Der Einfluss von Cholesterin auf die Motilität der äußeren Haarzellen der Meerschweinchencochlea und auf das Motorprotein Prestin

Der Einfluss von Cholesterin auf die Motilität der äußeren Haarzellen der Meerschweinchencochlea und auf das Motorprotein Prestin

Beschreibung

vor 13 Jahren
Gerade in der heutigen Kommunikationsgesellschaft führen
Hörstörungen häufig zu einem Verlust der Arbeitsfähigkeit und
Lebensqualität. Nicht selten enden sie in einer sozialen Isolation
der Patienten. Bisher sind kausale Therapiemaßnahmen zur Behandlung
einer Innenohrschwerhörigkeit nur in begrenztem Umfang möglich. Die
wichtigste Therapieoption besteht darin, den Patienten mit einem
Hörgerät zu versorgen. Nach einer Mitteilung der Bundesinnung der
Hörgeräteakustiker wird die Zahl der ca. 2,5 Millionen in
Deutschland lebenden Hörgeräteträger aufgrund der demographischen
Entwicklung weiter zunehmen. Der Prävention und Behandlung von
Innenohrerkrankungen kommt somit aus sozioökonomischer, aber auch
aus klinischer Sicht eine große Bedeutung zu. Deshalb ist eine
intensive Erforschung der Pathophysiologie von Innenohrstörungen
notwendig. Pathogenetisch spielen neben Ursachen wie Hypoxie, Lärm
und Hypertonie auch metabolische Erkrankungen wie eine
Hypercholesterinämie eine auslösende Rolle. Erste Hinweise auf die
schädigende Wirkung von Cholesterin auf das Innenohr ergab bereits
im Jahr 1962 eine Untersuchung von Samuel Rosen, welcher die
Prevalenz der Presbyakusis bei dem sudanesischen Stamm der Mabaan
mit einer Kontrollgruppe aus den USA verglich. Das verminderte
Auftreten der Altersschwerhörigkeit bei den Mabaan führte er unter
anderem auf eine cholesterinarme Ernährung zurück. Zahlreiche
epidemiologische, klinische und experimentelle Studien bestätigen
diesen Zusammenhang und weisen unter anderem auch auf eine direkte
schädigende Wirkung von Cholesterin auf die Funktion der äußeren
Haarzellen hin. Die äußeren Haarzellen sind in der Lage, durch
Längenänderungen Schallsignale zu verstärken und die Sensitivität
des Corti-Organs zu erhöhen. Dieser Vorgang wird aufgrund seiner
Abhängigkeit vom Membranpotenzial auch Elektromotilität genannt. Er
wird durch Konformationsänderungen des Motorproteins Prestin,
welches in der Zellmembran der äußeren Haarzellen lokalisiert ist,
ausgelöst. Bei einer Depolarisation kommt es zur Verkürzung, eine
Hyperpolarisation führt zur Verlängerung der Zellen. Obwohl
zahlreiche Studien vorliegen, ist die genaue Wirkungsweise von
Cholesterin auf die äußeren Haarzellen noch weitgehend ungeklärt
und Inhalt kontrovers geführter Diskussionen. Die zentrale Aufgabe
dieser Arbeit bestand darin, den Einfluss von Cholesterin auf die
Motilität von äußeren Haarzellen qualitativ und quantitativ zu
untersuchen. Dazu wurden V. Zusammenfassung und Ausblick 65 die
Längenänderungen von insgesamt 77 Zellen bei unterschiedlichen
extrazellulären und intrazellulären Bedingungen gemessen. Die
äußeren Haarzellen wurden aus der Cochlea von Meerschweinchen frei
präpariert und mit der Patch-Clamp-Technik zu Änderungen der
Zelllänge stimuliert. Zur Aufzeichnung dieser Bewegungen diente die
Videomikroskopie auf Subpixelniveau, die eine Auflösung im
Nanometerbereich aufweist. Die Zellen wurden in mehrere
Versuchsreihen aufgeteilt. In einer Versuchsreihe wurden die
Längenänderungen von 12 äußeren Haarzellen bei physiologischen
intra- und extrazellulären Bedingungen gemessen. Diese Zellen
dienten als Kontrollgruppe für die weiteren Experimente. Die
Ergebnisse dieser Versuchsreihe konnten das Bewegungsmuster der
Zellen, das in der Literatur beschrieben worden ist, bestätigen. Es
zeigte sich ein asymmetrischer Verlauf der Bewegungen in
Depolarisations- und Hyperpolarisationsrichtung mit einer maximalen
Längenänderung von ca. 1,5 μm. Um den Einfluss von extrazellulärem
Cholesterin auf die Motilität der äußeren Haarzellen zu
quantifizieren, wurden die Zellen in Abhängigkeit von der
Cholesterinkonzentration untersucht. Insgesamt wurden die
