Ausgrenzung ist Aggression | Von Alexander Jacobi
27 Minuten
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Beschreibung
vor 3 Jahren
Der notorische Ausschluss von Menschen oder Themen aus einem
gesellschaftlichen Diskurs ist kein friedvoller Akt. Sich
gegenseitig wertschätzend zuzuhören, ist die Grundlage einer
friedlichen Kommunikation. Eine wertschätzende Verständigung
dringt nicht auf Überzeugung, also den Konsens, sondern hat einen
friedlichen Diskurs zum Ziel. Dieser ist Grundlage einer
friedlichen Gesellschaft. Ein Auszug aus dem Buch „Kant &
Corona: Wie viel Aufklärung leisten Medien und Politik? Wie wenig
Aufklärung verträgt die Demokratie?“
Von Alexander Jacobi.
Wenn Menschen der Regierung misstrauen, ist es eine Auszeichnung
eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, wenn sich auch
diese kritischen Menschen in diesem Land wohl fühlen. Es ist ein
gutes Anzeichen für einen selbstbewussten,
freiheitlich-demokratischen Staat, wenn in Diskussionen offen und
kritisch über Regierungsmaßnahmen gesprochen werden kann – ohne
dass daraus negative Folgen für den kritisch Sprechenden
resultieren und ohne dass sich die kritisch Sprechenden dabei
unwohl fühlen. Allein das Gefühl des Unwohlseins ist dagegen
leiser Indikator einer rechtsstaatlich problematischen
Entwicklung.
„Politisch Andersdenkende […] dürfen mit ihren Auffassungen auch
in Zukunft nicht an den Rand gedrängt werden, auch dann nicht,
wenn ihre Ansichten der Mehrheit noch so abwegig erscheinen.“ (1)
Diese Bemerkung Helmut Schmidts kann nur Bestand haben, wenn sie
um eine eminent wichtige Unterscheidung ergänzt wird. Die
Unterscheidung zwischen Tatsachen und Meinungen. Wer Tatsachen
als bloße Meinungen, als subjektive Ansichten, als
Einzelmeinungen bezeichnet, verkennt diesen außergewöhnlich
wichtigen Unterschied. Der Unterschied wird aus „Faulheit und
Feigheit“ verkannt, wie Immanuel Kant in seiner
Aufklärungsschrift schreibt, oder aus taktischem Kalkül mit dem
Ziel der Diskreditierung, um eigene Interessen durchzusetzen.
Von diesen Menschen werden „unbequeme geschichtliche Tatbestände
[…] behandelt, als seien sie keine Tatsachen, sondern Dinge, über
die man dieser oder jener Meinung sein könne“, so Hannah Arendt,
die dies als „ein politisches Problem allererster Ordnung“
begreift. Die Tatsache der fehlenden Aussagekraft des PCR-Tests,
die Tatsache der geringen Letalität von Covid-19, die Tatsache
der wenig herausstechenden Gesamtsterblichkeit im Jahr 2020 und
die Tatsache der fehlenden Wirksamkeit von Shutdowns werden in
der politisch-massenmedialen Darstellung zu „Meinungen“
degradiert. Es findet eine Vermengung von Tatsachen und Meinungen
statt.
Die Möglichkeit eines regierungskritisch geführten Gesprächs,
auch über die Unterscheidung von Tatsachen und Meinungen, im
kleinen wie im gesamt-gesellschaftlichen Kreis ist dabei ein
Anzeichen für einen toleranten Staat. Die Bedingung der
Möglichkeit für einen kritisch geführten Diskurs ist die Einsicht
in die Notwendigkeit der Selbstkritik und die daraus folgende
Wertschätzung gegenüber denjenigen, die andere Tatsachen
diskutieren, da wir diese anderen Tatsachen für die Selbstkritik
und damit für die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände
benötigen. (2) Sich gegenseitig wertschätzend zuzuhören, ist die
Grundlage einer friedlichen Kommunikation. Eine wertschätzende
Verständigung ist eine Kommunikation, die nicht auf Überzeugung
dringt, also nicht vordergründig den Konsens, sondern den
friedlichen Diskurs zum Ziel hat. Und friedliche Kommunikation
ist die Grundlage einer friedlichen Gesellschaft.
Das Motiv des Sprechers entscheidet
In allen Medien und Medienarten fallen heute wie früher harte
Worte, auch vonseiten der Politik. Dass Demonstranten staatlich
genehmigter Demonstrationen von führenden Politikerinnen als
„Covidioten“ (Saskia Esken) oder von Journalisten in der ARD zur
Hauptsendezeit vom Chefredakteur als „Wirrköpfe“ und „Spinner“
(Rainald Becker) bezeichnet werden, wird auch in den Hauptmedien
kritisch diskutiert, (3) da dies nicht recht zu einer
demokratischen Grundordnung zu passen scheint.
