EU v. Polen,Teil 2 - Hase und Igel
Der Konflikt zwischen der EU und Polen ist bereits viel weiter
eskaliert, als man bis vor kurzem für vorstellbar gehalten hätte.
Und immer noch ist kein Ende in Sicht. Aus dem innerpolnischen
Verfassungskonflikt um Rechtsstaat und unabhängige Justiz ...
41 Minuten
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Podcaster
Beschreibung
vor 3 Jahren
Der Konflikt zwischen der EU und Polen ist bereits viel weiter
eskaliert, als man bis vor kurzem für vorstellbar gehalten hätte.
Und immer noch ist kein Ende in Sicht. Aus dem innerpolnischen
Verfassungskonflikt um Rechtsstaat und unabhängige Justiz ist ein
europäischer Verfassungskonflikt um den Vorrang des EU-Rechts
geworden. Wie konnte das passieren? Was für Kräfte sind da am
Werk? Und wie kommen wir da wieder heraus?
Diesen Fragen wollten wir in diesem Podcast-Projekt auf den Grund
gehen. Wir haben Interviews mit Jurist_innen,
Politikwissenschaftler_innen und Historiker_innen geführt, haben
recherchiert, diskutiert und nachgedacht.
In den Folgen 1 bis 3 geht es um Entstehung und Verlauf des
Konflikts – zuerst auf der innerpolnischen Bühne (1), dann die
Reaktion der EU (2) und die Gegenreaktion der polnischen
Regierung (3). Dabei wird ein viel älterer Konflikt, der die
ganze Integrationsgeschichte der EU durchzieht, in mächtige
Resonanzschwingungen versetzt (4). Er präfiguriert die
Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen (5, 6).
Teil 1: Projekt Imposybilizm
In Polen kommt 2015 eine neue rechtspopulistische Regierung an
die Macht, die von Tag 1 an beginnt, ihren Plan zur Unterwerfung
der unabhängigen Justiz in die Tat umzusetzen, und dabei auf die
Institutionen und Verfahren der polnischen Verfassung keinerlei
Rücksicht nimmt. Wir rekonstruieren, was es mit diesem Plan auf
sich hat, wo er herkommt und wie es der PiS-Regierung gelang, ihn
umzusetzen – und bis zu welchem Punkt.
Teil 2: Hase und Igel
Spätestens 2017/18, als die PiS-Regierung ihr Gesetzespaket zur
Übernahme der Justiz vorlegt, wird der auf Dialog und Ausgleich
bedachten EU-Kommission bewusst, dass sie ein Riesenproblem hat.
Während die anderen Mitgliedstaaten keinerlei Interesse zeigen,
das Problem auf politischem Weg zu lösen, bringt sich der
Europäische Gerichtshof in Luxemburg mit einer Kette von
revolutionären Urteilen in eine Position, die gegen die
Zerstörung der unabhängigen Justiz in Polen wirksame Hilfe
verspricht. Doch die PiS-Regierung reagiert anders als erhofft.
00:00 bis 13:05: Europa wacht auf
13:06 bis 18:24: Portugiesische Richter:innen
18:25 bis 26:00: Irische Richter:innen
26:01 bis 31:41: Polnische Richter:innen
31:42 bis 40:49: Ein europäisches Verfassungsgericht
Teil 3: Der große Crackdown
2019 - 2021 lässt die PiS-Regierung ihr eigens zu diesem Zweck
errichtetes Disziplinarregime auf die polnischen Richter_innen
los, um ihren vom EuGH ermutigten Widerstand zu ersticken. Die
wenden sich an den anderen Europäischen Gerichtshof, den für
Menschenrechte in Straßburg, der erklärt, dass die von der
PiS-Regierung mit ihren Gefolgsleuten infiltrierten Gerichte
nicht "auf Gesetz beruhen" und also gar keine Gerichte sind. Die
PiS-Regierung wiederum bestellt sich bei dem von ihr
kontrollierten "Verfassungsgericht" Urteile, wonach Polen der
Rechtsprechung beider Europäischer Gerichtshöfe und dem Recht,
auf das sie sich stützen, aus angeblichen verfassungsrechtlichen
Gründen keinen Gehorsam schuldet.
