Tatsache, dass die Nutzer von Twitter aktuell natürlich
vermehrt auf Twitter den potentiellen Untergang von Twitter
vertwittern wird die Twitter-Server nicht gerade weniger stressen.
Es könnte also sein, dass wir einmal mehr dabei zusehen werden, wie
ein soziales Netzwerk zerrissen wird. Da Twitter für mich seit
geraumer Zeit eine Art zweite digitale Heimat ist, ist dies wohl
Anlass genug für einen kurzen Rückblick. Das wird heute in Teilen
ein wenig überemotional. Verzeiht es mir, ich bin ein alter Mann
ohne Schlafrhythmus. Wer mir auf Twitter folgt, kann dort
nachlesen, dass ich bereits seit September 2009 auf der
Microblogging-Platform (hahaha) unterwegs bin. Nur stimmt das so
nicht. Meinen ersten Account hatte ich schon im März des gleichen
Jahres, der war und ist aber ausschließlich englischsprachig. 2009
war auch das Jahr in dem Kevin Körber und ich gemeinsam mit dem
Podcasten anfingen. Die MedienKuH war von Anfang an ein Podcast,
der neben seinen Hauptthemen (Film, Funk und Fernsehen) auch
Twitter thematisierte und dessen Twitter-Account wir immer wieder
nutzten um klassische Medien zu kommentieren und um mit Hörern in
den Austausch zu treten. Da auch die Accounts diverser
Fernsehsender mit uns interagierten wirkten wir schnell relevanter
als wir vielleicht sind. Naja, nicht unsere Schuld, da seid Ihr
selbst seit Jahren drauf reingefallen. Ganz persönlich hatte ich
einfach Freude daran, ohne Fallhöhe sehr schlechte bis mäßig
witzige Kurztexte auf Twitter zu schreiben, GIFs zu posten (GIFs
sind das wichtigste Medium des 21 Jahrhunderts und egal was Stephen
Wilhite gesagt hat, man spricht es mit einem harten G aus.
Außerdem: Der Blog. Don’t at me.) und mit Menschen zu quatschen.
Den Außenstehenden Twitter zu erklären, hat bis heute nicht richtig
funktioniert. „If you have to ask, you will never know“ ist hier
wie so oft die Wahrheit. Was natürlich auch damit zusammenhängt,
dass man von 10 unterschiedlichen Menschen 27,5 absolut andere
Antworten auf die Fragen „Was ist Twitter?“, „Wie funktioniert
es?“, „Was magst Du daran“ und „Wie nutzt Du es?“ bekommt. An
dieser Stelle drücke ich auch meine ewige Hassliebe für Nutzer der
Platform aus, die „Du hast Twitter nicht verstanden“ und „Twitter
ist kein Chat“ gepostet haben. Wie Sprache, entwickeln soziale
Medien nunmal Eigendynamiken und Nischen in denen Dinge jeweils
etwas anders laufen als man sich das vorstellt und anders als es
vielleicht mal anfing. Letzteres sieht man auch an Accounts, die
auf Twitter einen großen Hype mit daraus resultierendem Business
mitgemacht haben – Bücher, TV-Shows etc. und jetzt: Tweets des
gleichen Stils, der gleichen Qualität und niemanden kümmert es.
Mein Lieblingsfakt unter den absurden Twitter-Fakten: der Account
„Shit My Dad Says“ wurde so erfolgreich, dass eine Sitcom mit
William Shatner in der Hauptrolle produziert wurde. Shatner
promotet jetzt übrigens irgendwelchen Crypto-NFT-Bullshit auf
Twitter. Nun. Ganz persönlich und beruflich (kann man bei mir ja
nie wirklich trennen) habe ich so viele gute und wichtige Dinge auf
auf Twitter über- und erlebt, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen
soll. Kurz zusammengefasst: Twitter hat sowohl Jobnetzwerke als
auch Dating-Plattformen (auch wenn das damals sowieso vor Tinder
war. Ich richte hier auch ausdrücklich Grüße von meiner Frau aus.)
für mich komplett überflüssig gemacht. Die erfolgreichsten
Bewerbungsgespräche und Jobgelegenheiten sind über Twitter
entstanden. Ohne Twitter kein Radio Nukular und alles was danach
kam – klar, man kann natürlich immer argumentieren, dass die
entsprechende Kommunikation auch über Facebook, Email, Telefon etc.
hätte stattfinden können. Hat sie aber nicht. Darüber hinaus gibt
es auch Momente, die so typisch für Twitter sind, dass ich sie mir
auf anderen Plattformen kaum vorstellen kann: Ein direkter
Austausch mit Neil Gaiman über unsere liebsten Versionen des
Cohen-Songs „Tower of Song“ oder sein Porridge-Rezept. Interviews
mit Tommy Krappweis oder Kevin Smith, die nur über
Twitter-Interaktionen zu Stande kamen. (Im Falle von Smith wird mir
auch zuweilen vorgeworfen, ich hätte ihn ja quasi erpresst.
