Beschreibung

vor 13 Jahren
Chris Ofili spielt mit etablierten Repräsentationsweisen. Er
adaptiert stereotype Vorstellungen von Identität, Herkunft und
Aussehen, spickt diese mit unterschiedlichen Bezügen und Motiven
und schafft durch die künstlerische Transformation ein neuartiges,
hybrides Menschenbild. Er schöpft dabei aus den disparatesten
Quellen wie Pornografie, christlicher Ikonografie, griechischer
Mythologie, afrikanischer Höhlenmalerei, 1970er Motivik aus der
Populärkultur sowie von Künstlern wie David Hammons, Francis
Picabia, Pablo Picasso und den Bildkonzepten der Moderne. Die
Technik der Adaption und Transformation von Motiven,
Repräsentationen und bildhaften Vorstellungen kann mit dem Konzept
des Samplings erklärt werden, welches in der schwarzen Tradition
und vor allem im HipHop fest verankert ist. Die Technik des
Samplings zielt nicht allein auf die reine Kopie von Bildern und
Geschichten. Stattdessen wird sie als künstlerisches Konzept
eingesetzt, um mit dem Akt des Aneignens und Übersetzens von
fremden Dingen in die eigene künstlerische Gegenwart gebräuchliche
Traditionen und Konventionen zu manipulieren. Diese Technik macht
sich der afro-britische Künstler Chris Ofili für seine Bilder,
Skulpturen und Zeichnungen sowie für seine Selbstinszenierung als
kreative Person zu Eigen. Mit der subversiven Kulturtechnik des
Samplings wird ein alternativer Raum geschaffen für eine neuartige
Kreativität aus der Marginale, ein Raum für eine neue Sprache und
letztlich für eine neue Art der Repräsentation. Chris Ofili nimmt
durch den Einsatz dieser künstlerischen Strategien eine
selbstbewusste Stellung innerhalb der immer noch mehrheitlich von
Weißen dominierten Kunstwelt ein und artikuliert ein komplexes
Menschenbild, das ungezwungen aus allen möglichen Bezügen der Welt
eine neuartige Identität schöpft und nicht mehr einer veralteten
Idee von Authentizität nacheifert. Die Doktorarbeit Strategien der
Repräsen-tation – Chris Ofili und das Konzept des Samplings setzt
sich zum Ziel, Sampling als Technik des Aneignens und
Transformierens am Werkbeispiel von Ofili zu erarbeiten. Dabei wird
die Traditionslinie dieser kulturellen Produktionstechnik in seiner
Entstehung nachgezeichnet und mit kultur-theoretischen Ansätzen in
Anlehnung an Stuart Hall, Homi Bhabha sowie Franz Fanon als
Strategie zur Artikulation von neuen Repräsentationsformen
vorgestellt. Diese Strategie wird im Folgenden paradigmatisch
erläutert. Chris Ofili ist 1968 in Manchester geboren. Seine Eltern
kommen aus Nigeria und sind kurz vor Ofilis Geburt nach England
immigriert. Ofili kennt Afrika nur aus den Erzählungen seiner
Eltern, bis er 1993 an einem Austauschprogramm nach Zimbabwe
teilnimmt, wo er zum ersten Mal eine persönliche Beziehung und
ethnische Bezugslinie zu Afrika aufgebaut hat. In Zimbabwe stößt
Ofili auf Elefantendung als gestaltendes/gestaltbares Material
sowie auf historische Höhlenmalereien in den Matopos Bergen. Diese
starken Prägungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das frühe
Werk. Insbesondere die Entdeckung der animalischen Exkremente als
Medium der Malerei wurde in der Folge in vielen Texten zu Ofili als
Schlüsselelement gern aufgegriffen und letztendlich zu einer Art
Mythos stilisiert, mit dem dann auch Ofili seinerseits selbst zu
spielen beginnt. In einem Gespräch mit Godfrey Worsdale 1998 etwa
deutet der Künstler an, dass die Geschichte aus Zimbabwe vielleicht
von ihm einfach nur erfunden worden sei.1 1993 wiederum
veranstaltet er sogenannte Shit Sales. Die Performance ist eine
Anspielung auf den afro-amerikanischen Künstler David Hammons, der
1983 am Cooper Square in New York einen sogenannten Bliz-aard Ball
Sale veranstaltet und dabei Passanten Schneebälle zum Kauf
angeboten hatte, wie Ofili selbst erklärt: „I was sampling David
Hammons' Snowball Sale. I called it Chris Ofilis Shit Sale.“2 Ofili
übernimmt das Konzept jedoch nicht 1:1 von Hammons, sondern
transformiert es für seine eigenen künstlerischen Zwecke um, und
zwar ironischerweise als „an attempt to get a direct response to
elephant shit.”3 Denn anstatt Schnee stellt er Köttel aus
Elefantenkot aus, ohne sie zum Verkauf anzubieten. „Odder still, a
number of people regarded Ofili himself as the work.“4 Die
Reaktionen auf die Shit Sales veranlassen Ofili, unverblümt mit den
Vorurteilen gegenüber seiner Kunst beziehungsweise den Erwartungen
des Publikums selbst zu spielen: It's what people really want from
black artists. We're the voodoo king, the voodoo queen, the witch
doctor, the drug dealer, the magicien de la terre. The exotic, the
decorative. I'm giving them all of that, but it's packaged slightly
differently.5 Dieses Zitat verdeutlicht, dass und wie Ofili
Klischees, Motive und nicht zuletzt das Image des schwarzen
Künstler gezielt spielerisch inszeniert. Ofili präsentiert sich in
dieser Zeit bei seinen öffentlichen Auftritten häufig als
Ghetto-Legende, ausstaffiert mit einem riesigen Afro-Haarschnitt
und einem Shit Joint im Mund. Diese Form der Selbstinszenierung ist
jedoch Teil einer künstlerischen Strategie, mit der Ofili gezielt
die Resonanz des Publikums und auch die Interpretation seiner Kunst
aktiv beeinflussen und in eine bestimmte Richtung lenken will.
