Beschreibung
vor 1 Jahr
Im 18. Jh. wandelt sich das hierarchische Verhältnis zwischen
Gesetzgebung und Rechtsprechung in ein zirkuläres. Politik und
Recht werden zu autonomen Funktionssystemen und bestimmen die
Differenz zwischen sich jeweils selbst. Eine Hierarchie kann es
nicht geben. Kein Funktionssystem ist „wichtiger“ als ein anderes.
Jedes erfüllt eine einzigartige, unverzichtbare Funktion für die
Gesellschaft. Das tradierte Denken wirkt jedoch noch nach:
insbesondere die alte iurisdictio-Vorstellung, der nach
Gesetzgebung und Rechtsprechung nur zwei Seiten einer einheitlichen
Aufgabe des Herrschers wären. Die Erfahrung, dass politische Macht
entscheidend dafür gewesen war, ob man sein Recht vor Gericht auch
durchsetzen konnte, lässt sich nicht so leicht vergessen. Der
„zivilgesellschaftliche“ Staatsbegriff betont den Unterschied zum
Militärischen. Zugleich legt er eine Inklusion der Gesellschaft in
die Politik nahe, die im Widerspruch dazu steht, dass sich das
politische System gerade operativ gegen die Gesellschaft schließt.
Das Verhältnis zwischen Politik und Recht wird als
„Weisungshierarchie“ begriffen, Gerichte als ausführendes Organ der
Gesetzgebung. Die Methodik, mit der das Recht zu Urteilen gelangt,
wird als Deduktion (Ableitung) aus Gesetzestexten aufgefasst.
Unterschätzt wird, dass die Interpretationsfreiheit der Gerichte
selbst Recht produziert. Um Gewaltenteilung zu praktizieren,
differenzieren beide Systeme Verfahren und Methodiken aus. Dabei
beobachten sie sich gegenseitig. Nicht nur der Richter muss die
„ursprüngliche Intention“ des Gesetzgebers aus Gesetzestexten
herausinterpretieren können. Auch der Gesetzgeber muss
antizipieren, welche Rechtsstreitigkeiten aus Gesetzen entstehen
könnten, und wie sich diese ggf. in geltendes Recht einfügen
lassen. Auf diese Weise bestimmen beide Systeme immer deutlicher
die Differenz zwischen sich. Wo diese doppelseitigen Bestimmungen
nicht konvergieren, irritieren sie sich gegenseitig. Dann muss
nachgebessert werden. Allmählich weicht die Hierarchie-Auffassung
der Vorstellung eines kybernetischen Zirkels, der sich selbst
steuert. Das Verhältnis der Systeme ist zirkulär: Jedes System
bestimmt die Differenz zwischen sich und dem anderen System selbst.
In der Formsprache des Mathematikers George Spencer Brown heißt
das: Ein Re-entry findet statt, ein „Wiedereintritt der Form in die
Form“. Konkret wird die Unterscheidung von Gesetzgebung und
Rechtsprechung doppelt, auf beiden Seiten der Unterscheidung wieder
eingeführt. Die Politik führt die Unterscheidung auf der
Politikseite wieder ein, das Recht auf der Seite des Rechts. Die
Differenz muss auf beiden Seiten akzeptabel sein. In diesem Prozess
der Voneinander-Abgrenzung sind Gerichte einem Strauß von
Anforderungen ausgesetzt. Sie müssen Gesetze interpretieren. Das
beinhaltet, dass sie auch ihre eigene Bindung ans Gesetz ebenso wie
die des Gesetzgebers interpretieren müssen. Der Zwang,
Entscheidungen zu treffen, macht es möglich, höchstrichterlich von
der Politik Gesetzesänderungen zu fordern, wenn eine rechtliche
Problemlösung anders nicht befriedigt. Schließlich kann das „Verbot
der Justizverweigerung“ zur Norm erklärt und damit verlangt werden,
dass Gerichte alle ihnen vorgelegten Fälle selbst entscheiden
müssen. Dieser Anspruch wirkt wie das i-Tüpfelchen auf der
operativen Schließung gegenüber der Politik. Vollständiger Text auf
luhmaniac.de
Gesetzgebung und Rechtsprechung in ein zirkuläres. Politik und
Recht werden zu autonomen Funktionssystemen und bestimmen die
Differenz zwischen sich jeweils selbst. Eine Hierarchie kann es
nicht geben. Kein Funktionssystem ist „wichtiger“ als ein anderes.
