Hans Joas: Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft

Hans Joas: Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft

24 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Aus der Buchvorstellung am 11.04.2022. Das Video der gesamten
Veranstaltung ist online unter:
https://youtu.be/B4GowQIQI9E 


Shownotes: 


Braucht es um spirituell zu sein, um moralisch zu sein eigentlich
eine Institution? Kann man das nicht einfach für sich sein und
leben? Ist es sogar besser, wenn man ganz verschiedene religiöse
und spirituelle Traditionen auf eigene Faust kombiniert und sich
daraus ein Weltbild oder eine Lebenspraxis selber formt?


Sinn des Buches ist es, Verständnis zu schaffen für das, warum es
Kirche gibt.


Der große evangelische Theologe Ernst Tröltsch hat einen Versuch
gemacht, auszusprechen, was die Grundcharakteristika des
Christentums sind. Bei ihm sind es drei: Universalismus,
Individualismus und Liebesethos. (...) Der Punkt, auf den es mir
ankommt, ist der Universalismus oder wie es in der heutigen
Philosophie oft heißt der moralische Universalismus. Das meint,
dass Christen, wenn sie sich überlegen ob eine Handlung, zu der
sie sich anschicken, moralisch gerechtfertigt werden kann, sich
nie damit begnügen können, zu sagen, es ist einfach gut für mich
oder gut für die mir Nahestehenden, z.B. meine Familie, meine
Sippe, mein Volk, meinen Staat oder die Angehörigen meiner
christlichen Religionsgemeinschaft. Das Ethos weist über jedes
begrenzte Gemeinwesen hinaus, vielleicht sogar über alle
Menschen, die bisher gelebt haben und heute leben. Es ist fordert
uns auch auf, das Wohl künftiger Menschen mit einzubeziehen. Das
meine ich mit moralischem Universalismus.


Die zentrale These des Buches ist, dass wir die Existenz von
Kirche nicht verstehen können, wenn wir nicht diese
universalistische Dimension des Christentums in den Mittelpunkt
rücken. Warum? Weil eine universalistische Religion sich nicht
einfach in den gegebenen sozialen Organisationsform einer
bestimmten Gesellschaft organisieren kann. (...) Natürlich ist es
eine Aufgabe, von diesem enorm herausfordernden
Universalistischen etwas weiterzugeben an die kommenden
Generationen. Kein Kind wächst von selbst in Richtung solcher
universalistischen Vorstellungen. Sie müssen gewissermaßen durch
Aufreißen eines Horizonts erst eröffnet werden. Hier liegen
Aufgaben der Religionspädagogik, Theologie, Philosophie,
vielleicht auch weiterer Wissenschaften. Und ganz wichtig: es
muss, damit es gelebt werden kann, auch immer wieder rituell
vergegenwärtigt werden. Wir müssen erleben können, dass das, was
so schwierig zu verwirklichen ist, nicht gewissermaßen ein völlig
unrealisierbarer Traum ist. Ich denke, dass die christlichen
Gemeinden, dass der Gottesdienst eine solche Chance bieten, etwas
schon erfahrbar zu machen, was vielleicht später in höherem maße
auch außerhalb des rituellen Kontextes erfahrbar ist.


Selbstoptimierung ist zur Zeit ein Modewort. Wenn Sie Interviews
mit Prominenten lesen, warum sie gläubig seien, steht dort oft:
Ich bin gläubig, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es
mich stärkt, dass es mich tröstet. Ich habe nichts gegen Stärkung
und Tröstung, aber ich habe natürlich etwas dagegen, wenn Glaube
wie eine Technik der Autosuggestion erscheint.


Ich setze mich kontrovers mit der Frage auseinander, ob dieser
Universalismus, den ich jetzt da so angepriesen habe, das
Spottwort verdient, das von Konservativen manchmal dagegen
aufgefahren wurde, nämlich, er sei Fernstenliebe.


Das, was ich sagen wollte, endet mit der Behauptung, dass diese
Überlegungen über Kirche nicht nur Kirche, sondern auch etwas am
Universalismus des Christentums erschließen, der spezifisch
anders ist als ein nationalistischer Universalismus, ein
konkreter Universalismus.


Genannte Personen: Ernst Tröltsch, Jürgen Klinsmann, Alfred
Döblin, Leszek Kolakowski

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