Sona MacDonald & Regula Stämpfli im Gespräch: Rechnitz oder der Würgeengel von Elfriede Jelinek im Josefstadt-Theater.
Sona MacDonald & Regula Stämpfli im Gespräch: Rechnitz oder der
Würgeengel von Elfride Jelinek
29 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Zwei Jahre wurde die grandiose Inszenierung von Elfriede Jelineks
„Rechnitz – der Würgeengel“ im Josefstadt-Theater in Wien
pandemiebedingt verschoben. 2008 meinte Jelinek zum Stück, das die
Ermordungs-Geschichte des „Lager Wald“ für Zwangsarbeitende
erzählt: „Ein Schloss in Österreich. Jagdtrophäen an den Wänden.
Boten und Botinnen kommen von überall her, zum Teil in desolater
Abendkleidung, zum Teil als Fahrradkuriere gekleidet, sie laufen
herein, in immer kürzeren Abständen, bis irgendwann einmal der Raum
gedrängt voll ist. (…) man kann das natürlich, wie immer bei mir,
auch vollkommen anders machen.“ Es wurde alles anders gemacht. Zum
Glück. Das Wiener Josefstadt-Theater rief die Frauen. Anna
Bergmann, die Regisseurin, Katharina Faltner, die Bühnenbildnerin,
und die unhaltbar famose Best-Schauspielerin Sona Mac Donald
machten aus dem Würgeengel von Jelinek Zeitgeschichte. Zwei Stunden
ununterbrochen im Kugelschloss, Mörder schießen, bald zu Ermordende
schaufeln riesige Gräben. Sprache, Lieder, Inszenierung, die
unheimliche Präsenz der Gräfin und der die Toten besingenden Sona
MacDonald bringen die Zuschauenden an den Rand einer
unvergesslichen und bodenlosen Erschütterung. Ein ewiges Mitgefühl,
das sich bei mir in haltloses Schreien hätte, seine Bahn brechen
wollen, doch aus Gründen der gesellschaftlichen Normalität in ein,
hinter der Maske stilles, aber noch über Stunden anhaltendes
Schluchzen, münden musste. Die Geschichte ist wahrlich furchtbar.
1945 werden in Rechnitz Menschen zwecks Unterhaltung der
Naziparty-Gäste wie gejagt und erschossen. Es gibt jemanden, der
erzählt. Die Botin, die brutal gute Elfriede Schüsseleder,
verweigert sich aber jeglicher moralischer Haltung, sie ist
„unzuständig in Moralfragen“ und recht eigentlich zum Kotzen. Sie
ist die neue Sorte Mensch, die alles kommentiert, selber aber durch
nichts lädiert wird. Sie erledigt im Handstreich über 200 Jahre
Aufklärung. Allein Sona MacDonalds zauberhafte Stimme tröstet mit
dem Geisterrezitativ aus Der Freischütz. Die Täter sind die ewigen
Mitmacher, deren böse Geister überall präsent bleiben – Untote, wie
sie durch alle Jelinek-Texte spuken. Täter, die mir erst kürzlich
in einer Vorstandssitzung wieder begegnet sind: Diese kläglichen
Männlein und dieses Weiblein, das nicht selber denkt, sondern der
Macht wie die Kultur der Suppe folgt. Doch die Toten geben eben
keine Ruh, die Jelinek, die hört mit ihren Suaden nicht auf und
dies ist auch richtig so. Die MörderInnen von Rechnitz wurden nie
bestraft. Das Wissen darum macht sprachlos; deshalb braucht es
diese tosend stille Sprech- und Singpräsenz von Sona MacDonald. In
der Nähe des Rechnitzer „Kreuzstadls“ wurden in den Märztagen 1945,
kurz vor dem Einmarsch der Russen, über 200 jüdische
Zwangsarbeiter, menschliche Sklavinnen und Sklaven gezwungen, eine
fürchterlich tiefe Gruppe auszuheben. Die lokalen NS-Bonzen
feierten bei der Gräfin Margrit Batthyány, und sie erschossen über
180 der jüdischen Menschen in einer Art Treibjagd, das Loch wurde
zugescharrt, die Gräfin entkam in die Schweiz, wo sie fürstlich
weiterlebte. Eine Thyssen, die Unternehmensfamilie, die sich von
allen Nazigräueltaten weißgewaschen hat – der Bruder stiftete in
Madrid eine unglaubliche Kunstsammlung, man ist schließlich
kultiviert, Sascha Batthyány „Und was hat das alles mit mir zu
tun?“ der Großneffe, der die Geschichte recherchiert. Er macht
dies, weil Maxim Biller nachfragt. Doch trotz aller Recherchen: Die
Ermordeten bleiben unauffindbar. Im Theater Josefstadt gräbt Sona
MacDonald die Steine aus und singt zum Schluss ein Kaddisch, das
das Herz zerreißt.