Verstehe das Argument aber teile es nicht, bester Beleg: ein
zweites Interview, dem er ganz ohne Twitter-Kampagne zugesagt
hatte). Aber selbst wenn ich Twitter nur passiv und privat (guter
Buchtitel) genutzt hätte, hätte mir die Vogelseite einiges geboten.
Der Mix aus schnellen Nachrichten, relativer Gleichberechtigung von
kleinen Accounts neben größeren (die wiederum die kleinen Accounts
durch einen einzigen Mausklick nach vorne bringen können),
persönlichen und professionelleren Tweets… da ist wirklich eine
süchtig machende Digitalmaschine entstanden – for better or worse.
Twitter ist außerdem wirklich mitverantwortlich für oder zumindest
direkt verknüpft mit so vielen Erfahrungen, die ich in den letzten
13 (!) Jahren machen durfte, dass ich gar nicht anders kann, als
ein wenig nostalgisch und traurig zu werden. Auch hier gilt
natürlich „your experience may vary“ und auch „wie man in den Wald
ruft…“. Viele die das hier lesen, werden gar nichts oder nur wenig
positives mit Twitter verbinden und ja: Die Dynamiken der Plattform
haben auch viel Bullshit, toxisches Verhalten und buchstäblichen
Faschismus befördert. Zeitgleich hat Twitter auch Minoritäten einen
Platz gegeben, in dem man sich miteinander austauschen und
gleichzeitig Menschen erreichen konnte, die man über die eigene
Lebensrealität aufklären konnte. Nicht Betroffene konnten
beispielsweise am Alltag von Menschen mit Behinderung teilhaben.
Oder mit Menschen mitfühlen, die unter diktatorischen Regimen
leiden. Diese direkte Teilhabe hat viele von uns ein Stück
empathischer gemacht. Wenn aber diese menschlichen Bereiche von
Twitter auf lupenreine Nazis oder Trolle treffen, wird es unschön.
Ohne Blocken, Muten und ausgewähltes Folgen geht da nichts. Ein
bisschen wie im wahren Leben. Auch meine Block- und Mute-Listen
sind sehr, sehr lang. Auch weil ein negativer Aspekt von Twitter
eindeutig der ist, dass Trolltum von einigen als Sport betrieben
wird und das Resultat auf der anderen Seite des Bildschirms dann
ein gesteigerter Blutdruck ist. Das muss man nicht haben. Ich kann
mich allerdings glücklich schätzen, dass 99% meiner Follower mich
auch wie einen Menschen behandeln. Ich bin mit kleineren und
größeren Fehlern schon das eine oder andere Mal an einem Shitstorm
vorbei geschlittert, der nicht passiert ist, weil meine Follower
vorsichtig nachgefragt oder auf etwas hingewiesen haben, was ich
übersehen hatte. Daher allen 10.000 Bots und 3.220 Menschen
(Anmerkung aus dem Korrekturlesen: Hier sieht man den kleinen
Exodus-Effekt von Musk, aktuell sind es fast 200 Follower weniger),
die mir bis dato auf Twitter folgen ein dickes Danke: War ne wilde
Zeit bisher und das insbesondere dank Euch. Ich sage bewusst
bisher, denn obwohl ich gerade Twitter dank Musk beim Implodieren
zuschaue, zeigt die extrem produktive Stimmung gerade einen Aspekt
von Twitter, der die Plattform so einzigartig macht: Man hat das
Gefühl, sich auf einer Party zu befinden, die bald von der Polizei
aufgelöst werden wird, weil der Hausbesitzer gewechselt hat während
die Party läuft. Der neue Besitzer hielt es für eine gute Idee,
Teile des Hauses anzuzünden und eine Lockerungssprengung im Keller
vorzunehmen. Statt an der Tür für den VIP-Raum wie gewohnt eine
Ausweiskontrolle vorzunehmen, wollte er Tickets verkaufen und die
Musik ist auch schlechter geworden. Aber in der Küche haben sich
die Menschen zusammengefunden, die seit über 10 Jahren die Seele
der Party sind. Hier werden zwischen Snacks und Getränken die
besten Geschichten und die schönsten Witze erzählt. Gemeinsam
wartet man mit Galgenhumor auf das Morgengrauen und die Antwort auf
die Frage: Steht das Haus morgen noch? Wird es explodieren? Erneut
verkauft? Oder Stein für Stein abgetragen, bis nur noch ein
Limonadenstand übrig ist? So oder so: Jeder legt schon mal ein
Handtuch auf die Liege drüben bei Mastodon, für den Fall. Mich
findet Ihr dort unter: @dominikhammes@mendeddrum.org sagt doch
hallo.