Teil 4: Der Kampf um den Vorrang
Damit ist aus dem polnischen Verfassungskonflikt endgültig ein
europäischer Verfassungskonflikt geworden: Es geht um den Vorrang
des EU-Rechts und damit um den Grundpfeiler der Verfassung der
Europäischen Union. Der ist allerdings weniger unumstritten als
viele meinen. Der Kampf zwischen EuGH und nationalen
Verfassungsgerichten, an die PiS-Regierung anzuknüpfen behauptet,
durchzieht die ganze Geschichte der EU – und das deutsche
Bundesverfassungsgericht hat dabei immer wieder eine
Schlüsselrolle gespielt.
Teil 5: An den Grenzen des Rechts
Was also tun? Ist der Versuch, Polen mit rechtlichen Mitteln zum
Gehorsam gegenüber dem EU-Recht zu zwingen, gescheitert? Oder war
er nur noch nicht entschlossen genug? Wie kann die EU ihre
Grundwerte verteidigen, wenn die Mitgliedstaaten das offenbar gar
nicht so wichtig finden? Werden sie erst aktiv, wenn es um die
Verteidigung ihrer Beiträge zum EU-Haushalt gegen Korruption und
Misswirtschaft geht? Und was verrät uns das über die Verfasstheit
der Europäischen Union selbst?
Teil 6: Am Ende der Geduld
Wenn die Mitgliedstaaten eine gerichtlich durchsetzbare
Verfassungspflicht zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der EU
nicht wollen – was wollen sie dann? Warum machen sie von den
politischen Möglichkeiten keinen Gebrauch, die die EU-Verträge
ihnen geben? Warum ist das Artikel-7-Verfahren so ein stumpfes
Schwert? Wenn Polen kein Rechtsstaat mehr ist – kann es dann
überhaupt Mitglied der EU bleiben?
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Gesprächspartner:innen:
Prof. Dr. Dr. h.c. Stanisław Biernat, Jagiellonian University
in Kraków
Prof. Dr. Tanja A. Börzel, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Hans-Petter Graver, Universität Oslo
Prof. Dr. Ireneusz Paweł Karolewski, Universität Leipzig
Prof. R. Daniel Kelemen, Rutgers University
Prof. em. Dr. Ulrike Liebert, Universität Bremen
Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, Europa-Universität
Flensburg
Prof. Dr. Franz C. Mayer, Universität Bielefeld
Dariusz Mazur, Richter am Regionalgericht Krakau
Prof. Dr. Florian Meinel, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Jan-Werner Müller, Princeton University
Prof. Dr. Martin Nettesheim, Universität Tübingen
Dr. Thu Nguyen, Jacques Delors Centre
Prof. Dr. Laurent Pech, Middlesex University London
Prof. Dr. Morten Rasmussen, University of Copenhagen
Dr. Roya Sangi, Kanzlei Redeker Sellner Dahs
Prof. Dr. Daniel Sarmiento, Universidad Complutense Madrid
Dr. Malte Symann, Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer
Prof. Dr. Alexander Thiele, BSP Business & Law School
Berlin
Prof. Dr. Antoine Vauchez, Université Paris 1-Sorbonne
Anna Wójcik, Polnische Akademie der Wissenschaften
Quellen:
Auf dem Verfassungsblog sind seit 2015 mehr als 300 Artikel zur
Rechtsstaatskrise in Polen erschienen. Eine unschätzbare
Informationsquelle ist außerdem die fortlaufende
Berichterstattung auf der Website RuleofLaw.pl.
Weitere Informationsquellen:
Amelie Albrecht: Sanktionen gegenüber „democratic
backsliding“ in Ungarn und Polen - Das Interventionsparadox der
EU. Münchner Beiträge zur Politikwissenschaft 2020. DOI:
10.5282/ubm/epub.72109.
Petra Bárd, Adam Bodnar: The End of an Era. The Polish
Constitutional Court’s judgment on the primacy of EU law and its
effects on mutual trust, CEPS Policy Insights 2021 / 15.
