Beschreibung

vor 2 Jahren

2008 inszenierte Martin Kušej, nun mehr
Burgtheaterdirektor, Igor Strawinskys The Rake’s
Progress im Theater an der Wien. Am Ende der Direktion
von Roland Geyer stand gestern Giacomo Puccinis
Allzeit-Hit Tosca in Kušejs Lesart zur
Premiere bereit. Das Publikum war gespannt.
Musikchefin Ursula Magnes ebenso.


Tosca. Dazu haben viele Opernfreundinnen und -freunde ähnlich wie
bei Carmen oder Aida eine gewisse Vorstellung oder zumindest lieb
gewonnene Erinnerungen an vergangene Opernaufführungen, fein
sortiert im Karteikästchen des Erlebten. Tja, diese Tosca von
Puccini nach dem Drama von Victorien
Sardou – was bleibt, wenn der Regisseur die Kirche
als Ort, den Palazzo Farnese und die Engelsburg in Rom mit
Dauerschnee, einem zentralen Kreuzes- und Schmerzensbaum mit
zerstückeltem Opfer samt Marterl, und einen Wohnwagen bespielt?
Was bleibt im Stück? Kälte, Gewalt, Eifersucht, Macht, sexuelle
Bedrängnis, Religion und das heutige Leben mit Kapitolstürmern,
Querdenkern, Polizeigewalt und dazwischen eingequetscht zwei
Künstler: der Maler Mario
Cavaradossi und die Sängerin Floria
Tosca.


Damit ist das Publikum zwei intensive Stunden ohne Pause
konfrontiert. Mit der punktgenauen, nie zögerlichen Musik
Puccinis ergibt das eine Hochschaubahn der Gefühle und innerer
Gedankenwelt. Keiner der drei Protagonisten entkommt seinem
Schicksal: Der Maler ermalt keine Freiheit, die Sängerin ersingt
keine Liebe und der Polizeichef verfehlt trotz sadistischer
Machtausübung  sein Ziel. Ein brutales Kammerspiel, in dem
Martin Kušej diese Gewalt mit Versatzstücken wie fliegenden
Körperteilen und sehr zupackendem Schauspiel  vor Augen
führt.


Dazu braucht es ein Ensemble, das das auch
kann! Kristine Opolais ist eine
erfahrene Tosca. Sie genießt es sichtlich an ihre Grenzen zu
gehen; stimmlich wie darstellerisch. Im Gegensatz zum Original,
wird sie am Ende durch die Gräfin
Attavanti, dargestellt durch die
Schauspielerin Sophie Aujesky, erschossen.
Wohl auch mangels Engelsburg, um in den Tiber zu springen…
Getötet vom Gift der Eifersucht, das Polizeichef
Scarpia geschickt verstreut. Ihr „Vissi d’arte,
vissi d’amore“ wird zur verzweifelten Anklage zwischen Scarpia
und Gott. Der junge chilenische Tenor Jonathan
Tetelman lockte wohl einige prominente
Operndirektoren ins Theater an der Wien. So kraftvoll, geradezu
strotzend hat man „Recondita armonia“ schon lange nicht mehr
gehört. Und im Wechselspiel mit dem Soloklarinettisten des RSO
Wien gelang auch „E lucevan le stelle“ ausgesungen und stark.
Kein Hauch der Erinnerung – vielmehr Höhe und Kraft in der
Tenorstimme wie es die Rolle verlangt.


Gábor Bretz unschuldig schick elegant in
weiß gekleidet sang einen zutiefst unsympathischen,
heimtückischen Polizeichef Scarpia. Eine tolle
Leistung. Marc Albrecht hat das
Dirigat in der Probenarbeit relativ spät vom erkrankten Ingo
Metzmacher übernommen. Da ist in den fünf Folgevorstellungen
sicher noch einiges an musikalischen Feinheiten drin. Die
Schnellkraft der Partitur Puccinis ist gegeben. Sie schrammt an
genialer Filmmusik und weist damit anno 1900 weit in die Zukunft.
Das Publikum beklatschte die Sänger und Musiker. Gestärktes Buh
für Martin Kušej. Fazit: unbedingt anschauen.

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