Klinisch-genetische Definition des Hyper-IgE-Syndroms (HIES)
Beschreibung
vor 22 Jahren
Das Hyper-IgE-Syndrom (HIES) ist ein seltener primärer Immundefekt,
charakterisiert durch die klinische Trias: chronisches Ekzem mit
einem Gesamt-IgE über 2000 IU/ml im Serum, rezidivierende
Infektionen (insbesondere Abszesse, Infektionen des
Respirationstraktes wie Pneumonien mit Pneumatozelenbildung und
Candidainfektionen) und skelettbezogene Symptome (vergröberte
Gesichtszüge, Milchzahnpersistenz, Skoliose, Spontanfrakturen und
Überstreckbarkeit der Gelenke). Durch das Auftreten von
skelettbezogenen Symptomen neben der klassischen immunologischen
Trias (rezidivierende Abszesse, rezidivierende Pneumonien und
erhöhtes Gesamt-IgE) wird das HIES nach Grimbacher et al. heute als
Multisystemerkrankung bezeichnet (Grimbacher et al. 1999a). Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt sind Ätiologie und Pathogenese noch
unbekannt, so dass Definition und Diagnosestellung nur anhand
klinischer Parameter zu stellen sind. Ziel einer Kooperation mit
einer Arbeitsgruppe der National Institutes of Health (NIH) in
Bethesda, USA, war es einen molekulargenetischer Nachweis eines
Gendefektes zu finden. In dieser Arbeit wurden 68 Patienten mit
Anfangsverdacht auf ein HIES analysiert. Bei 13 Patienten konnte
ein HIES diagnostiziert werden. Bei 12 dieser Patienten fand sich
ausnahmslos ein chronisches Ekzem (bei 75% bereits vor der vierten
Lebenswoche manifest), Staphylokokken-Abszesse der Haut (bei 83%
auch Organabszesse), rezidivierende Infektionen des HNO-Bereiches,
eine Candidose der Mundschleimhaut sowie der Finger- und Fußnägel,
ein Gesamt-IgE über 2000 IU/ml und einer Vergröberung der
Gesichtszüge (HIES-typische Fazies). Bei 11 von 12 Patienten traten
rezidivierende Pneumonien auf, die in 25% mit einer
Pneumatozelenbildung einhergingen. Bei der Hälfte der
HIES-Patienten fand sich eine IgD-Erhöhung über 100 IU/ml. 50% der
Patienten hatten Spontanfrakturen, 67% eine Überstreckbarkeit der
Gelenke und 60% der über sechzehnjährigen eine Skoliose. Eine
Milchzahnpersistenz, ein erstmals von Grimbacher et al.
beschriebener Befund, konnte mit einem Auftreten bei 73% unserer
über sechsjährigen Patienten bestätigt werden (Grimbacher et al.
1999a). Der Vergleich von anthropometrischen Daten des Gesichtes
mit Standardwerten der Literatur (Farkas LG 1994) ergab signifikant
erhöhte Mittelwerte für die Nasenflügelbreite (z-Score=4), den
äußeren (z-Score=6) und inneren Augenabstand (z- Score=2) und
Normwerte für den Kopfumfang. Ein Patient hatte eine
Craniosynostose. Zusätzlich traten bei jeweils einem weiteren
Patienten eine zweifache Non-Hodgkin- Lymphom-Erkrankung (T- und
B-Zelltyp), ein juveniler arterieller Hypertonus, eine beidseitig
operationsbedürftige Katarakt, eine Echinococcus
alveolaris-Infektion der Leber und eine Hämophilie A auf.
Familiarität könnte bei diesen 12 Patienten nicht beobachtet
werden. Eine vergleichbare infektions-immunologische Symptomatik
(Ekzem, rezidivierende Infektionen der Haut und des
Respirationstraktes und erhöhtes IgE) wie Patienten mit klassischem
HIES zeigten 5 Patienten aus 5 konsanguinen Familien türkischer
Abstammung. Abgesehen von einer milden Überstreckbarkeit der
Gelenke bei einer Patientin konnten keine weiteren zahn- und
skelettbezogenen Symptome festgestellt werden. Zusätzlich fanden
sich bei diesen Patienten eine extreme Eosinophilie (bis 16000
Eosinophile per µl; vgl. Abb. 14), ungewöhnlich starker Molluscum
contagiosum Befall und cerebrale Gefäß- und Blutungsprobleme, die
zu einer hohen Letalität führten. Retrospektiv konnte in 4 der
Familien ein weiteres bereits verstorbenes Geschwisterkind mit HIES
diagnostiziert werden. Aufgrund von Konsanguinität und familiärem
Auftreten der Symptome in einer Generation wird bei diesen Familien
ein autosomalrezessiver Erbgang vermutet. Dieses Krankheitsbild ist
bisher nicht in der Literatur erwähnt und soll als autosomal
rezessive Variante der HIES beschrieben werden. Mit diesen Familien
wird aktuell eine Genom-weite Kopplungsanalyse durchgeführt. Sieben
weitere Patienten zeigten durch eine geringere Ausprägung der
Symptome eine milde Unterform des klassischen HIES.
