Die antennalen Sensillen von Dipterenlarven und Larven verwandter Insektenordnungen

Die antennalen Sensillen von Dipterenlarven und Larven verwandter Insektenordnungen

Beschreibung

vor 24 Jahren
Sensillen sind „Kleinsinnesorgane“ der Arthropoda, die die
Wahrnehmung einer Vielzahl unterschiedlicher Reize ermöglichen.
Trotz großen Interesses an diesen Sinnesorganen ist die Frage nach
den Homologieverhältnissen und der Evolution von Sensillen
weitgehend ungeklärt. In der vorliegenden Arbeit werden daher die
antennalen Sensillen von Larven aller größeren monophyletischen
Gruppen der Diptera, sowie einiger mit den Diptera verwandter
Holometabola raster- und transmissionselektronenmikroskopisch
untersucht und vergleichend beschrieben. Die larvalen Antennen der
Holometabola sind vor allem wegen der verhältnismäßig kleinen
Anzahl von Sensillen besonders geeignete Modellobjekte, da dies die
ultrastrukturelle Analyse des jeweils gesamten Sensilleninventars
der Antennen ermöglicht. Obwohl die REM-Untersuchung der larvalen
Antennen eine enorme äußere Vielfalt an Sensillenformen offenbart,
zeigt die Analyse der inneren Ultrastruktur, daß die antennalen
Sensillen von insgesamt 32 Dipterenarten und vier holometabolen
Außengruppenvertretern nach strukturellen Kriterien nur zehn
unterschiedlichen Sensillentypen zugeordnet werden können. Darüber
hinaus lassen „modalitätsspezifische Strukturen“ Rückschlüsse auf
die Funktionen der Sensillen zu. So deuten die Befunde darauf hin,
daß es sich bei den Sensillentypen um olfaktorische,
kontaktchemosensitive, gustatorische, thermo-, hygro- bzw.
thermo-/hygrosensitive Sensillen, sowie um mechanosensitive Extero-
und Propriorezeptoren handelt. Die Ergebnisse zeigen also, daß die
larvalen Antennen, obwohl sie bei den Diptera durchschnittlich nur
mit etwa zehn Sensillen ausgestattet sind, über ein ähnlich breites
Spektrum der Reizwahrnehmung verfügen wie die imaginalen Antennen,
die einige hundert oder gar tausend Sensillen besitzen.
Rasterelektronenmikroskopisch konnten vor allem äußerliche
Anpassungen der Antennen und Sensillen z.B. an Habitat und
Lebensweise der Larve nachgewiesen werden; so sind lange Antennen,
und mit ihnen meist auch überwiegend langgestreckte Sensillen, in
aquatischen Lebensräumen eindeutig begünstigt, während terrestrisch
lebende Larven, besonders in festen Substraten, wie z.B. Holz, eher
kurze oder sogar plattenförmig reduzierte Antennen besitzen. Die
vergleichende TEM-Untersuchung zeigt jedoch auch, daß Sensillen des
gleichen Typs bei den jeweiligen Tieren sowohl in ihrer Position
auf den Antennen, als auch in ihren strukturellen Merkmalen
übereinstimmen. Nach dem Lagekriterium und dem Kriterium der
spezifischen Qualität konnte so die Homologie einzelner antennaler
Sensillen der Dipterenlarven für die gesamte Ordnung und teilweise
sogar für die Holometabola wahrscheinlich gemacht werden. Über
diesen homologen Sensillensatz hinaus konnte gezeigt werden, daß
individuelle Sensillen - also kleinste Sinnesorgane - evolutiven
Veränderungen unterliegen, die es erlauben ihr Schicksal im Verlauf
der Phylogenese zu verfolgen. So belegen die Ergebnisse
beispielsweise, daß der antennale Kontaktchemorezeptor „Peg“, bei
den cyclorrhaphen Fliegen im Zusammenhang mit der Evolution des
Antennen-Maxillar-Komplexes zum Maxillarpalpus verlagert wurde. Bei
der vergleichenden Analyse aller antennalen Sensillen waren
evolutive Tendenzen feststellbar, die in vielen Punkten mit den
etablierten Stammbäumen der Diptera übereinstimmen, aber auch
interessante Anregungen für derzeit noch ungeklärte
Verwandtschaftsbeziehungen liefern. Für die meisten
monophyletischen Gruppen der Diptera fanden sich charakteristische
Merkmalskombinationen, die teilweise sogar als Synapomorphien
gedeutet werden können. Bezogen auf offene Fragen der
Dipterensystematik legen die Sensillenmerkmale beispielsweise ein
Schwestergruppenverhältnis zwischen den Anisopodidae
(Fenstermücken) und den „orthorrhaphen Fliegen“ nahe, wobei eine
enge Verwandtschaftsbeziehung vor allem mit den Tabanomorpha (ohne
die Vermileonidae) wahrscheinlich ist. Darüber hinaus führte ein
Außengruppenvergleich zwischen den Diptera und einigen anderen
Holometabola zu dem Ergebnis, daß der „Cone“ als
Komplexchemosensillum ebenso zu den Grundplanmerkmalen
holometaboler Insektenlarven gehört, wie zwei
Thermo-/Hygrorezeptoren (lS3-Sensillen). Das bedeutet, daß diese
individuellen Sensillen über fast 300 Mio. Jahre Evolution bis ins
frühe Perm zurückverfolgt werden können.

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