Jedes erfüllt eine einzigartige, unverzichtbare Funktion für die
Gesellschaft. Das tradierte Denken wirkt jedoch noch nach:
insbesondere die alte iurisdictio-Vorstellung, der nach
Gesetzgebung und Rechtsprechung nur zwei Seiten einer einheitlichen
Aufgabe des Herrschers wären. Die Erfahrung, dass politische Macht
entscheidend dafür gewesen war, ob man sein Recht vor Gericht auch
durchsetzen konnte, lässt sich nicht so leicht vergessen. Der
„zivilgesellschaftliche“ Staatsbegriff betont den Unterschied zum
Militärischen. Zugleich legt er eine Inklusion der Gesellschaft in
die Politik nahe, die im Widerspruch dazu steht, dass sich das
politische System gerade operativ gegen die Gesellschaft schließt.
Das Verhältnis zwischen Politik und Recht wird als
„Weisungshierarchie“ begriffen, Gerichte als ausführendes Organ der
Gesetzgebung. Die Methodik, mit der das Recht zu Urteilen gelangt,
wird als Deduktion (Ableitung) aus Gesetzestexten aufgefasst.
Unterschätzt wird, dass die Interpretationsfreiheit der Gerichte
selbst Recht produziert. Um Gewaltenteilung zu praktizieren,
differenzieren beide Systeme Verfahren und Methodiken aus. Dabei
beobachten sie sich gegenseitig. Nicht nur der Richter muss die
„ursprüngliche Intention“ des Gesetzgebers aus Gesetzestexten
herausinterpretieren können. Auch der Gesetzgeber muss
antizipieren, welche Rechtsstreitigkeiten aus Gesetzen entstehen
könnten, und wie sich diese ggf. in geltendes Recht einfügen
lassen. Auf diese Weise bestimmen beide Systeme immer deutlicher
die Differenz zwischen sich. Wo diese doppelseitigen Bestimmungen
nicht konvergieren, irritieren sie sich gegenseitig. Dann muss
nachgebessert werden. Allmählich weicht die Hierarchie-Auffassung
der Vorstellung eines kybernetischen Zirkels, der sich selbst
steuert. Das Verhältnis der Systeme ist zirkulär: Jedes System
bestimmt die Differenz zwischen sich und dem anderen System selbst.
In der Formsprache des Mathematikers George Spencer Brown heißt
das: Ein Re-entry findet statt, ein „Wiedereintritt der Form in die
Form“. Konkret wird die Unterscheidung von Gesetzgebung und
Rechtsprechung doppelt, auf beiden Seiten der Unterscheidung wieder
eingeführt. Die Politik führt die Unterscheidung auf der
Politikseite wieder ein, das Recht auf der Seite des Rechts. Die
Differenz muss auf beiden Seiten akzeptabel sein. In diesem Prozess
der Voneinander-Abgrenzung sind Gerichte einem Strauß von
Anforderungen ausgesetzt. Sie müssen Gesetze interpretieren. Das
beinhaltet, dass sie auch ihre eigene Bindung ans Gesetz ebenso wie
die des Gesetzgebers interpretieren müssen. Der Zwang,
Entscheidungen zu treffen, macht es möglich, höchstrichterlich von
der Politik Gesetzesänderungen zu fordern, wenn eine rechtliche
Problemlösung anders nicht befriedigt. Schließlich kann das „Verbot
der Justizverweigerung“ zur Norm erklärt und damit verlangt werden,
dass Gerichte alle ihnen vorgelegten Fälle selbst entscheiden
müssen. Dieser Anspruch wirkt wie das i-Tüpfelchen auf der
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