Differentialdiagnostisch ist eine andere Grunderkrankung wie z.B.
eine schwere atopische Dermatitis nicht völlig auszuschließen.
Aufgrund der klinischen Einschätzung wurden die 68 Patienten mit
Anfangsverdacht auf ein HIES in vier Diagnosegruppen eingeteilt:
„klinisch-gesichert HIES“, „HIESVariante“, „Verdacht auf HIES“,
„kein HIES“. Wesentliche differentialdiagnostische Kriterien waren
hierbei: Ekzemmanifestation vor der 6. Lebenswoche, infiltrierende
Abszesse (Organabszesse), Nagelcandidose, Spontanfrakturen,
Überstreckbarkeit der Gelenke und, als besonders spezifisches
Merkmal, die Milchzahnpersistenz. Ein wichtiges weiteres
Charakteristikum ist die HIES-typische Fazies, die nur bei den von
uns persönlich gesehenen Patienten ausgewertet werden konnte. Der
Vergleich der Mittelwerte für das Gesamt-IgE
(95%-Konfidenzintervall) ergab keinen signifikanten Unterschied der
verschiedenen Diagnosegruppen untereinander, so dass die Höhe des
Gesamt-IgE zwar für HIES meist über 2000 IU/ml liegt, aber nicht
als spezifisch für diese Erkrankung anzusehen ist. Diese klinischen
Diagnosegruppen wurden mit dem Ergebnis eines Algorithmus, der zur
Veranschaulichung des Entscheidungsprozesses bezüglich des HIES
entwickelt wurde und in sechs Stufen Symptome bzw.
Symptomenkomplexe des HIES auf ihr Vorhandensein getestet,
verglichen. Ein vom NIH entwickeltes Scoresystem wurde auf seine
Aussagefähigkeit zur Diagnosestellung überprüft (vgl. Tab. 3). Es
ergab sich daraus, dass bei einem Scorewert von über 40 Punkten mit
großer Wahrscheinlichkeit ein HIES vorliegt und bei einem Wert
unter 20 Punkten die Diagnose verworfen werden konnte. Das
NIH-Scoresystem und der Algorithmus ließen somit eine Aufspaltung
zwischen den Patienten mit klinisch-gesichertem HIES und keinem
HIES zu. Aus unserer klinischen Studie konnten somit konkrete
Entscheidungshilfen zur Diagnosestellung gegeben werden, die es
ermöglichen, das HIES früher zu erkennen, um so Lebensqualität und
Prognose dieser chronischen Krankheit durch frühzeitige intensive
antimykotische-antibiotische Therapie und Abszessspaltung weiter zu
verbessern und assoziierte Merkmale (Milchzahnpersistenz,
pathologische Frakturen, Skoliose und Lymphome) in die Therapie
bzw. Prophylaxe einzubeziehen. Es wird vermutet, dass das
klassische HIES einem monogenen, autosomal-dominanten Erbgang mit
variabler Expressivität folgt. Mittels Linkage-Studie konnte ein
signifikanter LOD score in der Region 4q21 bestimmt werden
(Grimbacher et al. 1999b). Die Suche nach dem Gendefekt für das
HIES ist bisher noch nicht abgeschlossen. Kopplungsanalysen von
familiärem HIES am NIH und unsere klinische Studie legen nahe, dass
es nicht nur unterschiedliche Phänotypen des HIES gibt, sondern
auch unterschiedliche Gendefekte anzunehmen sind (Grimbacher
1999b). Sollte für das HIES ein Gendefekt nachgewiesen werden, so
bestünde die Hoffnung, über die daraus resultierende biologische
Störung (z.B. Proteindefekt) entscheidende Erkenntnisse zur
Ätiologie und Pathogenese des HIES zu erlangen. Davon hängt
schließlich die Möglichkeit einer kausalen Therapie, eventuell
einer somatischen Gentherapie, ab, aber ebenso die genetische
Beratung betroffener Familien und vielleicht auch Erkenntnisse für
Erkrankungen des atopischen Formenkreises.
