Die Süddeutschen Chorgestühle von der Renaissance bis zum Klassizismus

Die Süddeutschen Chorgestühle von der Renaissance bis zum Klassizismus

Beschreibung

vor 19 Jahren
Die Forschungslage zu den Chorgestühlen der Neuzeit in
Süddeutschland war bisher verhältnismäßig dünn. Einen allgemeinen,
groben Überblick brachte 1928 Rudolf Busch mit seinem Werk
„Deutsches Chorgestühl in sechs Jahrhunderten“. Der Abschnitt über
Renaissance, Barock, Rokoko und Klassizismus umfasst vier Seiten
(!). Die späteren allgemeinen Beiträge gehen nicht über das Werk
Buschs hinaus: der Artikel „Chorgestühl“ im Reallexikon der
Deutschen Kunst von Martin Urban von 1954 und das vergleichsweise
reich illustrierte Büchlein „Chorgestühle“ von Herbert Schindler
von 1983. Mittlerweile sind zu einigen wenigen süddeutschen
Gestühlen und Gruppen Forschungsbeiträge erschienen. Eine
umfassende Gesamtdarstellung fehlte bislang. Die Arbeit basiert auf
einer breit angelegten Erhebung. Der Arbeitskatalog umfasste ca.
750 Objekte in ganz Bayern und großen Teilen Baden Württembergs.
Diese wurden zum allergrößten Teil von mir aufgesucht und
fotografiert, die wichtigeren auch nach Umbauspuren und in ihren
Grundmaßen dokumentiert. In der Endfassung umfasst der Katalog nur
noch um 280 Chorgestühle. Die Auswahl wurde nach Kriterien der
Qualität und der Repräsentativität getroffen. Schon schnell stellte
sich noch während der Phase des Sammelns heraus, dass nicht nur ein
beträchtlicher Teil der anspruchsvollen Gestühle bislang nur in
ihren Grunddaten erforscht war, sondern dass die Angaben, die zu
einem Teil dieser Gestühle in den maßgeblichen Publikationen
(Kunsttopographische Literatur) zu finden sind, revidiert werden
müssen. Diese Situation machte es notwendig, den
Einzeluntersuchungen den Vorrang einzuräumen. Die meisten wurden
als eigenständige Fallstudien behandelt (13 an der Zahl, wobei
jeweils mehrere zusammengehörende Objekte besprochen sind), andere
mussten als umfangreiche Katalogeinträge aufgenommen werden. Die
Auswertung des Katalogs und der Fallstudien ist in den Kapiteln 4
bis 7 dargestellt: die ordensspezifischen Merkmale der
Chorgestühlsanlagen, die ikonographischen Programme, die
übertragene Funktion und praktische Nutzung sowie die Entwicklung
der Formen. Letzteres ist als Stilkunde der Chorgestühle das
zentrale Kapitel. Wichtige neue Erkenntnisse bringt in diesem
allgemeinen Teil besonders das Kapitel zu den ordensspezifischen
Besonderheiten. Das Ermitteln spezifisch innerhalb bestimmter Orden
vorherrschender Merkmale war aufgrund der umfassenden Erhebung
möglich. Zugleich bedurfte es aber bei einer beträchtlichen Zahl
von Chorgestühlen, worunter gerade einige der größeren und
bedeutenderen, der Klärung der Baugeschichte, die bei den meisten
davon noch nie analysiert oder auch nur beachtet worden war. So ist
ein wichtiger Bereich, in dem viele Gestühle umgebaut wurden, das
westliche Ende mit den abgewinkelten kurzen Flügeln, an denen sich
die Stallen des Abtes und des Priors befinden (ein Relikt aus der
mittelalterlichen Abtrennung der Mönchschöre durch einen Lettner).
Erhalten sind diese Flügel, die sich wie Kulissen trennend in den
Raum schieben, häufig bei den Zisterziensern, und für diesen Orden
liegt auch eine schriftliche Fixierung im „Rituale Cisterciense“
vor. Erstaunlich, dass trotzdem bei zwei der bedeutendsten
bayerischen Zisterzienserklöster, Waldsassen und Fürstenfeld, der
Querflügel noch zur Zeit der Klöster aufgegeben wurde: in
Waldsassen wohl schon während der Bauzeit des Gestühls um 1696,
vielleicht aber auch erst bei einem Umbau um 1720/25, in
Fürstenfeld um 1762 (das Gestühl stammt von 1720-34). Häufiger
wurden die westlichen Querflügel erst im Klassizismus oder nach der
Säkularisation entfernt. Unbeachtet war die Beliebtheit dieser
Disposition beim Orden der Prämonstratenser: Hier wurde er bei
