Trisomie-21: Psychosoziale Versorgungsstrukturen für Betroffene und Familien und ihr Einfluss auf die Entwicklung

Trisomie-21: Psychosoziale Versorgungsstrukturen für Betroffene und Familien und ihr Einfluss auf die Entwicklung

Beschreibung

vor 13 Jahren
Die vorliegende Querschnittsstudie befragte bundesweit 1113
Betreuungspersonen von Menschen mit Trisomie-21, in den meisten
Fällen deren Eltern. Auf dieser Grundlage wurde herausgestellt,
welche Anforderungen Eltern an die Ärzte bei der Vermittlung der
Erstdiagnose „Down-Syndrom“ stellen und ob dieser Faktor und welche
anderen die mentale Entwicklung der Kinder mit Trisomie-21
beeinflussen. Es stellte sich heraus, dass die Wünsche der Eltern
sich im Laufe der letzten Jahrzehnte kaum veränderten, die
Verbesserungen aber teilweise nur zögerlich zu verzeichnen sind:
Größere Fortschritte scheint es in der allgemeinen Haltung zu
geben, wie die Trisomie-21 Kinder am besten versorgt werden –
heutzutage wachsen sie überwiegend in ihren Familien auf. Auch
waren die Ärzte umsichtiger in der Terminologie – vor allem
bezüglich der Verwendung des Ausdrucks „Mongolismus“ – geworden.
Beide Punkte sind sicher auch durch die Fortschritte in der
Integration von Menschen mit Trisomie-21 begründet. Neuere
Diagnoseverfahren führten zudem offenbar dazu, dass die Eltern in
jüngerer Zeit in der Regel schneller die Diagnose erfuhren, als
dies früher der Fall war und oft bemängelt wurde. Trotzdem war die
Gesamtzufriedenheit mit der Erstdiagnose bei den Eltern nicht
wesentlich gewachsen, in der vergangenen Dekade sogar wieder
rückläufig. Durch die zahlreichen Informationsquellen, die
interessierten Eltern heute zur Verfügung stehen, und durch ihren
Austausch mit andern Betroffenen in Selbsthilfegruppen steigt der
Anspruch an eine optimale Versorgung der Kinder an. Die bestehenden
Kritikpunkte betrafen zumeist die Ärzte und ihr Verhalten selbst.
Es stellt sich die Frage, ob hier vielleicht Rückschlüsse auf ein
Versäumnis in der Ausbildung der Ärzte zu ziehen sind. Dass
Einfühlungsvermögen und Takt in Situationen wie der Vermittlung der
Erstdiagnose „Trisomie-21“ unbedingt notwendig sind, erscheint
jedem klar, doch nicht wenige Eltern hatten schockierende
Erlebnisse diesbezüglich zu berichten. Eltern können sich erinnern,
wie sie „behandelt“ wurden. So wird es Patienten generell ergehen.
Dies zu beobachten muss ein Ziel ärztlicher Diagnostik, Therapie
und vor allem Beratung sein. Eltern, die ein Kind z.B. mit einer
mentalen Entwicklungsstörung geboren haben, benötigen Zeit, das
schwer Verstehbare verstehen und akzeptieren zu können. An diesem
Verstehensprozess sind alle Fachgruppen zu beteiligen. Besonders
fatal ist es, wenn pauschalierende Aussagen zu
Entwicklungsprognosen bei solchen Kindern abgegeben werden und
nicht darauf geachtet wird, dass gerade ein Kind mit Trisomie–21
sich sehr unterschiedlich entwickeln kann. Häufig wurde Kritik
geäußert, dass nicht genug oder veraltete Informationen über die
Trisomie-21 selbst und die Möglichkeiten an Unterstützung angeboten
wurden. Das Fachwissen zu einem Syndrom wie dem der Trisomie–21 ist
zwar vorhanden aber nicht allen Ortes. Diese Befragungsstudie zeigt
deutlich, dass Fortbildung hierzu notwendig ist. Es wäre außerdem
denkbar, dass ein „Leitfaden“ den Ärzten ihre Arbeit vereinfachen
könnte, die wichtigsten Punkte im Gespräch mit Eltern von Kindern
mit Trisomie-21 zu beachten. Der Kritik an mangelnder Aufklärung
über mögliche Unterstützugsangebote könnte mit der zusätzlichen
Bereitstellung aktueller Informationsmaterialien begegnet werden.
Es klang außerdem Kritik an der unzureichenden Kooperation der
verschiedenen Disziplinen an, und es ließ sich mangelndes
Ineinandergreifen der zahlreichen involvierten Therapeuten
erkennen. So fiel beispielsweise auf, dass eine Therapie mittels
Stimulationsplatte nach Castillo-Morales oft zu einem ungünstig
späten Zeitpunkt oder ohne begleitende manuelle Therapie
durchgeführt wurde. Dieses Beispiel verdeutlicht exemplarisch, wie
wichtig das Zusammenspiel von Behandlern, Therapeuten und Eltern
für eine wirksame Förderung und/oder Therapie der Kinder mit
Trisomie-21 ist und dass hier Nachbesserungsbedarf besteht. An
anderer Stelle – der Frage zur Diagnosevermittlung – wurde oft die
mangelnde psychologische Begleitung deutlich. Auch hier müssen die
Ärzte und Therapeuten ein ganzheitliches Behandlungskonzept für
ihre Patienten entwerfen. Die Entwicklungsprognose betroffener
Kinder hängt ganz entscheidend davon ab, dass Fachleute
fachübergreifend zusammenarbeiten und Therapie- und Förderpläne
gemeinsam erarbeiten und beschließen. Kinder mit Syndromen,
Mehrfachbehinderungen und auch chronischen Krankheiten aus Familien