charakterisiert durch die klinische Trias: chronisches Ekzem mit
einem Gesamt-IgE über 2000 IU/ml im Serum, rezidivierende
Infektionen (insbesondere Abszesse, Infektionen des
Respirationstraktes wie Pneumonien mit Pneumatozelenbildung und
Candidainfektionen) und skelettbezogene Symptome (vergröberte
Gesichtszüge, Milchzahnpersistenz, Skoliose, Spontanfrakturen und
Überstreckbarkeit der Gelenke). Durch das Auftreten von
skelettbezogenen Symptomen neben der klassischen immunologischen
Trias (rezidivierende Abszesse, rezidivierende Pneumonien und
erhöhtes Gesamt-IgE) wird das HIES nach Grimbacher et al. heute als
Multisystemerkrankung bezeichnet (Grimbacher et al. 1999a). Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt sind Ätiologie und Pathogenese noch
unbekannt, so dass Definition und Diagnosestellung nur anhand
klinischer Parameter zu stellen sind. Ziel einer Kooperation mit
einer Arbeitsgruppe der National Institutes of Health (NIH) in
Bethesda, USA, war es einen molekulargenetischer Nachweis eines
Gendefektes zu finden. In dieser Arbeit wurden 68 Patienten mit
Anfangsverdacht auf ein HIES analysiert. Bei 13 Patienten konnte
ein HIES diagnostiziert werden. Bei 12 dieser Patienten fand sich
ausnahmslos ein chronisches Ekzem (bei 75% bereits vor der vierten
Lebenswoche manifest), Staphylokokken-Abszesse der Haut (bei 83%
auch Organabszesse), rezidivierende Infektionen des HNO-Bereiches,
eine Candidose der Mundschleimhaut sowie der Finger- und Fußnägel,
ein Gesamt-IgE über 2000 IU/ml und einer Vergröberung der
Gesichtszüge (HIES-typische Fazies). Bei 11 von 12 Patienten traten
rezidivierende Pneumonien auf, die in 25% mit einer
Pneumatozelenbildung einhergingen. Bei der Hälfte der
HIES-Patienten fand sich eine IgD-Erhöhung über 100 IU/ml. 50% der
Patienten hatten Spontanfrakturen, 67% eine Überstreckbarkeit der
Gelenke und 60% der über sechzehnjährigen eine Skoliose. Eine
Milchzahnpersistenz, ein erstmals von Grimbacher et al.
beschriebener Befund, konnte mit einem Auftreten bei 73% unserer
über sechsjährigen Patienten bestätigt werden (Grimbacher et al.
1999a). Der Vergleich von anthropometrischen Daten des Gesichtes
mit Standardwerten der Literatur (Farkas LG 1994) ergab signifikant
erhöhte Mittelwerte für die Nasenflügelbreite (z-Score=4), den
äußeren (z-Score=6) und inneren Augenabstand (z- Score=2) und
Normwerte für den Kopfumfang. Ein Patient hatte eine
Craniosynostose. Zusätzlich traten bei jeweils einem weiteren
Patienten eine zweifache Non-Hodgkin- Lymphom-Erkrankung (T- und
B-Zelltyp), ein juveniler arterieller Hypertonus, eine beidseitig
operationsbedürftige Katarakt, eine Echinococcus
alveolaris-Infektion der Leber und eine Hämophilie A auf.
Familiarität könnte bei diesen 12 Patienten nicht beobachtet
werden. Eine vergleichbare infektions-immunologische Symptomatik
(Ekzem, rezidivierende Infektionen der Haut und des
Respirationstraktes und erhöhtes IgE) wie Patienten mit klassischem
HIES zeigten 5 Patienten aus 5 konsanguinen Familien türkischer
Abstammung. Abgesehen von einer milden Überstreckbarkeit der
Gelenke bei einer Patientin konnten keine weiteren zahn- und
skelettbezogenen Symptome festgestellt werden. Zusätzlich fanden
sich bei diesen Patienten eine extreme Eosinophilie (bis 16000
Eosinophile per µl; vgl. Abb. 14), ungewöhnlich starker Molluscum
contagiosum Befall und cerebrale Gefäß- und Blutungsprobleme, die
zu einer hohen Letalität führten. Retrospektiv konnte in 4 der
Familien ein weiteres bereits verstorbenes Geschwisterkind mit HIES
diagnostiziert werden. Aufgrund von Konsanguinität und familiärem
Auftreten der Symptome in einer Generation wird bei diesen Familien
ein autosomalrezessiver Erbgang vermutet. Dieses Krankheitsbild ist
bisher nicht in der Literatur erwähnt und soll als autosomal
rezessive Variante der HIES beschrieben werden. Mit diesen Familien
wird aktuell eine Genom-weite Kopplungsanalyse durchgeführt. Sieben
weitere Patienten zeigten durch eine geringere Ausprägung der
Symptome eine milde Unterform des klassischen HIES.