Nicht nur in seinen Bildern tauchen vermehrt Stereotype über
Schwarze auf. Besonders zu Anfang seines künstlerischen Werdegangs
zelebriert Ofili geradezu genüsslich die Zurschaustellung von
Klischees und setzt medienwirksam auch seine eigene Person und
Kunst in Szene. Er artikuliert sein eigenes Menschenbild indem er
vordefinierte Merkmale adaptiert und in seiner Kunst transformiert.
Die Technik des Samplings wurde bei den Shit Sales evident, die
Hammons zitieren, zieht sich aber als Konzept durch das Gesamtwerk
Ofilis. Der Künstler sampelt Themen, Motive und Materialien wie
beispielsweise Elefantendung, die aus den vielfältigsten und
gegensätzlichsten Bereichen stammen, um einen Akt der
Transformation zu erzeugen. Er löst das Material und die Motive
seiner Werke aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und provoziert
beim Betrachter durch ihre ungewöhnliche Zusammenstellung einen
Effekt der Verfremdung im Brecht'schen Sinne. Brecht hat dieses
Stilmittel im epischen Theater eingesetzt, um bekannte und gewohnte
Sachverhalte in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und somit
gesellschaftliche und historische Widersprüche aufzudecken. Die
Verfremdung fungiert dabei als didaktisches Prinzip, das den
Rezipienten durch eine distanzierte Darstellung gegen Illusion und
vorschnelle Identifikation sensibilisiert und Neuem vorarbeitet.
Chris Ofili beschreibt den für den Rezipienten aus der Verfremdung
resultierenden Zustand mit prägnanten Worten: „[Y]ou can't really
ever feel comfortable with it.“ Mit Gegensätzen und Widersprüchen
in seiner Materialwahl sowie Motivik stellt Ofili die Frage nach
dem vermeintlichen Realitätsgehalt von Bildern sowie nach der
Diskrepanz zwischen Bild und Abbild. Dabei setzt er die Strategie
des Samplings als eine Form der Aneignung und Transformation
kultureller Bestände in seiner Kunst und zur Darstellung seiner
eigenen Person ein und funktionalisiert diese Technik subversiv zur
Etablierung eines neuen (Menschen-)Bildes um. 1 „The general
mythological construction of Chris Ofili's identity has been
brought about by a colluding media and is based in large part on
the widely reported anecdote which tells of his first trip to
Africa and his discovery there of ele-phant dung. The artist joked
once that the whole story had been made up, it would not matter
greatly if it had been, Ofili had realised that the encapsulation
of an artist in a quickly recountable tale can be instrumental in
the promulgation of the artistic personality.” Zitiert nach:
Worsdale, Godfrey: „The Stereo Type”, in: Corrin, Lisa G. / Snoody,
Stephen / Worsdale, Godfrey (Hrsg.): Chris Ofili,
Ausstellungskatalog Southampton City Art Gallery, The Serpentine
Gallery London 1998, London: Lithosphere, 1998, S. 1. 2 Spinelli,
Marcelo: „Chris Ofili“, in: Rothfuss, Joan / McLean, Kathleen /
Fogle, Douglas (Hrsg.): Brilliant! New Art from London,
Ausstellungskatalog Walker Art Center Minneapolis / Contemporary
Arts Museum Houston 1995, Min-neapolis: Walker Art Center
Publications, 1995, S. 67. 3 Ebd. 4 Morgan, Stuart: „The Elephant
Man“, in: Frieze. International Art Magazine, März / April 1994, S.
43. 5 Spinelli, Marcelo: „Chris Ofili“, in: Rothfuss, Joan /
McLean, Kathleen / Fogle, Douglas (Hrsg.): Brilliant! New Art from
London, Ausstellungskatalog Walker Art Center Minneapolis: Walker
Art Center Publications, 1995, S. 67.

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