62 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 278, K06, III

62 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 278, K06, III

Im 18./19. Jh. erhöht das Recht seine Varietät, w…
53 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 1 Jahr
Im 18./19. Jh. erhöht das Recht seine Varietät, weil es eine
Vielzahl von Gesetzesänderungen infolge der Demokratisierung des
politischen Systems abarbeiten muss. Gesetzgebung trifft auf
Rechtsprechung: An diesem Punkt zeigt sich einmal mehr, wie
unterschiedlich die Funktionssysteme auf Programmebene operieren.
Die Politik verfolgt Ziele und legt Zweckprogramme auf, um ihre
Ziele zu erreichen. Damit setzt sie Normen, die Anlass für
Rechtskonflikte werden können. Das Recht operiert dagegen mit
Konditionalprogrammen: Wenn der Fall gleich ist, dann wird er
gleichbehandelt; wenn er ungleich ist, muss er ungleich behandelt
werden. Dabei bezieht sich das Recht permanent auf sich selbst,
d.h. auf geltendes Recht. Es muss konsistent, in sich
widerspruchsfrei, entscheiden. Nun trifft das Recht auf kaum noch
um Konsistenz bemühte Gesetzestexte, die es auf der Basis von
geltendem Recht konsistent beurteilen muss. Um das Problem
handhabbar zu machen, differenziert sich das Recht stärker aus und
entwickelt in der Praxis Auswege: Interpretationsfreiheiten werden
erhöht, „unbestimmte“ Rechtsbegriffe eingeführt, Doppeldeutigkeiten
gegebenenfalls hingenommen und Abwägungsformeln eingeführt, um
Entscheidungen zu beschleunigen. Durchgängig rechtliche Konsistenz
ist praktisch jedoch nicht mehr haltbar. Das wiederum wirkt auf die
Politik zurück, die bei der Gesetzgebung die jeweils geltende
Rechtslage mitkalkuliert und sich manche Rechtsformel zu eigen
macht. Die zunehmende Inkonsistenz der politischen Gesetzgebung hat
zur Folge, dass Normen leichter geändert werden können. Sie werden
als Einzelnormen kleingeschnitten in kleinere Sinneinheiten, die
sich schneller ändern lassen und womöglich nur als punktuelle
Übergangslösung auf Zeit fungieren. Die Änderbarkeit von politisch
gesetzten Normen durch das Recht wird zur Normalität. Dass auf
diese Weise ein „pluralistisches“ Rechtskonzept entstehen würde,
verneint Luhmann mit Verweis darauf, dass die Autopoiesis
(Selbstreproduktion) der rechtlichen Kommunikation in keiner Weise
angetastet ist. Das Rechtssystem gewinnt stattdessen an Varietät:
Es kann mehr verschiedenartige Operationen durchführen. Dadurch
verliert es jedoch auch an Transparenz gegenüber seiner Umwelt, es
wird schwerer verständlich und legitimierbar. Das Resultat dieser
Evolution ist, dass es nur noch positives, „menschgemachtes“ Recht
gibt; unabhängig von vorherigen Rechtstraditionen. Das Recht
entscheidet als System autonom, was geltendes Recht ist. Es ist
kein logisch geschlossenes, sondern ein operativ geschlossenes
System: Es reproduziert alle Elemente (Kommunikationen), aus denen
es besteht, selbst. Die Geltung des Rechts geht darum auch nicht
auf „Einheit“ zurück, sondern im Gegenteil: auf die Differenz, die
eine spezifisch rechtliche Kommunikation erst in die Kommunikation
der Umwelt hineinzeichnet. Erst diese Differenz konstruiert die
Identität als Funktionssystem mit Alleinzuständigkeit für
Rechtsentscheidungen. Erst durch die Differenz wird jener
Unterschied markiert, der eine Kommunikation als spezifisch
rechtlich kennzeichnet und sie von jeder anderen Art von
Kommunikation abgrenzt.

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