Beschreibung
vor 2 Jahren
Als Form blieb die Unterscheidung Gleichheit/Ungleichheit über
Jahrtausende unverändert. Was jedoch als gleich/ungleich gilt, hat
sich historisch gewandelt. Ausschlaggebend hierfür waren mehrfache
Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsformen (segmentär,
ständisch, funktional) sowie die Weiterentwicklung von
Erkenntnistheorien. Um zu veranschaulichen, worauf der
Gerechtigkeitsbegriff der modernen Gesellschaft aufbaut, führt
Luhmann nochmals das Naturrecht an. Naturrecht ging davon aus, dass
alle Dinge von Natur aus gleich oder ungleich sind. Die Erkenntnis
richtete sich nach den Gegenständen. Dem Menschen, der die Dinge
beobachtet, offenbart sich ihr „Wesen“ (durch Beobachtung erster
Ordnung). Es tritt in „Erscheinung“. Streitigkeiten klärten
Autoritäten durch dafür entwickelte Fragetechniken und Methodiken
wie Dialektik. Man ging davon aus, dass These und Antithese zu
einer Synthese führen, die dann mehr oder weniger zweifelsfrei als
„richtige“ Meinung gelten kann. Nachdem Decartes’ methodischer
Zweifel („Ich denke, also bin ich“) 1641 das Subjekt begründet
hatte, läutete Kants „Kritik der reinen Vernunft“ 1781 die
Kopernikanische Wende in der Philosophie ein: Die Gegenstände
richten sich nach der Erkenntnis! Raum und Zeit sind nach Kants
Transzendentalphilosophie die Formen, die dem Subjekt zur äußeren
und inneren Anschauung gegeben sind. Freiheit lässt sich nicht
kausal aus der Natur ableiten, sondern aus der Vernunft. Aus der
Vernunft resultiert auch die Notwendigkeit, Freiheit
einzuschränken. In der Aufklärung gerät der politisierte Begriff
der Menschenrechte mit seinen Prinzipien von angeborener Gleichheit
und Freiheit in direkten Widerspruch zum Recht, das der zugrunde
liegenden Ständeordnung gefolgt war und zwischen Adel/Volk
unterschieden hatte. Gleichheit und Freiheit müssen singularisiert
werden, sie gelten nun für jedes Individuum. Soziale Schichtung
lässt sich rechtlich nicht länger fortsetzen. Das lässt jedoch neue
Widersprüche auftauchen: Wenn jedes Individuum von Geburt an frei
ist, ist Recht Einschränkung von Freiheit. Und es liefert sogar
erst den Anlass zur Ungleichbehandlung. Diese Paradoxien kann auch
der Begriff des Zivilzustandes nicht auflösen, der dem Naturzustand
(abgewählt) eilig entgegengesetzt wird. Aufgelöst werden diese
Paradoxien erst durch ein re-entry. Das heißt in der Formsprache
von George Spencer Brown: Das Unterschiedene wird in die
Unterscheidung wieder eingeführt. Die Gleichheit der Menschen muss
rechtlich akzeptierte Ungleichheit der Fälle akzeptieren. Und die
Freiheit der Menschen muss akzeptieren, dass es eine rechtlich
akzeptierte Notwendigkeit der Einschränkung gibt. Mit diesem
re-entry vollzieht das Rechtssystem seine operative Schließung zu
einem autonomen Funktionssystem. Der Evolutionsschritt besteht
darin, dass der jeweils negative Wert der Unterscheidung
(Ungleichheit sowie Notwendigkeit der Freiheitseinschränkung) in
das Recht integriert wird – und zwar auf der Ebene von Fällen. Die
Unterscheidung von gleichen/ungleichen Fällen wird zum
Hauptgegenstand der rechtlichen Kommunikation. Die Grenze kann
fallweise verschoben werden, ist variabel. Die Entscheidungsfindung
wird kontingent: Es kommt nicht notwendig so, wie man vermuten
könnte; es ist aber auch nicht unmöglich. Mit Begriffen wie
Vernunft, Prinzipien oder Werten lässt sich die rechtliche
Entscheidung nicht mehr herleiten, sondern eben nur noch mit der
normativen Unterscheidung von gleichen/ungleichen Fällen. Das Recht
wird positiv, änderbar. Die unverändert gebliebenen Begriffe und
insbesondere die Menschenrechte verschleiern diese Verlagerung auf
Fallebene, mit der sich das Rechtssystem als Funktionssystem
schließt.
