Beschreibung
vor 8 Monaten
Juristische Argumentationstheorie setzt auf Begründungen. Doch was
ist ein Grund? Luhmann kritisiert, dass der Begriff allein nichts
besagt. Eine Begründung ergibt erst Sinn, wenn sie auf ausgewählte
Unterscheidungen verweist. Die Kontingenz dieser Auswahl macht die
Theorie sich nicht ausreichend bewusst. Was ist ein Grund? Den
Grund an sich gibt es nicht. Das sieht man schon daran, dass es
keinen Gegenbegriff gibt, keinen „Ungrund“ oder „Nichtgrund“. Der
Begriff ist keine Zweiseitenform. Wer begründet, muss deshalb auf
begriffliche Unterscheidungen verweisen, die selektiert werden. Wie
bei jeder Auswahl, könnten auch andere Unterscheidungen ausgewählt
werden. Damit sind Begründungen kontingent. Man kann immer weiter
fragen, womit die Begründung begründet wird. Eine Letztbegründung
gibt es nicht. Auch die „Vernunft“ hilft nicht weiter, sie
begründet sich selbst mit sich selbst, ist also autologisch.
Begründungen sind also eine Paradoxie. Sie begründen sich mit
Gründen, die sich nicht endgültig begründen lassen. Um diese
Paradoxie im Alltag zu managen (das heißt: zu invisibilisieren!),
behilft sich die juristische Argumentation mit einer
Ersatzunterscheidung: Man unterscheidet gute und schlechte
Begründungen. Diese Ersatzunterscheidung ist sowohl praktisch wie
auch theoretisch handhabbar. Man stellt Kriterien auf, was eine
gute/schlechte Begründung ausmacht. Diese Kriterien sind jedoch
ebenfalls kontingent. Zwangsläufig sind sie das Ergebnis einer
weiteren Selektion, die anders hätte ausfallen können. Man kann die
Auswahl nur wieder gut oder schlecht begründen. Der Kontingenz aber
entkommt man nicht. Die Erkenntnis, dass Begründungen kontingent
sind, weil sie auf ausgewählte Unterscheidungen zurückgehen, gehört
für Luhmann zu den Errungenschaften des „modernen“ Denkens. Im
Gegensatz dazu war die Vormoderne davon ausgegangen, es gäbe
„objektive“ Wahrheiten, die ein „Subjekt“ nur erkennen müsse. Zum
neuzeitlichen Denken gehört es auch, das Recht als operativ
geschlossenes, autonomes Funktionssystem zu sehen, das Autopoiesis
betreibt. Das heißt, das Rechtssystem produziert alle
Rechtskommunikationen selbst. Dies geschieht, indem es permanent
auf sich selbst verweist – auf andere Rechtskommunikationen des
Systems. Diese Selbstreferenzialität des Rechtssystems wurde in der
Theorie der begründenden Argumentation kaum berücksichtigt. Anstatt
sich auf konkrete Argumentationsweisen in der Praxis zu beziehen,
verlegte sie sich auf Verfahrensprinzipien. Diese werden auch unter
dem Begriff Prozeduralisierung diskutiert. (Siehe Anmerkung am
Textende.) Luhmann kritisiert, dass diese Theorien jedoch vor allem
eigene Argumentationsweisen für bestimmte Verfahren empfehlen
würden, ohne viel Rücksicht darauf, wie JuristInnen tatsächlich
argumentieren. Teils handele es sich um verkappte
Verhaltensvorschriften, die gar nicht umsetzbar sind, z.B. die
Vorgabe, „alle Umstände der Situation“ zu berücksichtigen. An der
juristischen Argumentation selbst, stellt Luhmann fest, gleiten
solche Theorien ab. In der Praxis lebt die Argumentation von der
Verschiedenartigkeit der Fälle. Damit erreicht sie eine hohe
Spezifität, die sich nicht in allgemeine „Prinzipien“ auflösen
lässt. Begründungen verweisen auf Rechtsbegriffe wie „Schuld“ oder
„Haftung“. Ohne Referenz auf einen konkreten Fall wären solche
Begriffe jedoch gar nicht verwendbar. Sie dienen nur als Keywords,
die einen Analogieschluss zulassen. Auf diese Weise können
Fallerfahrungen bewahrt, bestätigt und auf neue Sachverhalte
ausgedehnt werden. Kurz, juristische Argumentation ist nicht aus
Vernunftprinzipien ableitbar. Sie kann sich nicht auf ein
Denkpotential berufen, das allen Menschen gleichermaßen zur
Verfügung stünde. Sondern nur auf ihr eigenes: Argumentiert wird
professionell, auf Basis einer Systemrationalität, die die
rechtliche Kommunikation selbst festlegt. Vollständiger Text:
luhmaniac.de
ist ein Grund? Luhmann kritisiert, dass der Begriff allein nichts
besagt. Eine Begründung ergibt erst Sinn, wenn sie auf ausgewählte
Unterscheidungen verweist. Die Kontingenz dieser Auswahl macht die
Theorie sich nicht ausreichend bewusst. Was ist ein Grund? Den
Grund an sich gibt es nicht. Das sieht man schon daran, dass es
keinen Gegenbegriff gibt, keinen „Ungrund“ oder „Nichtgrund“. Der
Begriff ist keine Zweiseitenform. Wer begründet, muss deshalb auf
begriffliche Unterscheidungen verweisen, die selektiert werden. Wie
bei jeder Auswahl, könnten auch andere Unterscheidungen ausgewählt
werden. Damit sind Begründungen kontingent. Man kann immer weiter
fragen, womit die Begründung begründet wird. Eine Letztbegründung
gibt es nicht. Auch die „Vernunft“ hilft nicht weiter, sie
begründet sich selbst mit sich selbst, ist also autologisch.
