44. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 204 K04

44. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 204 K04

Über das Verhältnis von Codes und Programmen in F…
47 Minuten
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Ulrike Sumfleth und Joachim Feltkamp sind Luhmani…

Beschreibung

vor 3 Jahren
Über das Verhältnis von Codes und Programmen in Funktionssystemen:
Die Paradoxie, dass die Differenz des Codes Recht/Unrecht eine
Einheit bildet und für sich proklamiert, Recht zu sein, tritt in
den Programmen wieder zutage und befruchtet die Weiterentwicklung
des Rechts. Codes und Programme ergänzen einander. Für sich
genommen, sind die invarianten Codes der Funktionssysteme noch
„leer“. Allein mit der Unterscheidung von Recht/Unrecht kann man
keinen Sinn erzeugen, solange ein Bezugspunkt fehlt, ein konkreter
„Fall“. Das System könnte weder wachsen noch sich verändern. Woran
sollte es seine Autopoiesis vollziehen? Durch Konditionalprogramme
definiert das Rechtssystem daher Wenn-Dann-Bedingungen, die regeln,
was unter welcher Bedingung Recht sein soll. Die Autopoiesis kommt
in Fahrt, indem sich das System auf Konditionen bezieht, die sich
stets auf den Code beziehen. Erst auf diese Weise kann es wachsen,
ist veränderungsfähig und in dieser Dynamik stabil. Anm.: Durch
Konditionalprogramme managen Systeme auch ihr Verhältnis von
Inklusion/Exklusion gegenüber der Gesellschaft. Sie bilden
Organisationen und stellen Bedingungen sowohl für Mitgliedschaft
als auch für Inanspruchnahme auf. Funktionssysteme sind prinzipiell
offen für alle (jeder hat Rechtsanspruch). Durch hochspezifische
Auswahlkriterien beschränken sie jedoch die Mitgliedschaft und den
Zugang. Im Gericht entscheiden nur Richter, in Kanzleien Anwälte,
etwa ob eine Klage zulässig ist. In der Praxis blitzt die
zugrundeliegende Paradoxie des Rechts, dass die Differenz von
Recht/Unrecht eine Einheit bildet, immer wieder hervor. Z.B., wenn
ein Fall unentscheidbar erscheint. Unentscheidbarkeit würde
bedeuten, das Recht könnte seine soziale Funktion nicht mehr
ausüben. Die Autopoiesis käme zum Erliegen. Die Lösung ist
Richterrecht. Es ist verboten, eine Entscheidung zu verweigern. Die
Paradoxie tritt als widersprüchlicher Fall auf und sorgt so dafür,
dass die Kommunikation über dieses Problem einen Ausweg findet.
D.h. die Paradoxie ist fruchtbar, sie befruchtet die Evolution des
Rechts. Auch am Problem des Rechtsmissbrauchs tritt die Paradoxie
auf. Wenn Recht Ungerechtigkeit produziert, steht die Souveränität
des Rechts in Frage. In der Formsprache von George Spencer Brown
ist Rechtsmissbrauch ein re-entry: ein Wiedereintritt der Form in
die Form. Eine Unterscheidung wird in das Unterschiedene wieder
eingeführt. Aber nur auf einer Seite, nur auf der Seite des Rechts.
Das Wort Recht taucht zweimal auf. Wenn Entscheidungen keine
Gerechtigkeit schaffen, enthüllt sich also die zugrundeliegende
Paradoxie des Rechtssystems. Genau daran entzündet sich die
Kommunikation und findet neue Lösungen. Dass die Kommunikation im
Rechtssystem ständig die Grenze zwischen Recht/Unrecht kreuzt
(„crossing der Grenze der Form“), mag unbewusst geschehen.
Spätestens bei der Festlegung jedoch, wenn begrifflich „markiert“
wird, was nun Recht sein soll, wird offensichtlich, dass diese
Entscheidung beide Seiten gleichzeitig betrifft. Jede Definition,
was Recht ist, definiert gleichzeitig mit, was Unrecht ist. Ein
Urteil ist geltendes Recht. Darum ist auch missbrauchtes Recht
logisch geltendes Recht. Kurz, aus der Paradoxie gibt es kein
Entrinnen. Das Rechtssystem beruht auf ihr. Die Paradoxie beflügelt
die Evolution, indem sie Widersprüche aufzeigt, wenn das Recht
keine Gerechtigkeit zu schaffen scheint. Genau daran wächst das
System.

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