Schlecht getauft. Religionskritik nach Freud - Vortrag von Tom Uhlig - Juni 2019

Schlecht getauft. Religionskritik nach Freud - Vortrag von Tom Uhlig - Juni 2019

49 Minuten

Beschreibung

vor 5 Jahren

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe: "Religion & Kapital. Zur
Kritik des Glaubens in der Moderne" des Referats für
Ringvorlesungen im AStA der TU Darmstadt war unser
Bildungsreferent Tom Uhlig zu einem Vortrag über
Religionskritik nach Freud eingeladen:


"Schlecht getauft. Zu Religionskritik nach Freud und christlichem
Antijudaismus


Die explizite Auseinandersetzung mit Antisemitismus findet sich
in Freuds Werk eher verstreut, teilweise in Fußnoten. Selbst die
Massenpsychologie und Ich-Analyse, in der Freud sich den zwei
großen antisemitischen Institutionen Österreichs seiner Zeit
widmet – der Kirche und dem Heer –, wird diese ihre grundlegende
Eigenschaft nicht dezidiert behandelt. In einer frühen Notiz zu
Otto Weininger (1909) nahm Freud noch an, der Kastrationskomplex
sei „die tiefste unbewusste Wurzel des Antisemitismus, denn schon
in der Kinderstube hört der Knabe, daß dem Juden etwas am Penis –
er meint ein Stück des Penis – abgeschnitten werde, und dies gibt
ihm das Recht, den Juden zu verachten.“ Allerdings verfolgte er
diese Linie von Emaskulation, Frauenhass und Antisemitismus nicht
weiter, sondern suchte in seinem Spätwerk Der Mann Moses und die
monotheistischen Religionen (1939) nach theologisch-mythischen
Motiven, welche dem antisemitischen Ressentiment zugrunde liegen
und befindet, es sei die erhöhte Vergeistigung der jüdischen
Religion gegenüber dem Christentum, welche den Juden den Hass
zugezogen hätte. Vom paganistischen Götzendienst ausgehend sei
Gott im Monotheismus zu einem abstrakten Prinzip gemacht worden,
ein Vorgang, der sich mit dem von Freud früher beschriebenen
Mythos des Vatermordes durch die Bruderhorde parallelisieren
lässt: Durch die Ermordung der konkreten, das heißt stofflichen
Verkörperung des Gesetzes wird dieses abstrakt internalisiert und
dadurch ungleich viel wirkmächtiger. Im Judentum werde nach Freud
diese Struktur aufrechterhalten, indem der Gottesmord konsequent
verdrängt und damit wirksam bleibe, während das Christentum das
abstrakte Gesetz abzuschütteln trachtet. Das Christentum wird
Gott abermals verdinglicht, um sogleich dann wieder umgebracht zu
werden, womit sich die Christen paradoxerweise frei der Sünde
wähnen würden: „Wir haben freilich dasselbe getan, aber wir haben
es zugestanden und wir sind seither entsühnt.“ Dass dieser Wunsch
nach Selbstentlastung zu einer Wiederkehr des Schuldgefühls
führt, zeigt dessen Abwehr in der antisemitischen Unterstellung,
welche den Juden den Christusmord zulasten legt. Die Rückkehr des
abstrakten Gesetzes, die Strafe, welche doch eigentlich gesühnt
sein sollte, erscheint als vom Anderen aufgezwungen: Dabei ist
„[i]hr Judenhaß ist im Grunde Christenhaß“ beziehungsweise der
Hass gegen die eigene Christianisierung und die nicht abgegoltene
Schuld – die Christen sind „schlecht getauft“. In dem Vortrag
sollen Grundzüge Freuds Religionskritik skizziert und der Frage
nachgegangen werden, welche Bedeutung die Judenfeindschaft
 darin hat." 


Aufzeichnung vom 26.06.2019 im 806qm - Darmstadt

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