L’Orfeo an der Wiener Staatsoper

L’Orfeo an der Wiener Staatsoper

4 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Gestern fand in der Wiener Staatsoper die zweite Vorstellung von
Claudio Monteverdis „L`Orfeo“ statt. Der radio klassik
Stephansdom Opernliebhaber Richard Schmitz berichtet:
L'Orfeo ist zwar nicht die erste Oper, aber die
erste die vollständig erhalten ist. Sie ist von einer
frappierenden Vollkommenheit. Nicht nur die differenzierte Musik
Claudio Monteverdis, auch das Textbuch von Alessandro Striggio
sind von hoher Qualität. Eigentlich erstaunlich, dass keinerlei
Anfängerfehler zu erkennen sind. Die Geschichte der Oper – damals
sagte man noch „Favola“ – beginnt mit einem Paukenschlag. Kaum zu
glauben, dass man vor 415 Jahren schon so professionell war. Die
Wiener Staatsoper hat dieses Werk in einer Realisierung
präsentiert, die allen Ansprüchen genügt. Nikolaus
Harnoncourt hat mit seiner Einspielung 1968 die Basis
gelegt. Schon damals war der Concentus Musicus
Wien jener Klangkörper, der die Genialität dieser
Partitur zur Geltung brachte. Auch gestern erklangen unter
Pablo Heras-Casado alle Feinheiten der Musik.
Viele Musikerinnen und Musiker hatten solistische Aufgaben, die
mit Bravour bewältigt wurden. In der Titelrolle war der Bariton
Georg Nigl ein Glücksfall. Er bewältigte auch
die hohen Töne und war in der mittleren Lage dem Text und der
Musik verpflichtet. Nur in den Koloraturen hätte ich mir mehr
tenorale Geschmeidigkeit gewünscht. Es ist kein Wunder, dass fast
alle Einspielungen den Orpheus mit einem Tenor besetzt haben,
auch wenn die Tessitura sehr tief liegt. Mich wundert, dass
Caronte – verlässlich Wolfgang Bankl – bei
diesem Gesang einschläft. Der zweite Star des Abends ist
Kate Lindsey, der man die allegorischen Figuren
der Musik, der Speranza (Hoffnung) und das Echo anvertraut hat.
Slavka Zámečnikova sang wunderschön die
Eurydice. Schade, dass die Rolle so kurz ist. Das übrige Ensemble
– Christina Bock las Proserpina und Botin – Andrea Mastroni als
Pluto und Hiroshi Amako als Apollo – passten sich allzusehr an.
Da sollten sich in Zukunft mehr Persönlichkeiten entwickeln. Auch
diese Figuren haben Charakter. Schon vor Beginn binden der
Regisseur Tom Morris und die Kostümbildnerin
Anna Fleischle das Publikum ein. Eine ideale
Einladung zur Hochzeit von Orpheus und Eurydike. Sogar die
Handydurchsage und der Maskenhinweis sind schon heiter
durchinszeniert. Dann findet das Drama des Todes eines geliebten
Menschen statt. Das Bühnenbild mit dem live mitgefilmten
Zuschauerraum wird im Hades zu einer grauenerregenden Unterwelt,
in der es keine Hoffnung gibt. Anna Fleischle hat auch als
Bühnenbildnerin Außergewöhnliches zu bieten. Am Schluss
entschwebt Orpheus gegen den Himmel. Das ist schon fast kitschig.
Das Publikum war auch gestern begeistert und das wiegt bei einer
zweiten Vorstellung noch mehr als bei der Premiere. So kann die
älteste erhaltene Oper gezeigt werden.


Wertnote: 9,3/10 Punkten

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