Psychiatrische und psychometrische Befunde bei PatientInnen mit Chronic Fatigue Syndrom
Beschreibung
vor 22 Jahren
Seit den 80er Jahren wurde das sogenannte „Chronic Fatigue Syndrom“
mit dem sehr unspezifischen und weitverbreitetem Hauptsymptom
„chronische Erschöpfung“ vermehrt zum Gegenstand medizinischen
Forschung, wobei bald konzeptionelle, terminologische und
klassifikatorische Probleme auftraten. Mit dem Ziel, eine Grundlage
für den klinischen Zugang in der Praxis und eine pragmatische Basis
für die medizinisch-wissenschaftliche Forschung zu schaffen, wurden
Ende der 80er Jahre mehrere Falldefinition für das Chronic Fatigue
Syndrom vorgestellt, wobei vor allem auf den Ausschluß von
Erkrankungen, die maskiert als CFS auftreten können, Wert gelegt
wurde. Die aktuellste und am meisten eingesetzte Falldefinition
wurde von einer Expertengruppe des Center for Disease Control and
Prevention, Atlanta/ USA, 1994 herausgegeben und ist auch Grundlage
der vorliegenden Arbeit. In dem Bemühen, die in der Literatur
vorherrschende Dichotomisierung in somatische bzw. psychologischen
Untersuchungsansätze zu vermeiden, wurden im Rahmen einer primär
explorativen Studie am Friedrich-Baur-Institut der Universität
München 38 PatientInnen mit Chronic Fatigue Syndrom
interdisziplinär untersucht. Durch enge Kooperation von Neurologie,
Innerer Medizin und Psychiatrie wurden auf breiter Basis Daten
erhoben mit dem Ziel, spezifische Charakteristika von CFS Patienten
zu identifizieren, um somit einen Beitrag zur genaueren Erfassung
und zielgerichteten Therapie leisten zu können. Zu diesem Zweck
wurden alle PatientInnen sowohl internistisch und neurologisch
unter Einbeziehung zahlreicher Laborparameter als auch eingehend
psychiatrisch unter Berücksichtigung psychometrischer Parameter
untersucht. Für die Erfassung letzterer wurden folgende Selbst-
bzw. Fremdbeurteilungsskalen eingesetzt: Minnesota Multiphasic
Personality Inventory = MMPI; Hopkins Symptom Check List =
SCL-90-R; Montgomery Asberg Depression Rating Scale = MADRS und die
Hamilton Depression Scale = HAMD). Die somatischen
Untersuchungsergebnisse, die in einer anderen Arbeit dargestellt
werden (Späth et al., in Vorbereitung), lassen sich an dieser
Stelle dahingehend zusammenfassen, daß keine spezifischen Parameter
zur Charakterisierung der CFS-PatientInnen gefunden werden konnten,
wogegen die psychiatrischen und psychometrischen
Untersuchungsergebnisse, auf die sich vorliegende Arbeit
konzentriert, eine Reihe von Auffälligkeiten zeigten. So ergab sich
in über 90% der Fälle eine psychiatrische Diagnose, wobei am
häufigsten somatoforme Störungen, Neurasthenie und affektive
Störungen diagnostiziert wurden. Hierzu korrespondierte, dass 82%
der Patienten vor Aufnahme in die Studie bereits von Seiten Dritter
eine psychiatrische, nervenärztliche oder psychotherapeutische
Behandlung empfohlen worden war, allerdings nur knapp 30% zum
Untersuchungszeitpunkt auch in einer solchen Behandlung waren. In
ihrem subjektiven Krankheitsverständnis ging der Großteil der
PatientInnen von einem überwiegend somatischen Modell der
Verursachung von CFS aus und dementsprechend zeigten auch weniger
als 10% eine gute Motivation für eine psychotherapeutische
Behandlung. Auch die Auswertung der psychometrischen Skalen MADRS
und HAMD verwies auf das Vorliegen von depressiver Symptomatik bei
den CFS-PatientInnen. Bei den Selbstbeurteilungsinstrumenten MMPI
und SCL-90-R waren vor allem die T-Werte derjenigen Skalen über die
Norm erhöht, welche in Bezug zu den somatoformen Störungen und zur
Neurasthenie stehen. Auf Basis klinischer Überlegungen wurden zwei
Untergruppen von CFS Patienten gebildet, die sich bezügliche des
Beginns der Symptomatik, das heißt akut versus protrahiert,
unterschieden. Die kleinere Gruppe „CFS-akut“ umfaßte alle
PatientInnen mit akutem Einsetzen der Symptome, die dann rasch zum
Vollbild von CFS führten. Nach Auswertung der psychometrischen
Instrumente fiel auf, daß sehr wenige Skalenwerte auffällig erhöht
waren und die PatientInnen in der Nähe des Normalkollektivs
lokalisiert waren. Erhöht waren die Werte jener Skalen, die im
Zusammenhang mit somatischen Beschwerden stehen. Die größere Gruppe
„CFS-protrahiert“ umfaßte alle PatientInnen mit protrahiertem
Einsetzen der Symptome. Hier fanden sich auf allen psychiatrischen
Instrumenten multiple erhöhte Skalenwerte, die auf eine ausgeprägte
Psychopathologie in Richtung somatoforme Störungen schließen
ließen. Weiterhin wurde deutlich, daß die psychosoziale Situation
der CFS-PatientInnen von besonderer Bedeutung ist. Die PatientInnen
dieser Studie waren in hohem Maße psychosozialen Belastungen
ausgesetzt, hielten eine psychosomatische Genese ihrer Beschwerden
aber ganz überwiegend für unwahrscheinlich und lehnten zumeist eine
psychiatrische, nervenärztliche oder psychotherapeutische
Behandlung ab. In diesem Sinne wurde das Chronic Fatigue Syndrom
als abnormes Krankheitsverhalten nach Mechanic (1961) bzw.
