NS-Raubgut in den Bibliotheken der Bundeswehr?

NS-Raubgut in den Bibliotheken der Bundeswehr?

Auffindung und Restitution
42 Minuten
Podcast
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Interviews des ZMSBw zu Militärgeschichte, Militärsoziologie und Sicherheitspolitik: für Wissenschaft, Bundeswehr und Gesellschaft

Beschreibung

vor 1 Jahr

Auffindung und Restitution: Rund 500.000 Bände, alle
erschienen vor 1945 und verteilt auf ca. 60 Bibliotheken des
Verteidigungsressorts, werden aktuell akribisch auf ihre Herkunft
untersucht. Ziel ist es, Exemplare zu identifizieren, die während
des Dritten Reiches ihren damaligen Besitzern geraubt, in
Sammlungen beschlagnahmt oder unter Zwang verkauft wurden. Die
Rekonstruktion der Bücher-Biographien erfolgt in der Intention
einer Rückgabe an die Erben/Rechtsnachfolger.  


Manchmal liefert ein schlichter handschriftlicher Namenseintrag
im Buchdeckel einen ersten wichtigen Hinweis. Oder es findet sich
ein kunstvoll gestaltetes Exlibris, das sich einem konkreten
Vorbesitzer zuordnen lässt. Bei solchen konkreten Merkmalen am
bzw. im Exemplar setzt die "Aufklärungsarbeit" des fünfköpfigen
Expertenteams an. Die "Spurensucher/Spurensucherinnen" sind Teil
des Fachinformationszentrums der Bundeswehr (FIZBw, einer Gruppe
im Streitkräfteamt) in Bonn. Im ministeriellen Auftrag gehen sie
seit Mitte 2019 zentralen Fragen zur Provenienz der Altbestände
nach: Wem gehörte dieses Buch, bevor es in die jeweilige
Bundeswehrbibliothek gelangte? Was lässt sich über das Schicksal
früherer Besitzer ermitteln? Handelt es sich beim vorliegenden
Exemplar um NS-Raubgut oder NS-Beutegut, also um Besitz, der
Personen oder Institutionen zwischen 1933 und 1945
"NS-verfolgungsbedingt" entzogen wurde? Erste Funde als Ergebnis
einer Stichprobe hatten deutlich den Handlungsbedarf aufgezeigt,
so dass auf Initiative des FIZBw schließlich der organisatorische
Rahmen für eine systematische Bestandssichtung geschaffen
wurde.  Mehr als 155.000 Bücher sind inzwischen am Regal auf
"verdächtige" Vorbesitzerspuren untersucht worden. Auf diese
Autopsie folgen jeweils Tiefenrecherchen zur Identität und
Biographie früherer Bucheigentümer sowie zu deren Schicksal in
der NS-Zeit.  
Komplex: Bücherwege rekonstuieren

Zu den bisherigen Entdeckungen gehören Bücher aus geraubtem
jüdischen Privatbesitz, konfiszierten Sammlungen jüdischer
Organisationen, von Regimegegnern, Freimaurerlogen,
zwangsaufgelösten Gewerkschaften und Arbeitervereinen,
katholischen Klöstern etc.


Sensibilität, ein geschulter Blick, Spürsinn gepaart mit
historischem Wissen, aber auch Erfahrung im Umgang mit
einschlägigen Suchinstrumenten und
bibliothekarischen/archivischen Quellen und Datenbanken sind
wichtige Kompetenzen, die ein Provenienzforscher/eine
Provenienzforscherin mitbringen muss. Es gilt, unterschiedliche
Zeichen zu dechiffrieren, dabei bisweilen unscheinbare
Vorbesitzermerkmale zu erkennen und zuzuordnen und nach
Möglichkeit die verschiedenen Stationen und damit
Bücher-Migrationen nachzuvollziehen. Diese Rekonstruktion der
konkreten Objekt-Biographie kann mitunter sehr aufwendig sein.
Nicht selten weist sie zudem Lücken auf, die sich selbst durch
ergänzende Sichtung von Zugangsjournalen oder erhaltenen Akten
nicht (mehr) in Gänze schließen lassen.


Im März 2023 begann das Team des Fachinformationszentrum der
Bundeswehr mit der Sichtung der umfangreichen Altbestände in der
Fachbibliothek des Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften in Potsdam. Aus diesem Anlass sprach
Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers (ZMSBw) mit der leitenden
Bibliotheksdirektorin Birgit A. Schulte (FIZBw) - über
Hintergrund und Untersuchungsdesign des Projektes und die
besondere Motivation, die vergessenen Lebensgeschichte(n) der
beraubten Opfer ausgehend von ihrem überlieferten einstigen
Buchbesitz wieder sicht- und (be-)greifbar zu machen. 


 

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