Patrick Kaczmarczyk: Warum beruht der "Erfolg" der Autoindustrie nicht auf Innovation, sondern auf Rechenkünsten?

Patrick Kaczmarczyk: Warum beruht der "Erfolg" der Autoindustrie nicht auf Innovation, sondern auf Rechenkünsten?

Ein Gespräch über vermeintliche Erfolge der europäischen Automobilindustrie, deren Wettbewerb eher als darwinistisch und zerstörerisch – und wenig innovativ – bezeichnet werden sollte.
41 Minuten
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On the way to new mobility: Katja Diehl spricht alle 14 Tage mit Gästen über Mobilität statt Verkehr, Diversität, New Work, Inklusion, kindergerechte Stadt und das Mobilisieren auf dem Land.

Beschreibung

vor 1 Jahr
Wirtschaftlicher Wettbewerb gilt in der öffentlichen Debatte
gemeinhin als Garant für den Fortschritt. Patrick Kaczmarczyk
jedoch wirft ein, dass diese These so nicht stehenbleiben kann,
solange man die Frage nach der Qualität des Wettbewerbs nicht
stellt. Ist es ein Wettbewerb, der hauptsächlich auf
Lohnkostenbasis ausgetragen wird? Oder über Investitionen und
Produktivitätssteigerungen? Anhand der europäischen
Automobilindustrie hat er aufgezeigt, wie darwinistisch und
zerstörerisch – und wie wenig innovativ – der Wettbewerb im
europäischen Automobilmarkt war. Entgegen weitläufiger
Vorstellungen sind selbst die deutschen Autohersteller, die
gemeinhin als führend in Europa gesehen werden, wenig erfolgreich
gewesen, wenn man den Blick auf Schlüsselindikatoren wie die
Profitmargen, Cashflows und Innovationskapazität in alternativen
Antriebstechnologien richtet. In Europa, wo der Pkw-Markt im Laufe
der Zeit stagnierte, zeigen die Daten, wie es den deutschen
Unternehmen gelang, Marktanteil auf Kosten anderer Hersteller zu
steigern. Einen Wendepunkt in der Branche stellen die 2000er Jahre
dar, in denen die deutschen Produktionsstandorte ihre
Wettbewerbsfähigkeit durch radikale Umstrukturierungsmaßnahmen im
Inland (sowohl innerhalb der Unternehmen als auch als auch bei den
Zulieferern) und durch Auslagerung der Produktion nach Osteuropa
erhalten konnten. Nach der Finanzkrise profitierten die deutschen
Unternehmen zudem von günstigeren Refinanzierungsbedingungen, die
im finanzialisierten Automobilmarkt immer wichtiger wurden, da ein
großer Teil des Absatzes über die eigenen Autobanken abläuft.
Aufgrund des darwinistischen Verdrängungswettbewerbs in Europa
wurde die Produktion in Deutschland vor allem durch Kosten- und
Refinanzierungsvorteile erhalten. Anstatt, dass man durch eine
kluge Investitions- und Lohnpolitik die Industrie zur Veränderung
und Transformation gezwungen hätte, spezialisierte man sich immer
mehr auf die Produktion einer aussterbenden Technologie, verpasste
technologisch den Anschluss an Hersteller in Asien und in den USA,
und blockierte zudem jegliche Initiativen für eine nachhaltigere
Gestaltung der Industrie in Brüssel. Dies betraf ebenso die gesamte
Wertschöpfungskette, die nun vor den Scherben der Politik der
letzten 20 Jahre steht. In seinem Buch „Kampf der Nationen“
kritisiert Patrick somit die gängige Wettbewerbspolitik, die in den
vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich über Druck auf die Löhne,
weniger über die Produktivität geführt wurde. Zudem erläutert er,
dass die Politik überhaupt nicht die richtigen Bedingungen für
einen wirtschaftlich fortschrittlichen Wettbewerb auf die Beine
gestellt hat, weil es dafür eine viel weitreichendere
internationale Zusammenarbeit bräuchte, insbesondere in der
Lohnpolitik. Ziel müsste eine wirtschaftliche Kooperation der
Staaten sein, die sicherstellt, dass nur die Unternehmen, nicht
aber die Staaten miteinander im Wettbewerb stehen. In der Theorie
existieren bereits diverse Modelle, aber sie finden kaum Anwendung
in der Praxis. Hier dominiert noch kurzfristiges und
mikro-orientiertes Denken. Patrick Kaczmarczyk ist Referent für
Wirtschaftspolitik in Berlin. Zuvor arbeitete er als Berater für
die Vereinten Nationen in Genf. Dort befasste er sich in der
UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) mit
Analysen zur Kapitalmarktstabilität in Entwicklungs- und
Schwellenländern mit Schwerpunkt in Projekten zur Stabilisierung
der wirtschaftlichen Lage im Nahostkonflikt. Neben seiner
Beratungstätigkeit promovierte er als Stipendiat des Economic and
Social Research Council (ESRC) der britischen Regierung am Institut
für politische Ökonomie der Universität Sheffield.

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