Das Lymphödem und assoziierte Morbidität nach primärer Mammakarzinom-Therapie

Das Lymphödem und assoziierte Morbidität nach primärer Mammakarzinom-Therapie

Beschreibung

vor 18 Jahren
Ziel dieser Querschnittstudie war zu untersuchen, wie hoch die
Lymphödemrate und die Häufigkeit der Schultermorbidität bei
Brustkrebspatientinnen im eigenen Kollektiv sind, welche Ausprägung
und Stärke die Beschwerden der Betroffenen zeigen und welche
therapeutischen Maßnahmen angewendet wurden. Im Rahmen dieser
Querschnittstudie handelt es sich um ein Kollektiv von 130
Patientinnen im Zustand nach Therapie eines primären
Mammakarzinoms. Die Therapie wurde zwischen 1988 und 1999 in der
Frauenklinik des Klinikums Großhadern durchgeführt. Die Frauen
wurden im Rahmen der onkologischen Nachsorgesprechstunde betreut.
Die Patientinnen wurden auf Lymphödem und damit verbundene
spezifische Symptome untersucht. Besonderer Wert wurde auf die
Lebensqualität der Betroffenen gelegt. Als weiteres wurde die
Korrelation zwischen Lymphödem oder Schultermorbidität und den in
der Literatur beschriebenen potentiellen Risikofaktoren untersucht.
Dazu gehören: therapeutische Radikalität (erweiterte Mastektomie
vs. brusterhaltende Operation), Zahl der entfernten Lymphknoten,
Zahl der durchgeführten Operationen, Durchführung einer
Strahlentherapie bzw. einer adjuvanten Chemo- und endokrinen
Therapie, erhöhte Blutdruckwerte, Übergewicht und höheres Alter.
Alle Daten wurden mit Hilfe der Statistiksoftware SPSS- 12.0
ausgewertet. Alle Frauen erhielten eine stadienadaptierte
Brustkrebstherapie gemäß den zum Diagnosenzeitpunkt geltenden
Kriterien. Die Operationsart wurde in 2 Gruppen unterteilt:
brusterhaltende Therapie (BET) und erweiterte Mastektomie (ME).
Letzterer Gruppe wurden auch die Patientinnen mit Mastektomie und
Wiederaufbauplastik zugeschrieben. Keine Patientin erhielt eine
Operation nach Halsted. Bei alle Frauen fand eine klassische
Axilladissektion statt. Die Axilla wurde bis Level II (in einzelnen
Fällen bis Level III) ausgeräumt. In unserem Patientenkollektiv
erhielt niemand ein Lymphknoten -Sampling oder eine Sentinel-
Lymphonodektomie. Die Patientinnencharakteristika stellen sich so
dar: 43,8% der Primärtumore waren bis 2 cm groß (T1), 43,0 % der
Primärtumore befanden sich im Stadium T2. Fortgeschrittene Stadien
(T3 und T4) wurden in 12,5% der Fälle beobachtet. Primär
metastasierte Karzinome wurden aus dieser Studie ausgeschlossen. In
0,7 % der Fälle (1 Fall) konnte kein definiertes Tumorstadium (Tx)
anamnestiziert werden. Die Axilla war zu 50,8 % tumorfrei.