mit weniger hohem Bildungsstand bedürfen eines sehr engagierten
Einsatzes durch Fachleute, damit auch diese Kinder - später auch
als Jugendliche – aufgrund zumeist vorhandener Ressourcen gute
Entwicklungschancen haben. Bezüglich der mentalen Entwicklung der
Trisomie-21 Kinder schienen diese Faktoren keinen wesentlichen
Einfluss zu nehmen. Die meisten in dieser Befragung
herausgestellten Einflussgrößen waren im Kind und seiner
Konstitution selbst begründet und äußere Faktoren spielten in
dieser Untersuchung eine untergeordnete Rolle. Umgekehrt war der
Therapieerfolg einer Behandlung nach Castillo-Morales weniger von
der individuellen Entwicklung des Kindes abhängig sondern mehr von
der korrekten Durchführung der Behandlung selbst. Der frühe
Behandlungsbeginn als einer der entscheidenden Faktoren sollte
möglicherweise bei der Erstberatung der Eltern mehr Beachtung
finden. Wie eingangs erwähnt, scheint es eine Korrelation zwischen
wachsender Integration und Verbesserungen der Versorgungsstrukturen
für Kinder mit Trisomie-21 und ihre Familien zu geben. Trotzdem
fiel eine große Diskrepanz zwischen der Zahl von Kindern in
integrativen oder Regelkindergärten und der Anzahl von
Sonderschülern auf. In Einklang mit Ergebnissen anderer Studien
könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass in der Förderung und
Integration von Kindern mit Trisomie-21 große Fortschritte erzielt
worden sind, das Angebot für Jugendliche aber noch stark verbessert
werden kann. Die vorliegende Studie stellt vor allem die Bedeutung
einer kontinuierlichen und fachkompetenten Diagnostik bei den
Kindern mit Trisomie-21 und Beratung für deren Eltern heraus. Sie
zeigt, dass weiterhin ein großer Bedarf von Seiten der Familien
besteht, dass vor allem die ärztliche Beratung einfühlsam erfolgen
muss. Diese Erwartung verstärkt sich bei den Eltern, wenn – wie im
Falle des Syndroms der Trisomie-21 – das Krankheitsbild mit
Vorurteilen behaftet ist und Betroffene von Stigmatisierung bedroht
sind. An dieser Stelle muss möglicherweise überlegt werden, ob über
die vielfältigen Möglichkeiten der Medizin der heutigen Zeit der
Mensch, dem sie ja eigentlich zu Gute kommen soll, zu sehr in den
Hintergrund rückt. Warum beurteilen vor allem Ärzte den Erfolg
ihrer Behandlungsstrategien, müssen nicht unbedingt die betroffenen
Patienten und ihre Familien auch zu Wort kommen, inwiefern sie
manchen Fortschritt überhaupt als Verbesserung für sich persönlich
empfinden? Werden Betroffene vielleicht insgesamt zu wenig nach
ihren Verbesserungswünschen gefragt oder zumindest ihre Äußerung
nicht ernst gemnommen, wenn sich in dieser Studie zeigt, dass
beispielsweise die Bedürfnisse bezüglich des Diagnosevermittlung
seit Jahrzehnten dieselben sind aber nicht adäquat berücksichtigt
zu werden scheinen? Die Erkenntnis aus diesen Beobachtungen muss
sein, dass die Anliegen der Betroffenen sensibler erfasst werden
müssen und dann nur ein gut kooperierendes Team aus Ärzten,
Therapeuten, Psychologen und Betreuungspersonen eine optimale
Versorgung der Kinder mit Trisomie-21 gewährleistet. Die Konsequenz
sollte sein, dass umfassende Behandlungskonzepte unter Einbeziehung
aller Beteiligten konzipiert werden müssen und intensiver Fach
übergreifend zusammengearbeitet werden muss und schon während der
Ausbildung die Inhalte und Konzepte einer guten Gesprächsführung
eingeübt werden müssen. Neben den Säulen Diagnostik – Therapie –
Rehabilitaion im Gesundheitswesen dürfen die wichtigen Säulen
Patientenzufriedenheit und Patientenwünsche nicht vernachlässigt
sondern müssen vielmehr dringend mehr als in der Vergangenheit
beachtet werden (v.Voss, 2009). Ausbildung, Fort- und Weiterbildung
dürfen nicht nur Themen der Medizin-Hoch-Technologie beinhalten.
Die Kunst des ärztlichen Gesprächs, des Zuhörenkönnens und der
empathischen Beratung müssen den Gegenstandskatalog und die
Leitlinien der Fachgesellschaften ebenso lenken und leiten. Die
Trisomie–21 ist ein gutes Beispiel dafür, wie man vielfach
nachlässig mit Menschen mit einer geistigen Behinderung umgeht und
wie schnell die Persönlichkeitsrechte bei den Betroffenen in
Richtung Wahrung der Individualität und Menschenwürde eingeschränkt
werden könnten. Kinder und Erwachsene mit mentalen
Entwicklungsstörungen mit und ohne Syndrom müssen vor
Stigmatisierung bewahrt werden. Das Gesundheits-, Bildungs- und
Sozialsystem müssen erkennen, dass diese Patientengruppen nicht
benachteiligt werden dürfen. Im Gegenteil: unsere Studie zeigt auch
Lichtblicke, wonach Bildung und Förderung für die Patienten und
ihre Familien von größter Bedeutung ist und sie auch Anpruch auf
solche Angebote haben.

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