Stanisław Biernat, Paweł Filipek: The Assessment of Judicial
Independence Following the CJEU Ruling in C-216/18 LM. In: Armin
von Bogdandy et al. (Hrsg.): Defending Checks and Balances in EU
Member States. Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und
Völkerrecht 298, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62317-6_16
Anne Boerger, Morten Rasmussen: Transforming European Law:
The Establishment of the Constitutional Discourse from 1950 to
1993. European Constitutional Law Review 2014, S. 199 ff.
Israel Butler: Two proposals to promote and protect European
values through the Multiannual Financial Framework:
Conditionality of EU funds and a financial instrument to support
NGOs, Civil Liberties Union for Europe, März 2018,
https://drive.google.com/file/d/1UG4PIg7tObjUoK9tBKq3IdqCT-eB5iM9/view
Rebecca Byberg: The History of the Integration Through Law
Project: Creating the Academic Expression of a Constitutional
Legal Vision for Europe, German Law Journal 2020, S. 1431 ff.
ESI Report 18 December 2021: The Polish Bulldozer: Towards a
win-win-win for Poland, the EU and the European Commission,
https://www.esiweb.org/sites/default/files/reports/pdf/Polish%20Bulldozer%20report%20-%20ESI%20-%2018%20December%202021.pdf
Paweł Filipek: The New National Council of the Judiciary and
its impact on the Supreme Court in the light of the principle of
judicial independence. Problemy Współczesnego Prawa
Międzynarodowego, Europejskiego i Porównawczego 2018, S. 177ff.
Gábor Halmai: The possibility and desirability of economic
sanction: Rule of law conditionality requirements against
illiberal EU Member States, EUI Working Papers Law 2018/06,
https://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/51644/LAW_2018_06.pdf
Lukas Hartmann: Fehlerfolgen: Ist die verfassungsgerichtliche
Ultra-Vires- und Identitätskontrolle aus verfassungsrechtlichen
Gründen rechtlich wirkungslos? Der Staat 2021, S. 387 ff.
R. Daniel Kelemen: The European Union's Authoritarian
Equilibrium. Forthcoming in Journal of European Public Policy,
Rutgers Law School Research
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R. Daniel Kelemen, Tommaso Pavone: Where Have the Guardians
Gone? Law Enforcement and the Politics of Supranational
Forbearance in the European Union, SSRN working paper, 27.12.2021
Dimitry V. Kochenov, Petra Bárd: The Last Soldier Standing?
Courts vs. Politicians and the Rule of Law Crisis in the New
Member States of the EU (February 22, 2019). 1 Eur Ybk Cont'l L
2019, University of Groningen Faculty of Law Research Paper
5/2019, https://ssrn.com/abstract=3339631.
Dimitry V. Kochenov, Barbara Grabowska-Moroz: Constitutional
Populism versus EU Law: A Much More Complex Story than You
Imagined. RECONNECT Working Paper 16, Juli 2021,
https://ssrn.com/abstract=3880717
Helle Krunke, Sune Klinge: The Danish Ajos Case. The Missing
Case from Maastricht and Lisbon. European Papers 2018, S. 157 ff.
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of law, Review of Democracy 29.6.2021,
https://revdem.ceu.edu/2021/06/29/legal-impossibilism-versus-the-rule-of-law.
Claus Leggewie, Ireneusz Pawel Karolewski: Die
Visegrád-Connection. Eine Herausforderung für Europa, Berlin
2021.
Wilfried Loth: Europas Einigung. Eine unvollendete
Geschichte. 2. Aufl., Frankfurt 2020.
Florian Meinel: Das Bundesverfassungsgericht in der Ära der
Großen Koalition - zur Rechtsprechung seit dem Lissabon-Urteil.
Der Staat 2021, S. 43 ff.
Christoph Möllers, Linda Schneider: Demokratiesicherung in
der Europäischen Union. Studie zu einer europäischen Aufgabe.
Heinrich-Böll-Stiftung, Schriften zu Europa Bd. 9, Berlin 2018.
Christian Neumeier: Kompetenzen. Zur Entstehung des deutschen
öffentlichen Rechts, Tübingen 2021 (i.E.).
Laurent Pech, Dimitry Kochenov: Respect for the Rule of Law
in the Case Law of the European Court of Justice. A Casebook
Overview of Key Judgments since the Portuguese Judges Case,
SIEPS 2021/3,
https://www.sieps.se/globalassets/publikationer/2021/sieps-2021_3-eng-web.pdf?.