Somatisierungsprozeß nach Lipowski (1988b) verstanden.Im Einklang
mit der Literatur lieferte auch die vorliegende Studie weder
bezüglich der somatischen noch der psychiatrischen Befunde
eindeutige Ergebnisse, die für das Chronic Fatigue Syndrom
spezifisch wären. Die Resultate weisen vielmehr darauf hin, daß
CFS-PatientInnen keine einheitliche Gruppe bilden, sondern
tendenziell aus Untergruppen bestehen, die sich bezüglich Art und
Ausprägungsgrad ihrer psychischen Auffälligkeiten unterschieden.
Eine mehr an dieser psychischen Problematik orientierte Therapie,
z.B. eine syndromorientierte antidepressive Therapie für die
Untergruppen mit depressiver Symptomatik bzw. ein
psychotherapeutisches Vorgehen, das – analog zu anderen
funktionellen Erkrankungen – die Somatisierungsprozesse der
PatientInnen berücksichtigt, könnte, zumindest bis bessere
Therapieansätze zur Verfügung stehen, hilfreich sein.
mit dem sehr unspezifischen und weitverbreitetem Hauptsymptom
„chronische Erschöpfung“ vermehrt zum Gegenstand medizinischen
Forschung, wobei bald konzeptionelle, terminologische und
klassifikatorische Probleme auftraten. Mit dem Ziel, eine Grundlage
für den klinischen Zugang in der Praxis und eine pragmatische Basis
für die medizinisch-wissenschaftliche Forschung zu schaffen, wurden
Ende der 80er Jahre mehrere Falldefinition für das Chronic Fatigue
Syndrom vorgestellt, wobei vor allem auf den Ausschluß von
Erkrankungen, die maskiert als CFS auftreten können, Wert gelegt
wurde. Die aktuellste und am meisten eingesetzte Falldefinition
wurde von einer Expertengruppe des Center for Disease Control and
Prevention, Atlanta/ USA, 1994 herausgegeben und ist auch Grundlage
der vorliegenden Arbeit. In dem Bemühen, die in der Literatur
vorherrschende Dichotomisierung in somatische bzw. psychologischen
Untersuchungsansätze zu vermeiden, wurden im Rahmen einer primär
explorativen Studie am Friedrich-Baur-Institut der Universität
München 38 PatientInnen mit Chronic Fatigue Syndrom
interdisziplinär untersucht. Durch enge Kooperation von Neurologie,
Innerer Medizin und Psychiatrie wurden auf breiter Basis Daten
erhoben mit dem Ziel, spezifische Charakteristika von CFS Patienten
zu identifizieren, um somit einen Beitrag zur genaueren Erfassung
und zielgerichteten Therapie leisten zu können. Zu diesem Zweck
wurden alle PatientInnen sowohl internistisch und neurologisch
unter Einbeziehung zahlreicher Laborparameter als auch eingehend
psychiatrisch unter Berücksichtigung psychometrischer Parameter
untersucht. Für die Erfassung letzterer wurden folgende Selbst-
bzw. Fremdbeurteilungsskalen eingesetzt: Minnesota Multiphasic
Personality Inventory = MMPI; Hopkins Symptom Check List =
SCL-90-R; Montgomery Asberg Depression Rating Scale = MADRS und die
Hamilton Depression Scale = HAMD). Die somatischen
Untersuchungsergebnisse, die in einer anderen Arbeit dargestellt
werden (Späth et al., in Vorbereitung), lassen sich an dieser
Stelle dahingehend zusammenfassen, daß keine spezifischen Parameter
zur Charakterisierung der CFS-PatientInnen gefunden werden konnten,
wogegen die psychiatrischen und psychometrischen
Untersuchungsergebnisse, auf die sich vorliegende Arbeit
konzentriert, eine Reihe von Auffälligkeiten zeigten. So ergab sich
in über 90% der Fälle eine psychiatrische Diagnose, wobei am
häufigsten somatoforme Störungen, Neurasthenie und affektive
Störungen diagnostiziert wurden. Hierzu korrespondierte, dass 82%
der Patienten vor Aufnahme in die Studie bereits von Seiten Dritter
eine psychiatrische, nervenärztliche oder psychotherapeutische
Behandlung empfohlen worden war, allerdings nur knapp 30% zum
Untersuchungszeitpunkt auch in einer solchen Behandlung waren. In
ihrem subjektiven Krankheitsverständnis ging der Großteil der
PatientInnen von einem überwiegend somatischen Modell der
Verursachung von CFS aus und dementsprechend zeigten auch weniger
als 10% eine gute Motivation für eine psychotherapeutische
Behandlung. Auch die Auswertung der psychometrischen Skalen MADRS
und HAMD verwies auf das Vorliegen von depressiver Symptomatik bei
den CFS-PatientInnen. Bei den Selbstbeurteilungsinstrumenten MMPI
und SCL-90-R waren vor allem die T-Werte derjenigen Skalen über die
Norm erhöht, welche in Bezug zu den somatoformen Störungen und zur
Neurasthenie stehen. Auf Basis klinischer Überlegungen wurden zwei
Untergruppen von CFS Patienten gebildet, die sich bezügliche des
Beginns der Symptomatik, das heißt akut versus protrahiert,
unterschieden. Die kleinere Gruppe „CFS-akut“ umfaßte alle
PatientInnen mit akutem Einsetzen der Symptome, die dann rasch zum
Vollbild von CFS führten. Nach Auswertung der psychometrischen
Instrumente fiel auf, daß sehr wenige Skalenwerte auffällig erhöht
waren und die PatientInnen in der Nähe des Normalkollektivs
lokalisiert waren. Erhöht waren die Werte jener Skalen, die im
Zusammenhang mit somatischen Beschwerden stehen. Die größere Gruppe
„CFS-protrahiert“ umfaßte alle PatientInnen mit protrahiertem
Einsetzen der Symptome. Hier fanden sich auf allen psychiatrischen
Instrumenten multiple erhöhte Skalenwerte, die auf eine ausgeprägte
Psychopathologie in Richtung somatoforme Störungen schließen
ließen. Weiterhin wurde deutlich, daß die psychosoziale Situation
der CFS-PatientInnen von besonderer Bedeutung ist. Die PatientInnen
dieser Studie waren in hohem Maße psychosozialen Belastungen
ausgesetzt, hielten eine psychosomatische Genese ihrer Beschwerden
aber ganz überwiegend für unwahrscheinlich und lehnten zumeist eine
psychiatrische, nervenärztliche oder psychotherapeutische
Behandlung ab. In diesem Sinne wurde das Chronic Fatigue Syndrom
als abnormes Krankheitsverhalten nach Mechanic (1961) bzw.
Somatisierungsprozeß nach Lipowski (1988b) verstanden.Im Einklang
mit der Literatur lieferte auch die vorliegende Studie weder
bezüglich der somatischen noch der psychiatrischen Befunde
eindeutige Ergebnisse, die für das Chronic Fatigue Syndrom
spezifisch wären. Die Resultate weisen vielmehr darauf hin, daß
CFS-PatientInnen keine einheitliche Gruppe bilden, sondern
tendenziell aus Untergruppen bestehen, die sich bezüglich Art und
Ausprägungsgrad ihrer psychischen Auffälligkeiten unterschieden.
Eine mehr an dieser psychischen Problematik orientierte Therapie,
z.B. eine syndromorientierte antidepressive Therapie für die
Untergruppen mit depressiver Symptomatik bzw. ein
psychotherapeutisches Vorgehen, das – analog zu anderen
funktionellen Erkrankungen – die Somatisierungsprozesse der
PatientInnen berücksichtigt, könnte, zumindest bis bessere
Therapieansätze zur Verfügung stehen, hilfreich sein.
Weitere Episoden
In Podcasts werben
Kommentare (0)