Differentialdiagnostisch ist eine andere Grunderkrankung wie z.B.
eine schwere atopische Dermatitis nicht völlig auszuschließen.
Aufgrund der klinischen Einschätzung wurden die 68 Patienten mit
Anfangsverdacht auf ein HIES in vier Diagnosegruppen eingeteilt:
„klinisch-gesichert HIES“, „HIESVariante“, „Verdacht auf HIES“,
„kein HIES“. Wesentliche differentialdiagnostische Kriterien waren
hierbei: Ekzemmanifestation vor der 6. Lebenswoche, infiltrierende
Abszesse (Organabszesse), Nagelcandidose, Spontanfrakturen,
Überstreckbarkeit der Gelenke und, als besonders spezifisches
Merkmal, die Milchzahnpersistenz. Ein wichtiges weiteres
Charakteristikum ist die HIES-typische Fazies, die nur bei den von
uns persönlich gesehenen Patienten ausgewertet werden konnte. Der
Vergleich der Mittelwerte für das Gesamt-IgE
(95%-Konfidenzintervall) ergab keinen signifikanten Unterschied der
verschiedenen Diagnosegruppen untereinander, so dass die Höhe des
Gesamt-IgE zwar für HIES meist über 2000 IU/ml liegt, aber nicht
als spezifisch für diese Erkrankung anzusehen ist. Diese klinischen
Diagnosegruppen wurden mit dem Ergebnis eines Algorithmus, der zur
Veranschaulichung des Entscheidungsprozesses bezüglich des HIES
entwickelt wurde und in sechs Stufen Symptome bzw.
Symptomenkomplexe des HIES auf ihr Vorhandensein getestet,
verglichen. Ein vom NIH entwickeltes Scoresystem wurde auf seine
Aussagefähigkeit zur Diagnosestellung überprüft (vgl. Tab. 3). Es
ergab sich daraus, dass bei einem Scorewert von über 40 Punkten mit
großer Wahrscheinlichkeit ein HIES vorliegt und bei einem Wert
unter 20 Punkten die Diagnose verworfen werden konnte. Das
NIH-Scoresystem und der Algorithmus ließen somit eine Aufspaltung
zwischen den Patienten mit klinisch-gesichertem HIES und keinem
HIES zu. Aus unserer klinischen Studie konnten somit konkrete
Entscheidungshilfen zur Diagnosestellung gegeben werden, die es
ermöglichen, das HIES früher zu erkennen, um so Lebensqualität und
Prognose dieser chronischen Krankheit durch frühzeitige intensive
antimykotische-antibiotische Therapie und Abszessspaltung weiter zu
verbessern und assoziierte Merkmale (Milchzahnpersistenz,
pathologische Frakturen, Skoliose und Lymphome) in die Therapie
bzw. Prophylaxe einzubeziehen. Es wird vermutet, dass das
klassische HIES einem monogenen, autosomal-dominanten Erbgang mit
variabler Expressivität folgt. Mittels Linkage-Studie konnte ein
signifikanter LOD score in der Region 4q21 bestimmt werden
(Grimbacher et al. 1999b). Die Suche nach dem Gendefekt für das
HIES ist bisher noch nicht abgeschlossen. Kopplungsanalysen von
familiärem HIES am NIH und unsere klinische Studie legen nahe, dass
es nicht nur unterschiedliche Phänotypen des HIES gibt, sondern
auch unterschiedliche Gendefekte anzunehmen sind (Grimbacher
1999b). Sollte für das HIES ein Gendefekt nachgewiesen werden, so
bestünde die Hoffnung, über die daraus resultierende biologische
Störung (z.B. Proteindefekt) entscheidende Erkenntnisse zur
Ätiologie und Pathogenese des HIES zu erlangen. Davon hängt
schließlich die Möglichkeit einer kausalen Therapie, eventuell
einer somatischen Gentherapie, ab, aber ebenso die genetische
Beratung betroffener Familien und vielleicht auch Erkenntnisse für
Erkrankungen des atopischen Formenkreises.
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