Beschreibung
vor 1 Jahr
Bis ins 17. Jh. blockiert das gesellschaftliche Problem
allgegenwärtiger Gewalt die eigenständige Evolution des Rechts.
Erst nachdem das politische System das Gewaltmonopol für sich
beansprucht, kann es ein „öffentliches Interesse“ an
Strafgesetzgebung behaupten und Strafverfolgung rechtlich
durchsetzen. An der Lösung des Gewaltproblems sind Politik und
Recht strukturell gekoppelt. Der III. Abschnitt hatte bereits
gezeigt, dass die eigenständige Evolution des Rechts im 18./19. Jh.
von der Ausdifferenzierung des politischen Systems vorangetrieben
wurde. Die Anzahl und die Bandbreite der rechtlichen Operationen
erhöhten sich dadurch. Nun fragt Luhmann, ob es noch tieferliegende
gesellschaftliche Bedingungen gibt, die eine eigenständige
Rechtsevolution ermöglicht haben. Das heißt zugleich, dass diese
Bedingungen die eigenständige Evolution zuvor blockiert hatten.
Eine solche gesellschaftliche Bedingung besteht in der Lösung des
„Gewaltproblems“. Thomas Hobbes hatte 1651 in seinem Werk
„Leviathan“ die Allgegenwärtigkeit physischer Gewalt zum
Ausgangspunkt seines Gesellschaftsvertrages gemacht, aus dem
letztlich der moderne Territorialstaat mit Gewaltenteilung,
Verfassung und dem Ideal der parlamentarischen Demokratie
hervorging. Weil im „Naturzustand“ jeder gegen jeden Krieg führe,
könnte eine Lösung, die Frieden sichert, nur darin bestehen, dass
jedes Individuum auf sein Urrecht der Gewaltanwendung verzichtet
und es auf einen „Souverän“ überträgt. Der historisch gegebenen
Ausgangslage wird damit eine fiktive, logisch begründete
Ausgangslage entgegengesetzt. Das politische System inkludiert
Gewalt, um Gewalt zu exkludieren. Es konsolidiert sich auf dieser
Machtbasis. Die Paradoxie, dass der Souverän Gewalt ausüben darf,
um Gewalt zu verhindern, wurde aufgelöst durch die Unterscheidung
von legitimer und illegitimer Gewalt. Auch die Paradoxie, dass das
Volk die Quelle der Macht ist und damit zugleich der Souverän und
sein eigener Untertan, wurde aufgelöst durch Unterscheidungen. Das
Volk wurde unterschieden in: Volk, Politik, Verwaltung und Publikum
(Luhmann, „Politik der Gesellschaft“, S. 257). D.h., das
gesellschaftliche Problem physischer Gewalt wurde zu einem
politischen Problem erklärt, regulierbar durch Gesetzgebung, die
Strafdurchsetzung einschließt. Durch das Gewaltmonopol des Staates
können Strafrecht und Zivilrecht getrennt werden. Für die Evolution
des Rechts wirkte dies befreiend. Jahrtausendelang war die Lösung
von Gewaltkonflikten die Hauptfrage des Rechts gewesen. Bis ins
Hochmittelalter war Frieden eine Ausnahme. Die Durchsetzung des
Rechts blieb unsicher. Nun fiel diese Blockade. An diesem Punkt
sind Politik und Recht strukturell gekoppelt, d.h. strukturell
offen für Irritationen aus dem jeweils anderen System. Verarbeitet
wird jede Irritation jedoch in operativer Geschlossenheit. Erst
ihre Kopplung in der Gewalt(en)frage sichert die Autopoiesis beider
Systeme. Diese Entwicklung stellt einen Wendepunkt im
gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt dar. Fortan steht nicht mehr
der Schaden des Opfers im Fokus des Rechts, sondern der Verstoß
gegen das Gesetz. Der Verstoß kann im öffentlichen Interesse
geahndet werden, denn das Individuum hat sein Urrecht, Gewalt mit
Gewalt zu erwidern, an den Staat abgetreten. Die Gesetzgebung kann
nun sogar regeln, dass es rechtens sein kann, gegen geltendes Recht
zu verstoßen, z.B. aus Notwehr. Autopoiesis und strukturelle
Kopplung gehen Hand in Hand. Die Evolution benutzt die Autopoiesis
der anderen Systeme, die sie vorfindet. Auf Umweltanstöße
entwickelt jedes System systemeigene Problemlösungen. Ohne die
politische Lösung des Gewaltproblems wäre die eigenständige
Evolution des Rechts blockiert geblieben.
allgegenwärtiger Gewalt die eigenständige Evolution des Rechts.