„Rechnitz – der Würgeengel“ im Josefstadt-Theater in Wien
pandemiebedingt verschoben. 2008 meinte Jelinek zum Stück, das die
Ermordungs-Geschichte des „Lager Wald“ für Zwangsarbeitende
erzählt: „Ein Schloss in Österreich. Jagdtrophäen an den Wänden.
Boten und Botinnen kommen von überall her, zum Teil in desolater
Abendkleidung, zum Teil als Fahrradkuriere gekleidet, sie laufen
herein, in immer kürzeren Abständen, bis irgendwann einmal der Raum
gedrängt voll ist. (…) man kann das natürlich, wie immer bei mir,
auch vollkommen anders machen.“ Es wurde alles anders gemacht. Zum
Glück. Das Wiener Josefstadt-Theater rief die Frauen. Anna
Bergmann, die Regisseurin, Katharina Faltner, die Bühnenbildnerin,
und die unhaltbar famose Best-Schauspielerin Sona Mac Donald
machten aus dem Würgeengel von Jelinek Zeitgeschichte. Zwei Stunden
ununterbrochen im Kugelschloss, Mörder schießen, bald zu Ermordende
schaufeln riesige Gräben. Sprache, Lieder, Inszenierung, die
unheimliche Präsenz der Gräfin und der die Toten besingenden Sona
MacDonald bringen die Zuschauenden an den Rand einer
unvergesslichen und bodenlosen Erschütterung. Ein ewiges Mitgefühl,
das sich bei mir in haltloses Schreien hätte, seine Bahn brechen
wollen, doch aus Gründen der gesellschaftlichen Normalität in ein,
hinter der Maske stilles, aber noch über Stunden anhaltendes
Schluchzen, münden musste. Die Geschichte ist wahrlich furchtbar.
1945 werden in Rechnitz Menschen zwecks Unterhaltung der
Naziparty-Gäste wie gejagt und erschossen. Es gibt jemanden, der
erzählt. Die Botin, die brutal gute Elfriede Schüsseleder,
verweigert sich aber jeglicher moralischer Haltung, sie ist
„unzuständig in Moralfragen“ und recht eigentlich zum Kotzen. Sie
ist die neue Sorte Mensch, die alles kommentiert, selber aber durch
nichts lädiert wird. Sie erledigt im Handstreich über 200 Jahre
Aufklärung. Allein Sona MacDonalds zauberhafte Stimme tröstet mit
dem Geisterrezitativ aus Der Freischütz. Die Täter sind die ewigen
Mitmacher, deren böse Geister überall präsent bleiben – Untote, wie
sie durch alle Jelinek-Texte spuken. Täter, die mir erst kürzlich
in einer Vorstandssitzung wieder begegnet sind: Diese kläglichen
Männlein und dieses Weiblein, das nicht selber denkt, sondern der
Macht wie die Kultur der Suppe folgt. Doch die Toten geben eben
keine Ruh, die Jelinek, die hört mit ihren Suaden nicht auf und
dies ist auch richtig so. Die MörderInnen von Rechnitz wurden nie
bestraft. Das Wissen darum macht sprachlos; deshalb braucht es
diese tosend stille Sprech- und Singpräsenz von Sona MacDonald. In
der Nähe des Rechnitzer „Kreuzstadls“ wurden in den Märztagen 1945,
kurz vor dem Einmarsch der Russen, über 200 jüdische
Zwangsarbeiter, menschliche Sklavinnen und Sklaven gezwungen, eine
fürchterlich tiefe Gruppe auszuheben. Die lokalen NS-Bonzen
feierten bei der Gräfin Margrit Batthyány, und sie erschossen über
180 der jüdischen Menschen in einer Art Treibjagd, das Loch wurde
zugescharrt, die Gräfin entkam in die Schweiz, wo sie fürstlich
weiterlebte. Eine Thyssen, die Unternehmensfamilie, die sich von
allen Nazigräueltaten weißgewaschen hat – der Bruder stiftete in
Madrid eine unglaubliche Kunstsammlung, man ist schließlich
kultiviert, Sascha Batthyány „Und was hat das alles mit mir zu
tun?“ der Großneffe, der die Geschichte recherchiert. Er macht
dies, weil Maxim Biller nachfragt. Doch trotz aller Recherchen: Die
Ermordeten bleiben unauffindbar. Im Theater Josefstadt gräbt Sona
MacDonald die Steine aus und singt zum Schluss ein Kaddisch, das
das Herz zerreißt.
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