tl;dr #27: Beverly J. Silver: «Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870» mit Nicole Mayer-Ahuja

tl;dr #27: Beverly J. Silver: «Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870» mit Nicole Mayer-Ahuja

Alex Demirović im Gespräch mit Nicole Mayer-Ahuja
1 Stunde 3 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr
Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung wurde in den 1990er Jahren
von prominenten deutschen Sozialwissenschaftlern wie Ulrich Beck
oder Wolfgang Streeck totgesagt. Die politische Diskussion stand
unter dem Eindruck der Anpassung an die Sachzwänge des Weltmarkts
und den Angriffen der Neuen Mitte auf den Wohlfahrtsstaat. Dem
stellte sich eine breite Allianz von Gewerkschafter*innen, Frauen,
Umwelt- und Studierendengruppen 1999 mit Protesten in Seattle gegen
die Konferenz der Welthandelsorganisation und das Projekt der
Globalisierung entgegen. Es war ein Aufbruchssignal, auf das sich
auch Silver bezieht. Dass die Kämpfe der Arbeiter*innenbewegung
nicht zu Ende sind, ist das zentrale Argument von Silvers Buch, das
Weltsystemanalyse und Postoperaismus produktiv für die Forschung
der Entwicklung der Weltarbeiter*innenklasse miteinander verbindet.
Globalisierungsprozesse bestimmen wellenförmig die kapitalistische
Produktionsweise seit dem 19. Jahrhundert. Um seine Profitabilität
zu erhalten, weicht das in einer Industrie angelegte Kapital von
Region zu Region aus: in der Automobilindustrie seit den 1920er
Jahren von den USA nach Westeuropa, von dort nach Brasilien, Mexiko
und Japan. In der Aufstiegsphase einer Welle macht das Kapital
weitreichende Zugeständnisse. Diese senken die Gewinne, das Kapital
sucht nach neuen Standorten. Mit der Verlagerung der Produktion
wird auch der Konflikt verlagert. In der Folge sinken die Profite
erneut. Das Kapital bemüht sich um neue Lösungen seiner
Profitkrise. Eine Strategie ist das, was Silver als
technologisch-organisatorischen Fix bezeichnet, die Entwicklung
neuer betrieblicher Herrschaftsformen. Damit einher gehen neue
Formen des Kampfes. Eine andere Strategie ist die Verlagerung auf
andere Produkte und Industriezweige. Historisch untersucht Silver
das anhand der Verlagerung von der Textil- zur Automobilindustrie.
Sie zeigt, wie die Prozesse der Profiterzielung und die Kämpfe
dagegen sich wiederholen und ähnliche Muster bilden. Seit Ende des
20. Jahrhunderts steht der Kapitalismus vor einer neuen Welle. Es
bildet sich ein neuer Produktfix: Halbleiter, Dienstleistungen,
Logistik, Bildung – und neue Kämpfe entstehen. Silver kann nicht
sagen, welche neue Leitindustrie sich bildet. Aber sicher ist: es
gibt kein Ende der Arbeiter*innenbewegung, sondern eine Änderung
der Klasse und Kampfformen. Zu Gast bei Alex Demirović ist Nicole
Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie an der
Georg-August-Universität Göttingen.

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