Erst nachdem das politische System das Gewaltmonopol für sich
beansprucht, kann es ein „öffentliches Interesse“ an
Strafgesetzgebung behaupten und Strafverfolgung rechtlich
durchsetzen. An der Lösung des Gewaltproblems sind Politik und
Recht strukturell gekoppelt. Der III. Abschnitt hatte bereits
gezeigt, dass die eigenständige Evolution des Rechts im 18./19. Jh.
von der Ausdifferenzierung des politischen Systems vorangetrieben
wurde. Die Anzahl und die Bandbreite der rechtlichen Operationen
erhöhten sich dadurch. Nun fragt Luhmann, ob es noch tieferliegende
gesellschaftliche Bedingungen gibt, die eine eigenständige
Rechtsevolution ermöglicht haben. Das heißt zugleich, dass diese
Bedingungen die eigenständige Evolution zuvor blockiert hatten.
Eine solche gesellschaftliche Bedingung besteht in der Lösung des
„Gewaltproblems“. Thomas Hobbes hatte 1651 in seinem Werk
„Leviathan“ die Allgegenwärtigkeit physischer Gewalt zum
Ausgangspunkt seines Gesellschaftsvertrages gemacht, aus dem
letztlich der moderne Territorialstaat mit Gewaltenteilung,
Verfassung und dem Ideal der parlamentarischen Demokratie
hervorging. Weil im „Naturzustand“ jeder gegen jeden Krieg führe,
könnte eine Lösung, die Frieden sichert, nur darin bestehen, dass
jedes Individuum auf sein Urrecht der Gewaltanwendung verzichtet
und es auf einen „Souverän“ überträgt. Der historisch gegebenen
Ausgangslage wird damit eine fiktive, logisch begründete
Ausgangslage entgegengesetzt. Das politische System inkludiert
Gewalt, um Gewalt zu exkludieren. Es konsolidiert sich auf dieser
Machtbasis. Die Paradoxie, dass der Souverän Gewalt ausüben darf,
um Gewalt zu verhindern, wurde aufgelöst durch die Unterscheidung
von legitimer und illegitimer Gewalt. Auch die Paradoxie, dass das
Volk die Quelle der Macht ist und damit zugleich der Souverän und
sein eigener Untertan, wurde aufgelöst durch Unterscheidungen. Das
Volk wurde unterschieden in: Volk, Politik, Verwaltung und Publikum
(Luhmann, „Politik der Gesellschaft“, S. 257). D.h., das
gesellschaftliche Problem physischer Gewalt wurde zu einem
politischen Problem erklärt, regulierbar durch Gesetzgebung, die
Strafdurchsetzung einschließt. Durch das Gewaltmonopol des Staates
können Strafrecht und Zivilrecht getrennt werden. Für die Evolution
des Rechts wirkte dies befreiend. Jahrtausendelang war die Lösung
von Gewaltkonflikten die Hauptfrage des Rechts gewesen. Bis ins
Hochmittelalter war Frieden eine Ausnahme. Die Durchsetzung des
Rechts blieb unsicher. Nun fiel diese Blockade. An diesem Punkt
sind Politik und Recht strukturell gekoppelt, d.h. strukturell
offen für Irritationen aus dem jeweils anderen System. Verarbeitet
wird jede Irritation jedoch in operativer Geschlossenheit. Erst
ihre Kopplung in der Gewalt(en)frage sichert die Autopoiesis beider
Systeme. Diese Entwicklung stellt einen Wendepunkt im
gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt dar. Fortan steht nicht mehr
der Schaden des Opfers im Fokus des Rechts, sondern der Verstoß
gegen das Gesetz. Der Verstoß kann im öffentlichen Interesse
geahndet werden, denn das Individuum hat sein Urrecht, Gewalt mit
Gewalt zu erwidern, an den Staat abgetreten. Die Gesetzgebung kann
nun sogar regeln, dass es rechtens sein kann, gegen geltendes Recht
zu verstoßen, z.B. aus Notwehr. Autopoiesis und strukturelle
Kopplung gehen Hand in Hand. Die Evolution benutzt die Autopoiesis
der anderen Systeme, die sie vorfindet. Auf Umweltanstöße
entwickelt jedes System systemeigene Problemlösungen. Ohne die
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