überwürzt und halbroh. Als ich Mitte November einen Blogbeitrag
begann, der vor allem eine emotionale Momentaufnahme sein sollte,
war mir nicht klar, wie chaotisch die kommenden Tage und Wochen in
der Causa Twitter noch werden sollten. Jeden Tag, teilweise
mehrfach, schreibt Musk selbst ein neues Kapitel der Seifenoper
rund um dieses Medium/diese Website/dieses Social Network und
inszeniert sich selbst irgendwo zwischen Troll, unbeholfenem
Möchtegernkomiker und eiskalt kalkulierendem Geschäftsmann. Das
Ganze ist so faszinierend und verstörden, dass Dennis Horn und
Gavin Karlmeier sich in einem (nahezu?) täglichen Podcast
ausschließlich mit diesem Thema befassen: „Haken dran – das
Twitter-Update“ wurde dank dieser simplen wie anstrengenden Mission
zu einem viel zitierten und verdienten Erfolg. Grund genug, Gavin
Karlmeier spontan via Twitter (obviously) zum Gespräch zu laden,
das den Hauptteil der zu diesem Blogpost gehörenden Audioebene
bildet. Es war mir ein Anliegen und ein Vergnügen mit Gavin über
diesen Clusterfuck an Gesamtsituation zu sprechen und ich hoffe Ihr
genießt das Gespräch ebenso. Hier nun aus historischen Gründen der
Originalblogpost: Calm your tits, Dominik. It’s just a website.
Guten Morgen Kinners. Ich bin heute Nacht gegen 2 Uhr morgens
aufgewacht. Keine Ahnung ob es die Verdauung, die Harnblase,
Existenzangst oder die Gesamtsituation war. Es ist 2022 und ich bin
Ü40, es ist ein Wunder, dass ich überhaupt schlafen kann.
Vielleicht war es aber auch mein sechster Sinn für Social Media:
Was sich seit dem Kauf von Twitter durch Elon Musk abgezeichnet
hatte, kickt langsam in den Super Pursuit Mode: Musk nimmt Kurs auf
den Eisberg um zu schauen wie unsinkbar das Schiff Twitter ist.
Also: Seine eigentliche Absicht ist seit Kurzem „Twitter 2.0“
umzusetzen und da man dafür „sehr hardcore“ sein muss, hat er
Mitarbeitern das tolle Ultimatum gestellt, doch härter und mehr zu
arbeiten (vermutlich bei gleichem Gehalt) oder gegen Abfindung das
Unternehmen zu verlassen. Keine Ahnung in welchem
Alphamalebullshitberaterseminar er solche Verhandlungstaktiken
gelernt hat aber seine Motivationsdiarrhö kam bei einigen Hundert
der noch verbliebenen Mitarbeiter (er hatte zuvor schon circa die
Hälfte gefeuert) nicht so gut an. Mittlerweile sind so viele
Arbeitskräfte weg oder werden es bald sein, dass einige ehemalige
Mitarbeiter überzeugt sind, dass die Technik der Platform bald
anfangen wird zu bröckeln. (Ich habe hier bisher größtenteils
diesen sehr guten Artikel von The Verge paraphrasiert und
kommentiert:
https://www.theverge.com/2022/11/17/23465274/hundreds-of-twitter-employees-resign-from-elon-musk-hardcore-deadline)
Die Tatsache, dass die Nutzer von Twitter aktuell natürlich
vermehrt auf Twitter den potentiellen Untergang von Twitter
vertwittern wird die Twitter-Server nicht gerade weniger stressen.
Es könnte also sein, dass wir einmal mehr dabei zusehen werden, wie
ein soziales Netzwerk zerrissen wird. Da Twitter für mich seit
geraumer Zeit eine Art zweite digitale Heimat ist, ist dies wohl
Anlass genug für einen kurzen Rückblick. Das wird heute in Teilen
ein wenig überemotional. Verzeiht es mir, ich bin ein alter Mann
ohne Schlafrhythmus. Wer mir auf Twitter folgt, kann dort
nachlesen, dass ich bereits seit September 2009 auf der
Microblogging-Platform (hahaha) unterwegs bin. Nur stimmt das so
nicht. Meinen ersten Account hatte ich schon im März des gleichen
Jahres, der war und ist aber ausschließlich englischsprachig. 2009
war auch das Jahr in dem Kevin Körber und ich gemeinsam mit dem
Podcasten anfingen. Die MedienKuH war von Anfang an ein Podcast,
der neben seinen Hauptthemen (Film, Funk und Fernsehen) auch
Twitter thematisierte und dessen Twitter-Account wir immer wieder
nutzten um klassische Medien zu kommentieren und um mit Hörern in
den Austausch zu treten. Da auch die Accounts diverser
Fernsehsender mit uns interagierten wirkten wir schnell relevanter
als wir vielleicht sind. Naja, nicht unsere Schuld, da seid Ihr
selbst seit Jahren drauf reingefallen. Ganz persönlich hatte ich
einfach Freude daran, ohne Fallhöhe sehr schlechte bis mäßig
witzige Kurztexte auf Twitter zu schreiben, GIFs zu posten (GIFs
sind das wichtigste Medium des 21 Jahrhunderts und egal was Stephen
Wilhite gesagt hat, man spricht es mit einem harten G aus.
Außerdem: Der Blog. Don’t at me.) und mit Menschen zu quatschen.
Den Außenstehenden Twitter zu erklären, hat bis heute nicht richtig
funktioniert. „If you have to ask, you will never know“ ist hier
wie so oft die Wahrheit. Was natürlich auch damit zusammenhängt,
dass man von 10 unterschiedlichen Menschen 27,5 absolut andere
Antworten auf die Fragen „Was ist Twitter?“, „Wie funktioniert
es?“, „Was magst Du daran“ und „Wie nutzt Du es?“ bekommt. An
dieser Stelle drücke ich auch meine ewige Hassliebe für Nutzer der
Platform aus, die „Du hast Twitter nicht verstanden“ und „Twitter
ist kein Chat“ gepostet haben. Wie Sprache, entwickeln soziale
Medien nunmal Eigendynamiken und Nischen in denen Dinge jeweils
etwas anders laufen als man sich das vorstellt und anders als es
vielleicht mal anfing. Letzteres sieht man auch an Accounts, die
auf Twitter einen großen Hype mit daraus resultierendem Business
mitgemacht haben – Bücher, TV-Shows etc. und jetzt: Tweets des
gleichen Stils, der gleichen Qualität und niemanden kümmert es.
Mein Lieblingsfakt unter den absurden Twitter-Fakten: der Account
„Shit My Dad Says“ wurde so erfolgreich, dass eine Sitcom mit
William Shatner in der Hauptrolle produziert wurde. Shatner
promotet jetzt übrigens irgendwelchen Crypto-NFT-Bullshit auf
Twitter. Nun. Ganz persönlich und beruflich (kann man bei mir ja
nie wirklich trennen) habe ich so viele gute und wichtige Dinge auf
auf Twitter über- und erlebt, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen
soll. Kurz zusammengefasst: Twitter hat sowohl Jobnetzwerke als
auch Dating-Plattformen (auch wenn das damals sowieso vor Tinder
war. Ich richte hier auch ausdrücklich Grüße von meiner Frau aus.)
für mich komplett überflüssig gemacht. Die erfolgreichsten
Bewerbungsgespräche und Jobgelegenheiten sind über Twitter
entstanden. Ohne Twitter kein Radio Nukular und alles was danach
kam – klar, man kann natürlich immer argumentieren, dass die
entsprechende Kommunikation auch über Facebook, Email, Telefon etc.
hätte stattfinden können. Hat sie aber nicht. Darüber hinaus gibt
es auch Momente, die so typisch für Twitter sind, dass ich sie mir
auf anderen Plattformen kaum vorstellen kann: Ein direkter
Austausch mit Neil Gaiman über unsere liebsten Versionen des
Cohen-Songs „Tower of Song“ oder sein Porridge-Rezept. Interviews
mit Tommy Krappweis oder Kevin Smith, die nur über
Twitter-Interaktionen zu Stande kamen. (Im Falle von Smith wird mir
auch zuweilen vorgeworfen, ich hätte ihn ja quasi erpresst.
Verstehe das Argument aber teile es nicht, bester Beleg: ein
zweites Interview, dem er ganz ohne Twitter-Kampagne zugesagt
hatte). Aber selbst wenn ich Twitter nur passiv und privat (guter
Buchtitel) genutzt hätte, hätte mir die Vogelseite einiges geboten.
Der Mix aus schnellen Nachrichten, relativer Gleichberechtigung von
kleinen Accounts neben größeren (die wiederum die kleinen Accounts
durch einen einzigen Mausklick nach vorne bringen können),
persönlichen und professionelleren Tweets… da ist wirklich eine
süchtig machende Digitalmaschine entstanden – for better or worse.
Twitter ist außerdem wirklich mitverantwortlich für oder zumindest
direkt verknüpft mit so vielen Erfahrungen, die ich in den letzten
13 (!) Jahren machen durfte, dass ich gar nicht anders kann, als
ein wenig nostalgisch und traurig zu werden. Auch hier gilt
natürlich „your experience may vary“ und auch „wie man in den Wald
ruft…“. Viele die das hier lesen, werden gar nichts oder nur wenig
positives mit Twitter verbinden und ja: Die Dynamiken der Plattform
haben auch viel Bullshit, toxisches Verhalten und buchstäblichen
Faschismus befördert. Zeitgleich hat Twitter auch Minoritäten einen
Platz gegeben, in dem man sich miteinander austauschen und
gleichzeitig Menschen erreichen konnte, die man über die eigene
Lebensrealität aufklären konnte. Nicht Betroffene konnten
beispielsweise am Alltag von Menschen mit Behinderung teilhaben.
Oder mit Menschen mitfühlen, die unter diktatorischen Regimen
leiden. Diese direkte Teilhabe hat viele von uns ein Stück
empathischer gemacht. Wenn aber diese menschlichen Bereiche von
Twitter auf lupenreine Nazis oder Trolle treffen, wird es unschön.
Ohne Blocken, Muten und ausgewähltes Folgen geht da nichts. Ein
bisschen wie im wahren Leben. Auch meine Block- und Mute-Listen
sind sehr, sehr lang. Auch weil ein negativer Aspekt von Twitter
eindeutig der ist, dass Trolltum von einigen als Sport betrieben
wird und das Resultat auf der anderen Seite des Bildschirms dann
ein gesteigerter Blutdruck ist. Das muss man nicht haben. Ich kann
mich allerdings glücklich schätzen, dass 99% meiner Follower mich
auch wie einen Menschen behandeln. Ich bin mit kleineren und
größeren Fehlern schon das eine oder andere Mal an einem Shitstorm
vorbei geschlittert, der nicht passiert ist, weil meine Follower
vorsichtig nachgefragt oder auf etwas hingewiesen haben, was ich
übersehen hatte. Daher allen 10.000 Bots und 3.220 Menschen
(Anmerkung aus dem Korrekturlesen: Hier sieht man den kleinen
Exodus-Effekt von Musk, aktuell sind es fast 200 Follower weniger),
die mir bis dato auf Twitter folgen ein dickes Danke: War ne wilde
Zeit bisher und das insbesondere dank Euch. Ich sage bewusst
bisher, denn obwohl ich gerade Twitter dank Musk beim Implodieren
zuschaue, zeigt die extrem produktive Stimmung gerade einen Aspekt
von Twitter, der die Plattform so einzigartig macht: Man hat das
Gefühl, sich auf einer Party zu befinden, die bald von der Polizei
aufgelöst werden wird, weil der Hausbesitzer gewechselt hat während
die Party läuft. Der neue Besitzer hielt es für eine gute Idee,
Teile des Hauses anzuzünden und eine Lockerungssprengung im Keller
vorzunehmen. Statt an der Tür für den VIP-Raum wie gewohnt eine
Ausweiskontrolle vorzunehmen, wollte er Tickets verkaufen und die
Musik ist auch schlechter geworden. Aber in der Küche haben sich
die Menschen zusammengefunden, die seit über 10 Jahren die Seele
der Party sind. Hier werden zwischen Snacks und Getränken die
besten Geschichten und die schönsten Witze erzählt. Gemeinsam
wartet man mit Galgenhumor auf das Morgengrauen und die Antwort auf
die Frage: Steht das Haus morgen noch? Wird es explodieren? Erneut
verkauft? Oder Stein für Stein abgetragen, bis nur noch ein
Limonadenstand übrig ist? So oder so: Jeder legt schon mal ein
Handtuch auf die Liege drüben bei Mastodon, für den Fall. Mich
findet Ihr dort unter: @dominikhammes@mendeddrum.org sagt doch
hallo.
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