Laurent Pech: The Rule of Law in the EU: The Evolution of the
Treaty Framework and Rule of Law Toolbox, Pech, RECONNECT
Working Paper 7, März
2020, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3608661
Laurent Pech, Sébastien Platon: Judicial Independence Under
Threat: The Court of Justice to the Rescue. Common Market Law
Review 2018, S. 1827 ff., https://ssrn.com/abstract=3607788
Laurent Pech, Kim Lane Scheppele: Illiberalism Within: Rule
of Law Backsliding in the EU. Cambridge Yearbook of European
Legal Studies 2017, S. 3
ff., http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3009280
Morten Rasmussen: Towards a Legal History of the EU, European
Papers 2021, S. 923 ff.
Wojciech Sadurski: Poland's Constitutional Breakdown, Oxford
2019.
Wojciech Sadurski: What makes Kaczyński tick? ICONnect
14.1.2016,
http://www.iconnectblog.com/2016/01/what-makes-kaczynski-tick/.
Marek Safjan: Transitional Justice: The Polish Example, the
Case of Lustration. European Journal of Legal Studies 2007, S. 1,
http://hdl.handle.net/1814/7711.
Eric Stein: Lawyers, Judges, and the Making of a
Transnational Constitution, American Journal of International Law
1981, S. 1 ff., https://doi.org/10.2307/2201413
Hanna Suchocka: Lustration: Experience of Poland.
Venedig-Kommission des Europarats, CDL-PI(2015)029.
Tom Theuns: The Need for an EU Expulsion Mechanism:
Democratic Backsliding and the Failure of Article 7, Res Publica,
2.11.2021, https://doi.org/10.1007/s11158-021-09537-w
Venedig-Kommission des Europarats: Joint Urgent Opinion of
the Venice Commission and the Directorate General of Human Rights
and the Rule of Law (DGI) of the Council of Europe on Amendments
to the Law on the Common Courts, the Law on the Supreme Court and
some Other Laws, 16.1.2020, CDL-PI(2020)002.
Urteile:
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:
12.9.2019: Guðmundur Andri Ástráðsson v. Iceland, 26374/18,
http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-191701
7.5.2021: Xero Flor w Polsce v. Polen, 4907/18,
http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-210065
29.6.2021: Broda und Bojara v. Polen, 26691/18, 27367/18,
http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-210693
22.7.2021: Reczkowicz v. Polen, 43447/19,
http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-211127
8.11.2021: Dolińska-Ficek und Ozimek v. Polen, 49868/19
57511/19, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-213200
3.2.2022: Advance Pharma SP.Z.O.O. v. Polen,
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-215388
Europäischer Gerichtshof:
27.2.2018: Associação Sindical dos Juízes Portugueses gegen
Tribunal de Contas, C-64-16
17.4.2018: Europäische Kommission gegen Polen (Wald von
Białowieża), C-441/17
25.6.2018: LM (Celmer) , C-216/18 PPU
24.6.2019: Europäische Kommission gegen Polen (Unabhängigkeit
des Obersten Gerichtshofs), C-619/18
24.6.2019: Daniel Adam Popławski, C-573/17
5.11.2019: Europäische Kommission gegen Polen
(Zwangsverrentung), C‑192/18
19.11.2019: A. K. gegen Krajow a Rada Sądow nictwa und CP und
DO gegen Sąd Najwyższy, C‑585/18, C-624/18, C-625/18
29.1.2020: DŚ gegen Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w
Jaśle, C‑522/18 (erledigt)
26.3.2020: Miasto Łowicz gegen Skarb Państwa – Wojewoda
Łódzki und Prokurator Generalny gegen VX, WW, XV, C‑558/18,
C‑563/18
2.3.2021: A.B. u.a., C-824/18
20.4.2021: Repubblika gegen Il-Prim Ministru, C-896/19
18.5.2021: Asociația „Forumul Judecătorilor din România“,
C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19
15.7.2021: Europäische Kommission gegen Polen
(Disziplinarkammer), C-791/19
20.9.2021: Tschechische Republik/ Polen (Turów), C-121/19
(Beschluss)
6.10.2021: W.Z., C-487/19
27.10.2021: Europäische Kommission gegen Polen
(„Maulkorb“-Gesetz), einstweilige Anordnung, C-204/21 R
16.11.2021: W.B. u.a. C‑748/19 bis C‑754/19
2.12.2021: Republik Polen gegen Europäisches Parlament, Rat
der Europäischen Union, C-157/21, und Ungarn gegen Europäisches
Parlament, Rat der Europäischen Union, C-156/21, Schlussanträge
von Generalanwalt Manuel Campos Sanchez-Bordona
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