65. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 290, K06, V

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Mit welchen Mechanismen bewältigen Funktionssyste…
1 Stunde 15 Minuten
Podcast
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 1 Jahr
Mit welchen Mechanismen bewältigen Funktionssysteme Komplexität?
Selbst erzeugte Komplexität lässt sich reduzieren, indem man sie
temporalisiert. Eine Entscheidung gilt nur noch solange, bis sie
durch eine andere aufgehoben wird. Ein Beispiel dafür ist, dass es
im Rechtssystem kein „ewiges“ Recht mehr gibt, sondern nur noch
positives, menschgemachtes Recht. Und hier gilt: Neues Recht
annulliert altes. Ein weiterer Mechanismus zur Bewältigung intern
erzeugter Komplexität besteht darin, die Varietät der Operationen
zu steigern. Das System lernt, mehr verschiedenartige Operationen
durchzuführen. Der Nachteil ist: Die Redundanz sinkt.
Entscheidungen sind zwangsläufig weniger konsistent; sie werden
folglich als weniger gerecht empfunden. Das wohl wichtigste
Beispiel für diesen Mechanismus ist: Durch die Entwicklung eines
einklagbaren Rechtsanspruchs, der auch den Privatwillen umfasst,
erhöhte das Recht im 19. Jh. seine Varietät. Es passte seine
„Bandbreite“ den Bedürfnissen der sich zunehmend funktional
differenzierenden Gesellschaft an. Dass private Verträge einen
Rechtsanspruch begründen können, führte dazu, dass eine Klage nur
gegen eine Person möglich ist. Man kann nicht gegen
gesellschaftliche Bedingungszusammenhänge klagen oder gegen
Gruppen. Ein Kollektiv kann nicht für einen Schaden haften, den ein
Individuum verursacht hat. In der Folge kommt es zur
Personalisierung der Rechtslagen. Das gesamte Rechtssystem muss
sich darauf umstellen. Auf dieser Basis entstand die Figur der
subjektiven Rechte. Diese können eingeschränkt werden. Das Recht
macht sich die Paradoxie handhabbar, dass Freiheit notwendigerweise
bedingt, dass sie eingeschränkt werden kann. Durch die Figur der
„juristischen Person“ können dann auch Rechtsansprüche gegen
Organisationen geltend gemacht werden. Personalisierung verlangt
auch, dass die Rechtsfähigkeit nicht mehr von sozialer Herkunft
abhängen darf. Jeder muss Anspruch auf Zugang zum Rechtsverfahren
haben. Verfahrensrecht und materielles Recht müssen an diese
Erfordernisse angepasst und miteinander abgestimmt werden. Was uns
heute normal erscheint, bedeutet evolutionstheoretisch eine
Überwindung von Unwahrscheinlichkeit. Denn in der tribalen
Gesellschaft und bis hin in die Ständegesellschaft war es üblich
gewesen, dass Familie und Verbündete im Rechtsstreit Beistand
leisten. Heute ist es umgekehrt. Das klagende und das angeklagte
Individuum sind ausschließlich auf das Rechtssystem angewiesen. Der
einzige zulässige Rechtsbeistand ist – Rechtsbeistand. Zugleich
existieren die sozialen Bindungen, die ein Individuum zur Familie
oder zu Organisationen hat, natürlich weiterhin. Das Rechtssystem
hat auch darauf reagiert. Soziale Bindungen wurden dekomponiert, um
sie mit den Mitteln des Rechts neu aufzubauen. So fungieren z.B.
Rechtsschutzversicherungen oder Berufsverbandsrecht wie eine Art
Ersatzleistung für den verlorenen Beistand durch Familie und
Stämme. Indem das Recht jeden sozialen Einfluss auf die
Rechtsentscheidung abscheidet, verbietet es sich zugleich selbst,
dass soziale Bindungen den Richter beeinflussen dürften. Auf diese
Weise wird erstmals Korruption innerhalb des Rechts überhaupt als
Problem benennbar. Subjektive Rechte sind nicht nur bedeutsam für
den Zugang zum Recht, sondern für den Zugang zu allen
Funktionssystemen. So hat zwar jeder das Recht auf Teilnahme am
Erziehungssystem durch Schulbesuch oder zur Teilnahme an
politischen Wahlen. Doch schon einfache Regeln, die sich
Institutionen systemintern geben, können verhindern, dass die
Rechte wahrgenommen werden können. Z.B., wenn es für die „Teilhabe“
einen festen Wohnsitz braucht. Das Recht auf Zugang zu Politik,
Wirtschaft, Medizin usw. muss individuell mit rechtlichen Mitteln
erstritten werden. Vollständiger Text: auf https://luhmaniac.de

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