Armin Nassehi: Kohäsion durch Konflikt? Religion und Demokratie
30 Minuten
Beschreibung
vor 2 Jahren
Zum Auftakt des interreligiösen Programmes "Kohäsion durch
Konflikt“ des „Netzwerkes Religion & Demokratie“
Das Video der gesamten Veranstaltung ist online unter:
https://youtu.be/8BEn1FoNS-Y
Shownotes:
Ich will versuchen zu beschreiben, dass das Verhältnis von
Religion und Demokratie oder Religion und Politik kein Verhältnis
ist, in dem es um demokratischen Ausgleich zwischen diesen beiden
Kräften geht, sondern in dem Sprecherinnen und Sprecher
unterschiedlicher Provenienz unterschiedliche Probleme lösen
müssen und davon auch Gebrauch machen.
In dem Thema „Kohäsion durch Konflikt? Religion und Demokratie“
sind viele Fragen aufbewahrt und noch mehr Begriffe, die mehr
Eindeutigkeit suggerieren, als es den Antworten letztlich gut tun
kann, und ich will einige dieser Fragen jetzt rekonstruieren und
das wohlgemerkt aus der Perspektive eines Soziologen.
Das Thema impliziert z.B. die Frage, wie viel Religion die
Demokratie eigentlich verträgt. Das ist keine simple frage, da
Religion aus sich selbst heraus schwer demokratisierbar ist,
übrigens die Gesellschaft auch...
Wie viel Demokratie verträgt eigentlich die Religion? Und: Wie
viel oder besser gesagt welche Gesellschaft verträgt eigentlich
die Demokratie? Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen müssen
gegeben sein, damit Demokratie möglich ist?
Die Begriffe produzieren Adressen, die es im richtigen Leben gar
nicht gibt. Das führt zum Problem der Adressierbarkeit bei
Religion: Wen sprechen wir da eigentlich an? Kirchen oder
funktionale Äquivalente für Kirchen in anderen Weltreligionen,
die es womöglich dann gar nicht gibt oder religiöse Eliten oder
Wissenschaften, die sich mit offenbarten Texten beschäftigen oder
irgendwelche Organisationen? Schon die Vielfalt der möglichen
Antworten ist ein Hinweis darauf, dass es offenbar keine
eindeutige Adresse gibt. Und jetzt könnte man sagen: Dann
adressieren wir wenigstens die Demokratie. Das ist aber genauso
schwierig. Viele halten ja die moderne Gesellschaft für eine
demokratische Gesellschaft. Selbst wenn sie es wäre, was sie
nicht ist, wäre die Adressierbarkeit nicht gegeben. Die
Gesellschaft ist unerreichbar.
Man muss beschreiben, worin der Konflikt liegt, um seine Lösung
überhaupt denkbar zu machen.
Aber was ist eigentlich der Streit zwischen zwei Akteuren, die
unterschiedliche Bezugsprobleme haben und deshalb gar nicht zu
einem gemeinsamen kommen können? (...) Das Problem ist, welche
Art von Kommunikation da eigentlich stattfindet.
In der Einführung wurde gesagt: Wir sehnen uns alle nach
gesellschaftlichem Zusammenhalt. Ich nicht! Eine Gesellschaft mit
starkem gesellschaftlichen Zusammenhalt ist meistens
pathologisch.
Moderne Gesellschaften sind komplex – das sagt man immer, wenn
man nicht weiterkommt, aber Komplexität bedeutet eigentlich nur,
dass es oft für den gleichen Satz mehrere Anschlussmöglichkeiten
gibt, die gleichzeitig erwartbar sind. Das interessante an
modernen Gesellschaften ist, dass sie aus unterschiedlichen
Perspektiven an das gleiche immer unterschiedlich anschließen
können, ohne dass eines davon falsch sein muss.
Das Gespräch zwischen politischen und religiösen Akteuren lebt
von der Differenz und muss die Differenz nicht aufheben.
Religion kann – im Gegensatz zur Politik – erlebend reagieren und
erwirtschaftet sich damit Handlungsmöglichkeiten, nämlich Dinge
zu sagen, die sonst schwer sagbar sind.
Wir sind unglaublich gut darin, uns zu streiten und Konflikte
auszutragen. Dafür gibt's sogar tools... Was wir nicht haben, das
ist die Frage, wie eigentlich Akteure unterschiedlicher
Problemlösungskompetenz und Problemlösungsnotwendigkeiten
produktiv miteinander reden können.
Barmherzigkeit ist die Fähigkeit, mit der Schwäche der Menschen
und nicht ihrer Stärke zu rechnen. Das ist in Krisensituationen
unglaublich wichtig.
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