Berechnung molekularer Eigenschaften in komplexer Lösungsmittelumgebung

Berechnung molekularer Eigenschaften in komplexer Lösungsmittelumgebung

Beschreibung

vor 25 Jahren
Quantenmechanische (QM) Grundzustandsrechnungen auf Basis der
Dichtefunktionaltheorie (DFT) erlauben bei der derzeitigen
Leistungsfähigkeit von Supercomputern die Molekulardynamik-
Simulation (MD-Simulation) von molekularen Systemen mit bis zu 100
Atomen. Verwendet man nicht-lokale
Austausch-Korrelations-Funktionale, so werden
Elektronen-Korrelationseffekte erfaßt. Damit kann insbesondere das
Kraftfeld von Farbstoffmolekülen mit ausgedehnten konjugierten
p-Elektronensystemen richtig beschrieben werden. Ein prominentes
Beispiel für ein solches Farbstoffmolekül ist die Schiffsche Base
von Retinal, die in dem lichtgetriebenen Protonenpumpzyklus des
Proteins Bacteriorhodopsin (BR) eine führende Rolle spielt. Die
elektrostatischen Felder und die sterischen Bedingungen in der
Chromophorbindungstasche im Inneren des Proteins steuern die
Eigenschaften und Reaktionen des Farbstoffes auf eine
hochspezifische Weise. Eine für das Verständnis dieser Protein-
Chromophor-Wechselwirkung nötige quantenmechanische Behandlung des
gesamten Protein- Chromophor-Komplexes ist nicht durchführbar, da
Proteine in der Regel aus mehreren tausend Atomen bestehen und dies
einen immensen Rechenaufwand zur Folge hätte. Nur
molekülmechanische (MM) Proteinmodelle, bei denen molekulare
Kraftfelder durch semiempirisch bestimmte Energiefunktionen
approximiert werden, lassen sich numerisch hinreichend effizient
auswerten und gestatten so eine mikroskopische Beschreibung der
Dynamik von Proteinen. Aufgrund der vielen Vereinfachungen, die
MM-Modellen anhaften, können jedoch keine chemischen Reaktionen
oder Eigenschaften von Farbstoffmolekülen erfaßt werden. Aus diesem
Grund wurde in dieser Arbeit ein QM/MM-Hybridverfahren entwickelt,
mit dessen Hilfe ein kleiner Teil eines Proteinsystems, etwa ein
gebundenes Substrat oder ein eingelagerter Farbstoff, mit einem
DFT-Verfahren quantenmechanisch (QM-Fragment) und die nicht
vernachlässigbare Proteinumgebung molekülmechanisch (MM-Fragment)
behandelt werden kann. Zu diesem Zweck wurde ein geeignetes
Wechselwirkungsschema zwischen QM- und MMFragment entwickelt, das
in dem EGO/CPMD-Programmpaket implementiert wurde. Für die
Berechnung der elektrostatischen Wechselwirkung zwischen den
Fragmenten war es nötig, die sogenannte FAMUSAMM-Methode (fast
multiple-time-step structure adapted multipole method) weiter zu
entwickeln, so daß auch sehr große Hybridsysteme, bei denen die
MM-Fragmente aus mehreren tausend Atomen bestehen, ohne Verlust an
Genauigkeit behandelt werden können. Die bei kovalent aneinander
gebundenen Fragmenten im QM-Fragment auftretende freie Valenz an
einer Fragmentschnittstelle erfordert eine spezielle Behandlung.
Hierfür werden vielfach sogenannte Link-Atom-Verfahren eingesetzt,
bei denen das QM-Fragment durch ein zusätzlich eingeführtes
Wasserstoffatom, das Link-Atom, abgesättigt wird. Wie in der
vorliegenden Arbeit erstmals gezeigt werden konnte, lassen sich die
dynamischen Freiheitsgrade, die in einem QM/MM-Hybridsystem durch
ein Link-Atom zusätzlich auftreten und die Dynamik nachweislich
verfälschen, vollständig eliminieren. Hierzu wurde ein neues
Link-Atom-Verfahren SPLAM (scaled position link atom method)
entwickelt, bei dem alle störenden Effekte, die von dem Link-Atom
ausgehen, beseitigt werden, so daß das Kraftfeld an der
Fragmentschnittstelle korrekt wiedergegeben wird. In ausführlichen
Testrechnungen wurde die Qualität der in dieser Arbeit entwickelten
QM/MM-Hybridmethode untersucht. Dabei wurden insbesondere
berechnete Schwingungsspektren eingesetzt, da diese eine sehr
empfindliche Probe für die Qualität eines molekularen Kraftfeldes
sind. Es konnte durch MD-Simulation eines Wasserclusters
demonstriert werden, daß in QM/MM-Hybridmodellen das
TIP3P-Wassermolekülmodell, bei dem die Elektrostatik eines
Wassermoleküls durch drei Punktladungen beschrieben wird, den
Lösungsmitteleinfluß von Wasser richtig modelliert. Bei der
Untersuchung eines Wasserdimers hat sich herausgestellt, daß die
wohlbekannte Schwäche der LDA-Näherung, die Stärke von
Wasserstoffbrückenbindungen zu überschätzen, sich bei
Hybridmodellen nicht auf die Wechselwirkung zwischen QM- und
MM-Fragment überträgt. Anhand des Schwingungsspektrums von Äthan
wurde demonstriert, daß im SPLAM-Verfahren – im Gegensatz zu den
üblichen in der Literatur verwendeten Link-Atom-Verfahren –
Schwingungsmoden, die über beide Fragmenthälften delokalisiert
sind, durch die Fragmentierung nicht verfälscht werden. Außerdem
wurde gezeigt, daß das SPLAM-Verfahren auch für im QM-Fragment
lokalisierte p-Elektronensysteme geeignet ist, wenn zur Vermeidung
von Substituenteneffekten eine CH2-Gruppe als „elektronische
Isolierung“ zwischen QM-Fragment und MM-Fragment in die
quantenmechanische Beschreibung aufgenommen wird. Im letzten
Kapitel wurde als erste Anwendung für eine kleine Schiffsche Base
in wäßriger Lösung ein ensemblegemitteltes IR-Spektrum berechnet.
Als zweite Anwendung wurde die Retinal- Schiff-Base
quantenmechanisch in der Bindungstasche von BR untersucht. Durch
Vergleich von berechneten IR-Spektren mit experimentellen Daten
konnte gezeigte werden, daß das im Jahre 1996 von Grigorieff et al.
vorgeschlagene BR-Modell einen guten Ausgangspunkt für
Strukturverfeinerungen der BR-Bindungstasche darstellt.
Insbesondere legen die QM/MMHybridrechnungen nahe, daß in BR568 das
Proton der Schiffschen Base in Richtung von Asp85 orientiert ist.
Mit der letzten Anwendung wurde demonstriert, wie berechnete
IR-Spektren von QM/MMHybridmodellen ein Beitrag zur
Strukturaufklärung von Proteinen wie BR leisten können. Ferner wird
es mit Hilfe der in dieser Arbeit entwickelten QM/MM-Hybridmethode
möglich sein, den Ablauf von enzymatischen Reaktionen bei
Proteinen, für die hinreichend genaue Strukturinformationen bekannt
sind, zu studieren.

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