Begründungen sind also eine Paradoxie. Sie begründen sich mit
Gründen, die sich nicht endgültig begründen lassen. Um diese
Paradoxie im Alltag zu managen (das heißt: zu invisibilisieren!),
behilft sich die juristische Argumentation mit einer
Ersatzunterscheidung: Man unterscheidet gute und schlechte
Begründungen. Diese Ersatzunterscheidung ist sowohl praktisch wie
auch theoretisch handhabbar. Man stellt Kriterien auf, was eine
gute/schlechte Begründung ausmacht. Diese Kriterien sind jedoch
ebenfalls kontingent. Zwangsläufig sind sie das Ergebnis einer
weiteren Selektion, die anders hätte ausfallen können. Man kann die
Auswahl nur wieder gut oder schlecht begründen. Der Kontingenz aber
entkommt man nicht. Die Erkenntnis, dass Begründungen kontingent
sind, weil sie auf ausgewählte Unterscheidungen zurückgehen, gehört
für Luhmann zu den Errungenschaften des „modernen“ Denkens. Im
Gegensatz dazu war die Vormoderne davon ausgegangen, es gäbe
„objektive“ Wahrheiten, die ein „Subjekt“ nur erkennen müsse. Zum
neuzeitlichen Denken gehört es auch, das Recht als operativ
geschlossenes, autonomes Funktionssystem zu sehen, das Autopoiesis
betreibt. Das heißt, das Rechtssystem produziert alle
Rechtskommunikationen selbst. Dies geschieht, indem es permanent
auf sich selbst verweist – auf andere Rechtskommunikationen des
Systems. Diese Selbstreferenzialität des Rechtssystems wurde in der
Theorie der begründenden Argumentation kaum berücksichtigt. Anstatt
sich auf konkrete Argumentationsweisen in der Praxis zu beziehen,
verlegte sie sich auf Verfahrensprinzipien. Diese werden auch unter
dem Begriff Prozeduralisierung diskutiert. (Siehe Anmerkung am
Textende.) Luhmann kritisiert, dass diese Theorien jedoch vor allem
eigene Argumentationsweisen für bestimmte Verfahren empfehlen
würden, ohne viel Rücksicht darauf, wie JuristInnen tatsächlich
argumentieren. Teils handele es sich um verkappte
Verhaltensvorschriften, die gar nicht umsetzbar sind, z.B. die
Vorgabe, „alle Umstände der Situation“ zu berücksichtigen. An der
juristischen Argumentation selbst, stellt Luhmann fest, gleiten
solche Theorien ab. In der Praxis lebt die Argumentation von der
Verschiedenartigkeit der Fälle. Damit erreicht sie eine hohe
Spezifität, die sich nicht in allgemeine „Prinzipien“ auflösen
lässt. Begründungen verweisen auf Rechtsbegriffe wie „Schuld“ oder
„Haftung“. Ohne Referenz auf einen konkreten Fall wären solche
Begriffe jedoch gar nicht verwendbar. Sie dienen nur als Keywords,
die einen Analogieschluss zulassen. Auf diese Weise können
Fallerfahrungen bewahrt, bestätigt und auf neue Sachverhalte
ausgedehnt werden. Kurz, juristische Argumentation ist nicht aus
Vernunftprinzipien ableitbar. Sie kann sich nicht auf ein
Denkpotential berufen, das allen Menschen gleichermaßen zur
Verfügung stünde. Sondern nur auf ihr eigenes: Argumentiert wird
professionell, auf Basis einer Systemrationalität, die die
rechtliche Kommunikation selbst festlegt. Vollständiger Text:
luhmaniac.de
Weitere Episoden
1 Stunde 35 Minuten
vor 1 Monat
2 Stunden 8 Minuten
vor 1 Monat
1 Stunde 14 Minuten
vor 2 Monaten
1 Stunde 35 Minuten
vor 4 Monaten
1 Stunde 17 Minuten
vor 7 Monaten
In Podcasts werben
Abonnenten
Düsseldorf
Kommentare (0)