Literaturkritik.de: “Sex im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit”. – eine Rezension von Juliane Prade-Weiss über „Sex Machina“ von Sophie Wennerscheid

Literaturkritik.de: “Sex im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit”. – eine Rezension von Juliane Prade-Weiss über „Sex Machina“ von Sophie Wennerscheid

16 Minuten

Beschreibung

vor 4 Jahren

Schon immer hat sich der Mensch nach der Überschreitung einer
›natürlichen‹ Sexualität gesehnt. Neu ist, dass mit der Schaffung
virtueller Welten und der Fertigung von lebensechten Sexpuppen
und humanoiden Robotern nun die Möglichkeit besteht, dieses
Begehren auch real auszuleben. Bevor aber entschieden werden
kann, ob das die bisherige Begehrensordnung revolutioniert oder
bestehende Geschlechterverhältnisse zementiert, muss die
grundsätzliche Frage gestellt werden, was es heißt, eine Maschine
zu begehren. Anhand zahlreicher Beispiele aus Film, Fernsehen,
Kunst und Literatur, zeigt Sex Machina, wie unterschiedlich
Begehren und Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen
imaginiert und organisiert werden können. Gleichzeitig ist es ein
Plädoyer für einen entspannten Umgang mit Technik, der diese
nicht als funktionale Vervollkommnung, sondern als Eigenart von
Sexualität und Begehren einordnet.


Sophie Wennerscheids Band beleuchtet die Effekte, die moderne
Technologien im Bereich von Begehren, Intimität und Fortpflanzung
bewirken. Der Titel setzt Gentechnik, Digitalisierung, virtuelle
Realität, Künstliche Intelligenz und andere Verfahren suggestiv
mit jenem Deus ex machina in Verbindung, der auf der griechischen
Bühne vermittels einer Theatermaschine zum Erscheinen gebracht
wurde, um dem Geschehen eine ebenso abrupte wie grundsätzliche
Wendung zu geben. Die Szenerie modernen Begehrens verändert sich
Wennerscheid zufolge durch „Techniken, die den Körper auf eine
neue Weise mit anderen Körpern oder Dingen verbinden.“ Die
Regelungen zu physischer Distanz infolge der SARS-CoV-2-Pandemie
haben deutlich gemacht, dass bereits die Frage, ob persönliche
oder lediglich digital vermittelte private und berufliche
Kommunikation möglich ist, gewohnte Auffassungen von Kontakt und
Nähe auf eine harte Probe stellen; umso triftiger ist die
Annahme, dass technische Veränderungen etwa der Fortpflanzung in
Selbstbilder und Beziehungsstrukturen eingreifen. In die
pandemisch angeregte Digitalisierungseuphorie lohnt sich
Wennerscheids Frage einzuwenden: „Aber sind Gefühle
Informationen?“ …


Eine Rezension von Juliane Prade-Weiss

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