Beschreibung
vor 2 Jahren
Unter welchen evolutionären Bedingungen konnte sich das Recht zu
einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenzieren?
Welche Unwahrscheinlichkeiten mussten überwunden werden? Die wohl
grundlegendste Bedingung ist, dass unerwartete normative
Erwartungen überhaupt kommuniziert werden. Erst Streit macht klar,
dass es unterschiedliche Erwartungen gab. Es entsteht ein Bedarf
nach Schlichtung. Je öfter Schlichtung praktiziert wird, desto
wahrscheinlicher wird es, dass sich damit Erwartungen an eine
„endgültige Klärung“ herausbilden, an der sich auch Unbeteiligte in
Zukunft orientieren können. Dabei ist Konsens gerade kein Merkmal
des Rechts. Es geht im Gegenteil darum, gerade weil es Dissenz
gibt, eine Form zu finden, die es ermöglicht zu entscheiden, welche
normative Erwartung für „berechtigt“ erklärt werden kann – und
welche nicht. Die Erfindung des Verfahrens machte es dann möglich,
den bei einer sozialen Abstimmung noch notwendigen Konsens durch
davon unabhängige Verfahrensregeln und Kompetenznormen zu ersetzen,
die sich selbstreferentiell auf das Recht beziehen. Diese
Problemlösung bedeutete zugleich ein „Einige für alle“-Prinzip.
Damit entscheiden nur noch wenige Experten (Richter und
Gesetzgeber), welche Normen für alle gelten sollen. Dass sich
Rollen herausbilden konnten, in denen „Einige für alle“
entscheiden, setzt die Evolution von Schrift voraus. In der
stratifizierten Gesellschaft war die Beherrschung des Lesens und
Schreibens ein Privileg der höherrangigen Schicht gewesen. Als sich
in Europa ca. ab dem 16. Jh. Politik, Wirtschaft, Recht,
Wissenschaft usw. als je eigene Funktionssysteme
auszudifferenzieren begannen, ging damit auch ein allmählicher
Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsform einher.
Anstelle einer religiös begründeten Platzierung qua Geburt in die
Schicht von Adel oder Volk, kam es zunehmend auf Expertise an, auf
Fähigkeiten, Geschick, Ehrgeiz, Talent, „Genie“ usw. Das so
entstehende „Individuum“ muss sich zunehmend durch zu erwerbende
Fähigkeiten rangmäßig selbst platzieren. In immer mehr
gesellschaftlich notwendigen Funktionen kann die einst
schichtbedingte Eignung durch Profession ersetzt werden. Der Beruf
wird zur sozialen Funktion, die Personen auf Mikroebene erfüllen.
Die Evolution von Verfahren hatte rechtlich weitreichende
Konsequenzen: Variation und Selektion sind nicht mehr dasselbe. Sie
nehmen zwei unterschiedliche Funktionen an. Ohne Verfahren hatte
man Variationen in einer Argumentation invisibilisieren können; die
Abweichung war praktisch kaum überprüfbar. Die Selektion hing nur
von dem ab, was vorgetragen wurde, sie folgte fast zwangsläufig der
Abweichung. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de
einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenzieren?
Welche Unwahrscheinlichkeiten mussten überwunden werden? Die wohl
grundlegendste Bedingung ist, dass unerwartete normative
Erwartungen überhaupt kommuniziert werden. Erst Streit macht klar,
dass es unterschiedliche Erwartungen gab. Es entsteht ein Bedarf
nach Schlichtung. Je öfter Schlichtung praktiziert wird, desto
wahrscheinlicher wird es, dass sich damit Erwartungen an eine
„endgültige Klärung“ herausbilden, an der sich auch Unbeteiligte in
Zukunft orientieren können. Dabei ist Konsens gerade kein Merkmal
des Rechts. Es geht im Gegenteil darum, gerade weil es Dissenz
gibt, eine Form zu finden, die es ermöglicht zu entscheiden, welche
normative Erwartung für „berechtigt“ erklärt werden kann – und
welche nicht. Die Erfindung des Verfahrens machte es dann möglich,
den bei einer sozialen Abstimmung noch notwendigen Konsens durch
davon unabhängige Verfahrensregeln und Kompetenznormen zu ersetzen,
die sich selbstreferentiell auf das Recht beziehen. Diese
Problemlösung bedeutete zugleich ein „Einige für alle“-Prinzip.
Damit entscheiden nur noch wenige Experten (Richter und
Gesetzgeber), welche Normen für alle gelten sollen. Dass sich
Rollen herausbilden konnten, in denen „Einige für alle“
entscheiden, setzt die Evolution von Schrift voraus. In der
stratifizierten Gesellschaft war die Beherrschung des Lesens und
Schreibens ein Privileg der höherrangigen Schicht gewesen. Als sich
in Europa ca. ab dem 16. Jh. Politik, Wirtschaft, Recht,
Wissenschaft usw. als je eigene Funktionssysteme
auszudifferenzieren begannen, ging damit auch ein allmählicher
Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsform einher.
Anstelle einer religiös begründeten Platzierung qua Geburt in die
Schicht von Adel oder Volk, kam es zunehmend auf Expertise an, auf
Fähigkeiten, Geschick, Ehrgeiz, Talent, „Genie“ usw. Das so
entstehende „Individuum“ muss sich zunehmend durch zu erwerbende
Fähigkeiten rangmäßig selbst platzieren. In immer mehr
gesellschaftlich notwendigen Funktionen kann die einst
schichtbedingte Eignung durch Profession ersetzt werden. Der Beruf
wird zur sozialen Funktion, die Personen auf Mikroebene erfüllen.
Die Evolution von Verfahren hatte rechtlich weitreichende
Konsequenzen: Variation und Selektion sind nicht mehr dasselbe. Sie
nehmen zwei unterschiedliche Funktionen an. Ohne Verfahren hatte
man Variationen in einer Argumentation invisibilisieren können; die
Abweichung war praktisch kaum überprüfbar. Die Selektion hing nur
von dem ab, was vorgetragen wurde, sie folgte fast zwangsläufig der
Abweichung. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de
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