Formulierungen wie „Die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als
würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen“ (Markus Söder) blenden
die Realität und das Leiden der 2.500 jeden Tag in Deutschland
aus anderen Gründen sterbenden Menschen völlig aus und führen zu
einer verzerrten Interpretation und Wahrnehmung. (4)
Entschuldigungen sind rar. Fehlertoleranz und Eigenkritik werden
zu Mangelware. Die Untersuchungen der Universität Passau zum
„Tunnelblick“ von ARD und ZDF in der Corona-Berichterstattung
werden von den Sendern zurückgewiesen. Die politische und mediale
Rede vom angstschürenden „Kriegszustand“ verschärft derlei
Situationen noch. Die Radikalisierung der Sprache bedeutet
fehlende Differenzierung und führt zu Angst und
psychologisch-gesellschaftlicher Spaltung und schließlich zu
einem Verlust von Empathie gegenüber bestimmten Menschengruppen.
(5)
Bei alldem geht es nicht darum, dass es inkorrekt oder unethisch
wäre, sich harsch und bissig, ja gar als beleidigend empfunden,
auszudrücken und dann oft konstatiert wird „Ja, so kann man sich
…“ oder „… so darf man sich nicht ausdrücken“ und die Sache damit
erledigt ist. Nein, man darf sich genau so ausdrücken. Im Zentrum
der Problematik steht vielmehr der fehlende Diskurs, der zu einer
Tendenz der Intoleranz im Mantel der Toleranz führt. Toleranz
fordert heute, nicht nur zu tolerieren, sondern zu akzeptieren,
also alles gut zu finden, ließe sich überspitzt sagen. Gut
wiederum ist häufig, was der (scheinbaren) Meinung der Mehrheit
entspricht, die ihre „Meinung“ wesentlich aus den Massenmedien
speist.
Wer antimassenmediale Kritik übt, ist intolerant und definitiv
auf der „falschen Bahn“, ja etwas „spinnerig“ geworden in der
letzten Zeit, leider. Bezeichnet einer im Gespräch eine Gruppe
pauschal als „Dummköpfe“, lässt sich in einem friedlich und
wertschätzend geführten Gespräch nachfragen, was genau mit diesem
Begriff gemeint sei; vielleicht der Eindruck des Sprechenden,
dass sich bestimmte Menschen aus „Faulheit und Feigheit“, wie
Kant es beliebt, auszudrücken, nicht informieren und stattdessen
unreflektiert „folgen“. Darüber lässt sich spezifisch sprechen.
Ebenso ließe sich fragen, was genau denn mit „Covidioten“ oder
„Querdenkern“ gemeint sei, bevor damit pauschal einem selbst in
aller Regel im Einzelnen unbekannte Menschen ausgegrenzt werden
und sei es nur dadurch, dass „ich mich von denen distanziere“,
wie es allzu oft, welcher eigenen Positionierung auch immer,
vermeintlich hinterhergeworfen werden muss. Sind mit denen
vielleicht diejenigen gemeint, die die Existenz eines Virus
leugnen, die Demokratie abschaffen wollen und für Intoleranz und
Gewalt stehen? – Dann ließe sich erörtern, dass es diese Menschen
wohl kaum gibt und sie jedenfalls nicht repräsentativ für
bestimmte Demonstranten stehen. Sind diejenigen damit gemeint,
die auf Basis wissenschaftlicher Kritiken und Untersuchungen, die
aber nicht, kaum oder seltener in den Massenmedien erscheinen,
eine aktuelle Regierungspolitik infrage stellen, dann ist die
viel spannendere, weitere Frage: Warum sollen diese Menschen
mittels jener Begriffe offenbar diskreditiert werden, anstatt
sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen?
Das Motiv des Sprechers, also desjenigen, der einen bissigen oder
gar als radikal empfundenen Begriff verwendet, entscheidet
darüber, ob ein Diskurs noch friedlich und wertschätzend geführt
wird oder nicht. Nur, wenn das Motiv die Ausgrenzung ist, um
gerade nicht auf Argumente eingehen zu müssen, dann ist dies der
Abschied von Friedlichkeit und Aufklärung. Dann ist die
demokratische Diskussionskultur in Gefahr.
Ausgrenzung führt zur Verdummung von Gruppen…weiterlesen hier:
https://apolut.net/ausgrenzung-ist-aggression-von-alexander-jacobi
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