Durchschnittlich hat man in unserem Kollektiv 17,7 Lymphknoten
untersucht ( min. 8 LK, max. 40 LK). Im Bezug auf die Histologie
waren 85% der Fällen invasiv duktale Mammakarzinome, 10,0 % invasiv
lobuläre und 5,0% andere Tumore. Eine brusterhaltende Therapie war
in 61 Fällen (46,9%) möglich, eine erweiterte Mastektomie erhielten
69 Patientinnen (53,1%), davon 7,7% eine erweiterte Mastektomie mit
einer Wiederaufbauplastik. Eine Strahlentherapie wurde bei 94
Patientinnen (72,4%) durchgeführt. Davon wurden 65,0% im Bereich
der Restbrust, 23,4% im Bereich der Thoraxwand, 39,0% im Bereich
des HSI- Feldes und 7,4% in der Axillaregion bestrahlt. Zum
Zeitpunkt der Untersuchung wurden im Patientinnenkollektiv folgende
Besonderheiten festgestellt: einen Schwerbehindertenausweis besaßen
aufgrund des Mammakarzinoms 65,5% (94 Pat.), eine Patientin aus
unserem Patientengut hatte eine Scapula alata, die seit der
Operation bestand und im Verlauf keine wesentlichen Veränderungen
zeigte. 59,2% (77Pat.) hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung
Schmerzen, Dysästhesien wurden in 56,2 % (73 Pat.) der Fälle
beschrieben, 10,0% (13 Pat.) hatten am operierten Arm bereits eine
Infektion gehabt. Schmerzmedikamente aufgrund von Beschwerden im
operierten Arm nahmen 12,3 % (16 Pat.) - 66 - ein. Manuelle
Lymphdrainagen wurden von 61,5 % (80 Pat.) zu unterschiedlichen
Zeitpunkten gebraucht. Einen Armstrumpf trugen 16,9 % (22 Pat).
35,8 % (46 Pat.) hatten regelmäßig eine Krankengymnastik. In
unserem Patientenkollektiv zeigten 25% der Betroffenen eine
Umfangsdifferenz von mehr als 2cm an einem oder mehreren
Messpunkten vom operierten zum nicht operierten Arm. Am häufigsten
trat das Lymphödem im Bereich des Oberarmes (Messpunkt OA1 16% und
Messpunkt OA2 18%) auf. Der Unterarm war deutlich weniger betroffen
(UA1 13% und UA2 nur 1,5%). Ein Ödem im Bereich der Hand zeigte
eine einzige Patientin, die insgesamt ein massives Lymphödem
entwickelt hat. Bei der subjektiven Lymphödemeinschätzung, als
Armödemneigung bezeichnet, waren nur 50% (65 Pat.) der Befragten
beschwerdefrei, bei 29,2 % (38 Pat.) waren die Beschwerden leicht,
bei 17,7 % (23 Pat.) mäßig und bei 3,1 % (4 Pat.) sehr ausgeprägt.
Bei der Frage nach einem Thoraxwandödem gaben 80,8 % (105 Pat.)
keine Beschwerden an, 13,8 % (18 Pat.) beschrieben ein leichtes und
5,4 % (7 Pat.) ein mäßiges Ödem. Im Bereich der Thoraxwand litt
keine einzige Patientin subjektiv an einem schweren Lymphödem.
Subjektiv stuften die Patientinnen die Beschwerden etwas
ausgeprägter ein, als es die objektive Messung gezeigt hätte. Der
Zeitpunkt der Entstehung des Lymphödems konnte in dieser Arbeit
verfolgt werden. 47% aller Lymphödeme bestehen bereits seit der
Operation, 16% bilden sich nach der Strahlentherapie, 4% nach einer
Injektion in den ipsilateralen Arm und 12% im späteren Verlauf
spontan. Bei der Messung einer Beweglichkeitseinschränkung wurde
eine Einschränkung von mehr als 20 Grad zum Normalwert als
pathologisch gewertet. Damit hatten 24,6% (32 Pat.) ein motorisches
Defizit bei der Abduktion/Adduktion und 18,3% (24 Pat.) ein
motorisches Defizit bei der Elevation im Schultergelenk. Da nur
drei Patientinnen eine Einschränkung bei der Rotation und eine
Patientin bei der Beugung im Ellenbogengelenk aufwiesen, wurde eine
statistische Auswertung dieser Probleme nicht durchgeführt. Es
wurde untersucht, ob Operationsart, Operationszahl, Zahl der
untersuchten Lymphknoten, Tumorstadium, adjuvante Chemo- und
Hormontherapie, arterielle Hypertonie und Übergewicht in unserem
Kollektiv das Entstehen des Lymphödems oder von
Beweglichkeitseinschränkungen begünstigt hatten. Von den
überprüften Faktoren hatten nur Übergewicht und arterielle