einer Reihe bedeutender Gestühle (die vier oberschwäbischen Klöster
des Ordens) noch im 18. Jahrhundert erheblich reduziert oder ganz
entfernt, welches bisher unbekannt war. Ebenfalls unbekannt, bzw.
in einem rezenten Forschungsbeitrag falsch dargestellt, war die
Verbindlichkeit eines anderen typischen Merkmals im besonders
strengen Orden der Kartäuser: Dieser pflegte neben der
abgewinkelten Gesamtanlage auch die Disposition als Zellengestühl
(Abtrennung der einzelnen Stallen durch Hochwangen oberhalb der
Accoudoirs). Bei zwei bedeutenden Kartäusergestühlen (Mainz und
Astheim) wurde durch falsche Rekonstruktionsvorschläge (in
Beiträgen von Möbelrestauratorinnen!) die ursprüngliche
Zugehörigkeit der Hochwangen nicht erkannt, woraufhin für diesen
Orden neben der Zellenform die Existenz der offenen Form angenommen
wurde. Dies sind nur die beachtenswertesten Fälle von neuen
Erkenntnissen, die durch die technologisch-bauanalytische
Herangehensweise gewonnen werden konnten. Ein ordensspezifischer
Typus, der aufgrund der breiten Erfassung dargestellt werden
konnte, sind die hinter dem Hochaltar gelegenen Psallierchore bei
den Bettelorden. Ein nicht ordensgebundener Typus sind
Gestühlsanlagen, bei denen der Hochaltar in einen vorderen Teil am
Choreingang, nämlich Mensa und Tabernakel, und das Retabel im
östlichen Chorschluss getrennt ist. Der (unsichtbare) Mönchschor
ist hier gewissermaßen räumlich mit dem Hochaltar verquickt. Hier
stellt sich besonders die Frage nach der zeremoniellen Bedeutung
des Chorgestühls. Die Thematik der Inszenierung des Konvents oder
besonders seiner Oberen lässt weitere Forschung sehr wünschenswert
erscheinen – aufgrund der Erfassung der Denkmäler ist vor einer
voreiligen Überbewertung der zeremoniellen Funktion zu warnen. So
lassen sich für die für bestimmte Klöster angenommene Umkehrung der
Sitzordnung zum Zwecke der besseren Inszenierung des Abtes in der
Nähe des Hochaltars mehr Gegenbeispiele als Belege anführen. Neben
solchen Erkenntnissen, die allgemeine Bedeutung für die Gattung der
Chorgestühle haben, konnten zu zahlreichen individuellen Objekten
wesentliche neue Erkenntnisse gewonnen werden. So konnten einige
der bedeutenderen Denkmäler zu eng verbundenen Gruppen
zusammengestellt werden (Werkstätten, Vorbild und Nachfolger), in
einigen Fällen mussten Datierungen revidiert werden. An
Erkenntnissen, die für die Geschichte der Schreinerkunst allgemein
von Bedeutung sind seien exemplarisch genannt: die Verbindung der
Möbelentwürfe Friedrich Sustris’ (München St. Michael) mit der
Kunst seines Lehrers Giorgio Vasari, und die Zuschreibung des
vorzüglichen, bislang völlig unbeachteten Kaisheimer Chorgestühls
an die Schreinerwerkstatt des Augsburger Dominikanerklosters (um
1720), die mit dem Namen Valentin Zindter verbunden ist. Ein
näheres Eingehen auf die einzelnen Fallstudien und auf den Katalog
würde hier zu weit führen. Neue Erkenntnisse wurden hauptsächlich
auf dem Wege des stilistischen Vergleichs und der Analyse
bauarchäologischer Befunde erlangt. Was schriftliche Quellen
anbelangt, gaben die veröffentlichten meist genügend Aufschluss,
sodass ein Nachforschen in unveröffentlichten schriftlichen Quellen
sich in den meisten Fällen erübrigt hat. Für ein wichtiges Objekt,
Fürstenfeld, konnten für die bisher unklare Datierung mit Erfolg
historische Quellen ausgewertet werden. Im Allgemeinen stand die
Wahrscheinlichkeit, irgend etwas Relevantes zu finden, in keinem
akzeptablen Verhältnis zum Aufwand. Der Schwerpunkt der Arbeit
liegt auf den Denkmälern, und zwar einerseits auf der breiten
Erhebung, andererseits auf den Einzeluntersuchungen. Neben der
stilistischen Methode als genuin kunsthistorische Herangehensweise
steht die technologische Bauanalyse, die in den
denkmalpflegerischen Bereich verweist.

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