Jahrtausende unverändert. Was jedoch als gleich/ungleich gilt, hat
sich historisch gewandelt. Ausschlaggebend hierfür waren mehrfache
Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsformen (segmentär,
ständisch, funktional) sowie die Weiterentwicklung von
Erkenntnistheorien. Um zu veranschaulichen, worauf der
Gerechtigkeitsbegriff der modernen Gesellschaft aufbaut, führt
Luhmann nochmals das Naturrecht an. Naturrecht ging davon aus, dass
alle Dinge von Natur aus gleich oder ungleich sind. Die Erkenntnis
richtete sich nach den Gegenständen. Dem Menschen, der die Dinge
beobachtet, offenbart sich ihr „Wesen“ (durch Beobachtung erster
Ordnung). Es tritt in „Erscheinung“. Streitigkeiten klärten
Autoritäten durch dafür entwickelte Fragetechniken und Methodiken
wie Dialektik. Man ging davon aus, dass These und Antithese zu
einer Synthese führen, die dann mehr oder weniger zweifelsfrei als
„richtige“ Meinung gelten kann. Nachdem Decartes’ methodischer
Zweifel („Ich denke, also bin ich“) 1641 das Subjekt begründet
hatte, läutete Kants „Kritik der reinen Vernunft“ 1781 die
Kopernikanische Wende in der Philosophie ein: Die Gegenstände
richten sich nach der Erkenntnis! Raum und Zeit sind nach Kants
Transzendentalphilosophie die Formen, die dem Subjekt zur äußeren
und inneren Anschauung gegeben sind. Freiheit lässt sich nicht
kausal aus der Natur ableiten, sondern aus der Vernunft. Aus der
Vernunft resultiert auch die Notwendigkeit, Freiheit
einzuschränken. In der Aufklärung gerät der politisierte Begriff
der Menschenrechte mit seinen Prinzipien von angeborener Gleichheit
und Freiheit in direkten Widerspruch zum Recht, das der zugrunde
liegenden Ständeordnung gefolgt war und zwischen Adel/Volk
unterschieden hatte. Gleichheit und Freiheit müssen singularisiert
werden, sie gelten nun für jedes Individuum. Soziale Schichtung
lässt sich rechtlich nicht länger fortsetzen. Das lässt jedoch neue
Widersprüche auftauchen: Wenn jedes Individuum von Geburt an frei
ist, ist Recht Einschränkung von Freiheit. Und es liefert sogar
erst den Anlass zur Ungleichbehandlung. Diese Paradoxien kann auch
der Begriff des Zivilzustandes nicht auflösen, der dem Naturzustand
(abgewählt) eilig entgegengesetzt wird. Aufgelöst werden diese
Paradoxien erst durch ein re-entry. Das heißt in der Formsprache
von George Spencer Brown: Das Unterschiedene wird in die
Unterscheidung wieder eingeführt. Die Gleichheit der Menschen muss
rechtlich akzeptierte Ungleichheit der Fälle akzeptieren. Und die
Freiheit der Menschen muss akzeptieren, dass es eine rechtlich
akzeptierte Notwendigkeit der Einschränkung gibt. Mit diesem
re-entry vollzieht das Rechtssystem seine operative Schließung zu
einem autonomen Funktionssystem. Der Evolutionsschritt besteht
darin, dass der jeweils negative Wert der Unterscheidung
(Ungleichheit sowie Notwendigkeit der Freiheitseinschränkung) in
das Recht integriert wird – und zwar auf der Ebene von Fällen. Die
Unterscheidung von gleichen/ungleichen Fällen wird zum
Hauptgegenstand der rechtlichen Kommunikation. Die Grenze kann
fallweise verschoben werden, ist variabel. Die Entscheidungsfindung
wird kontingent: Es kommt nicht notwendig so, wie man vermuten
könnte; es ist aber auch nicht unmöglich. Mit Begriffen wie
Vernunft, Prinzipien oder Werten lässt sich die rechtliche
Entscheidung nicht mehr herleiten, sondern eben nur noch mit der
normativen Unterscheidung von gleichen/ungleichen Fällen. Das Recht
wird positiv, änderbar. Die unverändert gebliebenen Begriffe und
insbesondere die Menschenrechte verschleiern diese Verlagerung auf
Fallebene, mit der sich das Rechtssystem als Funktionssystem
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