Längenänderungen von 12 Zellen mit 0,1 mmol/l, von 10 Zellen mit
0,5 mmol/l, von 12 Zellen mit 1 mmol/l und von 7 Zellen mit 1,5
mmol/l Cholesterin gemessen. Das Versuchsergebnis ergab einen
konzentrationsabhängigen Einfluss von Cholesterin auf die
Elektromotilität von äußeren Haarzellen. Dieser Effekt war ab einer
Cholesterinkonzentration von 1,0 mmol/l mit einem
Motilitätsrückgang um 29 % bei der maximalen Verkürzung und um 9 %
bei der maximalen Verlängerung signifikant. Gleichzeitig zeigte
sich eine Verschiebung der Spannung Vpkc in die hyperpolarisierende
Richtung. Vpkc entspricht der Spannung, bei der am effektivsten
eine Bewegung der äußeren Haarzellen erzeugt wird. Die Verschiebung
von Vpkc wurde in früheren Studien als Stellschraube für die
Regulation der Elektromotilität gesehen. Mit diesen Ergebnissen
konnte die vorliegende Studie nicht nur den seit Jahrzehnten
diskutierten schädigenden Einfluss von Cholesterin auf die äußeren
Haarzellen nachweisen, sondern auch Hinweise auf eine
Regulationsfunktion von Cholesterin bei der Elektromotilität geben.
Der Einfluss von Cholesterin auf die Elektromotilität beruht sowohl
auf Wirkungen auf die passive Zellmembran, als auch auf das
Motorprotein Prestin. Eine weitere Versuchsreihe sollte Hinweise
liefern, ob der Einfluss von Cholesterin eher das Ergebnis von
Auswirkungen auf die passiven Eigenschaften der Zellmembran
darstellt oder mehr auf einem Effekt auf die Funktion des
Motorproteins Prestin beruht. Dazu wurde bei 12 Zellen durch
Reduktion der intrazellulären Chloridkonzentration die
Prestinfunktion 66 V. Zusammenfassung und Ausblick auf die Hälfte
verringert und extrazellulär 1 mmol/l wasserlösliches Cholesterin
zugegeben. 12 Zellen mit halbmaximaler Prestinfunktion, bei denen
die extrazelluläre Lösung kein Cholesterin enthielt, dienten als
Vergleichsgruppe. Bei den mit einer Cholesterinkonzentration von 1
mmol/l behandelten Zellen mit halbmaximaler Prestinfunktion zeigte
sich ein Motilitätsrückgang um 18 % bei der maximalen Verkürzung
und um 5 % bei der maximalen Verlängerung im Vergleich zu den
Zellen mit halbmaximaler Prestinfunktion ohne Cholesterinzugabe.
Aus dem Vergleich dieser beiden Zellgruppen mit den Zellen, die nur
mit 1,0 mmol/l Cholesterin behandelt wurden, konnte ermittelt
werden, dass Cholesterin stärker auf das Motorprotein Prestin als
auf die physikalischen Eigenschaften der Zellmembran wirkt. Die
Ergebnisse dieser Arbeit unterstützen die in mehreren Studien
diskutierte Vermutung, dass zwischen einer Hypercholesterinämie und
Hörschädigungen ein Zusammenhang besteht. Sie ermöglichen ein
besseres Verständnis der Wirkung von Cholesterin auf die
Hörfunktion. Als präventive Maßnahme könnte neben der Vermeidung
von Lärmbelastung auch die rechtzeitige Diagnose und Therapie einer
Hypercholesterinämie sein. In Studien wurde ein therapeutischer
Effekt einer Senkung des Cholesterinspiegels bei einem Hörsturz
nachgewiesen. Diese klinischen Beobachtungen scheinen bei
Betrachtung der Ergebnisse dieser Arbeit plausibel zu sein. Durch
Senkung des Cholesterinspiegels besteht womöglich eine gute Chance,
erstmals eine suffiziente Therapie des Hörsturzes zu entwickeln.
Die genauen Mechanismen der Wirkung von Cholesterin auf die
Zellmembran bzw. auf das Motorprotein Prestin sind jedoch noch
weitgehend unbekannt. Die in dieser Arbeit beschriebenen Hinweise
auf eine Regulationsfunktion von Cholesterin bei der Motilität von
äußeren Haarzellen bieten durchaus neue Ansatzpunkte für weitere
Untersuchungen auf diesem Forschungsgebiet. Durch das Verständnis
grundlegender Pathomechanismen ergeben sich in Zukunft neue
Möglichkeiten zur Prävention und Therapie von Erkrankungen des
Innenohres wie Altersschwerhörigkeit, Hörsturz und Tinnitus.
Angesichts der steigenden Anzahl betroffener Patienten und der
überragenden Bedeutung des Gehörsinns für das soziale Zusammenleben
sind Erkenntnisse auf diesem Gebiet von großer klinischer Bedeutung

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: