52 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 226, K05

52 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 226, K05

Im Rechtssystem bedeutet Gerechtigkeit konsistent…
1 Stunde 4 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 2 Jahren
Im Rechtssystem bedeutet Gerechtigkeit konsistentes Entscheiden: Es
operiert mit Konditionalprogrammen und behandelt gleiche Fälle
gleich sowie ungleiche Fälle ungleich. Im Gegensatz dazu operiert
das Politiksystem mit Zweckprogrammen. Die Wahl der Mittel wird mit
dem Zweck legitimiert. Der Gesetzgeber kann gleiche Fälle ungleich
behandeln. An dieser Stelle stellt sich darum die Frage, ob es
überhaupt eine übergreifende Definition von Gerechtigkeit geben
kann, die den widersprüchlichen Umgang mit Gleichheit in Rechts-
und Politiksystem auf einen Nenner bringt. Als Ausweg schlägt
Luhmann vor, die Kontingenzformel Gerechtigkeit ausschließlich auf
das Entscheidungssystem des Rechts, die Gerichte, anzuwenden. Denn
nur Gerichte müssen jeden vorgelegten Fall entscheiden, selbst wenn
er unentscheidbar ist und damit eine Paradoxie vorliegt. Das Verbot
der Justizverweigerung gilt nur für Gerichte. Sie bilden das
Zentrum des Rechtssystems. Gerichte verkörpern das
Gerechtigkeitsprinzip wie keine andere Instanz. Das bedeutet, bei
der Gerechtigkeitsfrage alle Bereiche außerhalb der Gerichte
auszuklammern – wie die Gesetzgebung in der Politik oder die
Verträge in der Wirtschaft. Diese produzieren zwar Rechtsgeltung,
und man mag ihnen unterstellen, dass sie sich um Gerechtigkeit
bemühen. Aufgrund ihrer strukturellen Kopplungen mit rechtsfremden
Systemen unterliegen sie jedoch völlig anderen Voraussetzungen.
Eine normative, ausnahmslose Gerechtigkeitskontrolle durch
Konditionalprogramme, wie sie Gerichte liefern, erfolgt dort nicht.
Zudem schaffen Zweckprogramme per se Ungleichheit. Sie inkludieren
eine Gruppe (Mütter, Beamte, Hausbesitzer) und exkludieren logisch
alle anderen. Die Intention der Politik mag zwar „gerechte“
Umverteilung im Sinne des Wohlfahrtstaates sein. Ihre
zweckorientierte Verfahrensweise produziert jedoch laufend
Ungleichbehandlung. Zweckprogramme sind darum untauglich, um dem
Begriff der Gerechtigkeit auf die Spur zu kommen. Die Frage, was
Gerechtigkeit ist, offenbart damit Probleme der strukturellen
Kopplung zwischen den Funktionssystemen Recht und Politik sowie
deren Verhältnis zur Gesellschaft. Verfassungsgerichte sollen
solche Probleme typisch lösen. Diese sind jedoch selbst mit den
Systemen strukturell gekoppelt. Und eine Hierarchie zwischen Recht
und Politik gibt es nicht. Luhmann erinnert deshalb noch einmal
daran, dass Konditionalprogramme die Bedingung schlechthin dafür
sind, dass Gerechtigkeit überhaupt in die Form einer Gleichheit im
Sinne einer Regelhaftigkeit gebracht werden kann. Das spricht
dafür, die Frage der Gerechtigkeit ausschließlich im Gerichtssystem
anzusiedeln. Ausschlaggebend sind dort die Kriterien, anhand derer
der Fall zugeordnet werden muss. Was gerecht ist, ergibt sich
allein durch die richtige/falsche Zuordnung dieser Kriterien. Nicht
mehr der Einzelfall und die „Verhältnisse“, unter denen ein Tausch
oder eine Vergeltung vonstatten gingen, stehen im Vordergrund.
Sondern die normative Einordnung des Falls in die Systemgeschichte.
Theoretisch wäre es möglich, die Zweckprogramme der Gesetzgebung
einer Gerechtigkeitskontrolle zu unterwerfen. Praxistauglich
erscheint das jedoch nicht. Ein Umweltschutzgesetz müsste dann
nicht nur auf den ökologischen Zweck abgeklopft werden, sondern
zusätzlich auf die Frage, wie gut es in die Rechtshistorie
eingepflegt werden kann. Was wäre wichtiger: Dass das Rechtssystem
konsistent entscheidet – oder dass das Gesetz die Chance bekommt,
den intendierten Zweck zu erfüllen? Die Funktionssysteme würden
sich gegenseitig torpedieren. Kurz, die Frage, was Gerechtigkeit
ist, entscheidet das Rechtssystem selbst. Die Antwort ist hier:
konsistentes Entscheiden. Externe Beobachter verwenden jedoch einen
anderen Gerechtigkeitsbegriff, der losgelöst ist von der operativen
Geschlossenheit des Systems. (Vollständiger Text auf luhmaniac.de)

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