Hypertonie einen signifikanten Einfluss auf das Entstehen eines
Lymphödems und Übergewicht hatte einen Einfluss auf das Entstehen
von Beweglichkeitsstörungen im Schultergelenk. Dies ist in anderen
Studien ebenfalls belegt [13, 52, 83]. Patientinnen mit Übergewicht
haben ein höheres Risiko für die Entwicklung eines Lymphödems nach
kompletter Axilladissektion. Solche Patientinnen sollten über
Präventionsmaßnahmen informiert werden, sowie rechtzeitig eine
entsprechende Therapie erhalten. Des weiteren zeigte sich ein Trend
zu mehr Lymphödem bei Frauen mit adjuvanter Hormontherapie [13]. Es
wird angenommen, dass die Anzahl der entfernten Lymphknoten eine
Rolle im Lymphödemausmaß spielen kann. Hier zeigte sich
überraschenderweise, dass in keinem der 5 Messpunkte die Anzahl der
entfernten Lymphknoten mit der Umfangsdifferenz korrelierte. In
unserem Kollektiv scheint die Zahl der entfernten Lymphknoten keine
wesentliche Rolle bei der Entstehung des Lymphödems zu spielen. Da
alle Frauen im untersuchten Kollektiv nach der gleichen Methode
operiert wurden, die eine Dissektion des gesamten Lymph- und - 67 -
Fettgewebes der Level I und II der Axilla zum Ziel hatte, kann man
annehmen, dass nur das Ausmaß der zerstörten Lymphbahnen und nicht
die Anzahl der darin eingeschalteten Lymphknoten die entscheidende
Rolle bei der Entstehung der Armmorbidität spielt. Bei der
Sentinellymphknotenmethode wird im Gegensatz dazu auf das Zerstören
des lymphatischen Gewebe verzichtet. Seitdem die Halsted-Ära vorbei
ist und die modifizierte radikale Mastektomie und sogar die
brusterhaltende Therapie schon längst ein „Goldstandard“ in der
operativen Therapie des Mammakarzinoms sind, sieht man keinen
relevanten Unterschied in der Lymphödementstehungsrate zwischen
radikaler und brusterhaltender Therapie mehr [18, 34]. Dies wird
auch durch unser Patientenkollektiv bestätigt. Die
Strahlentherapie, die als klassischer Faktor für das Entstehen des
Lymphödems verantwortlich galt, spielte in unserem
Patientinnenkollektiv keine signifikante Rolle (uni- und
multivariate Analyse). Auch bei der subjektiven
Lymphödemeinschätzung spielte die Strahlentherapie keine Rolle im
Entstehen des Ödems (p nicht signifikant). In unserem Kollektiv
könnte dies natürlich ein Effekt der kleinen Fallzahl sein.
Möglicherweise hatte aber auch der weitgehende Verzicht auf eine
Axillabestrahlung die entscheidende Bedeutung. Zur
Axillabestrahlung besteht heute eine sehr strenge
Indikationsstehlung (z.B. bei R2- Resektion in der Axilla oder
ausgedehnterer Infiltration ins Fettgewebe), weil es die
Lymphödemrate bis auf 36% erhöhen kann. In unserem
Patientenkollektiv erhielten nur 7 Patientinnen eine
Axillabestrahlung. Allerdings könnten auch die modernen Formen der
Strahlentherapie mit homogener Dosisverteilung bis zu ca. 50,0 Gy,
exakterer Planung und geringerer Belastung der Haut einen Beitrag
hierzu geleistet haben. In der Literatur findet man oft Daten über
die Bedeutung des Lymphödems und der Beweglichkeitsstörungen für
die Lebensqualität der Betroffenen. Unsere Ergebnisse bestätigen
die Literatur und zeigen wie häufig subjektive Beschwerden
auftreten. Zusammenfassend zeigt diese Untersuchung die oft
unterschätzte Häufigkeit von Lymphödemen, Beweglichkeitsstörungen
in der Schulter und damit assoziierten Symptomen bei klassischer
Behandlung eines Mammakarzinoms. Ein Ansatz, diese Probleme zu
minimieren, stellt die Sentinel-Lymphknotenmethode dar. Um die
Validität dieses Konzeptes zu überprüfen wäre der nächste logische
Schritt die Untersuchung von Patientinnen unseres Hauses, die nach
der Sentinelmethode operiert wurden, bezüglich Prevalenz und
Inzidenz der Schulter- und Armmorbidität zu untersuchen.

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