Vergleichend feinstrukturelle Untersuchungen an der Netzhaut der Europäischen Sardelle Engraulis encrasicolus L. (Engraulididae) und den Retinae anderer Clupeiformes

Vergleichend feinstrukturelle Untersuchungen an der Netzhaut der Europäischen Sardelle Engraulis encrasicolus L. (Engraulididae) und den Retinae anderer Clupeiformes

Beschreibung

vor 24 Jahren
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Netzhautfeinstruktur
der Europäischen Sardelle Engraulis encrasicolus und verwandter
Heringsfische. Detaillierte licht- und elektronenmikroskopische
Strukturanalysen dienen als Grundlage für eine
funktionsmorphologische Diskussion - daneben werden auch Fragen zur
Evolution und Ökophysiologie der Sardellenretinae, sowie zur
Taxonomie der Engraulididae behandelt. Die Europäische Sardelle
besitzt zapfenförmige Photorezeptoren mit einer stark vom Grundplan
abweichenden Feinstruktur. Lange und kurze Zapfen sind abwechselnd
und höchst regelmäßig in langen Zapfenreihen angeordnet. Diese sog.
„Polycones“ verlaufen innerhalb des Augenbechers in konzentrischen
Ringen um den ältesten und damit am weitesten zentral gelegenen
Teil der optischen Furche, wechseln sich mit mehr oder weniger
breiten Bahnen normal gestalteter Stäbchen ab und sind in
charakteristischer Weise mit keilförmigen Ausläufern des
Pigmentepithels (PE) verzahnt. Die langen Zapfen reichen weit
zwischen die PE-Keile, die Außenglieder der benachbarten kurzen
Zapfen werden dagegen von den Spitzen der Keile partiell in zwei
Lappen gespalten. Das distale Membran-faltensystem der
Sardellenzapfen ist radial ausgerichtet, d.h. gegenüber dem
„Normalfall“ um 90° gekippt. Damit werden die Zellen
strukturbedingt selektiv empfindlich für die Schwingungsrichtung
des axial einfallenden Lichtes. Die Membranfalten der beiden
Zapfentypen stehen zudem senkrecht zueinander - eine funktionelle
Kopplung ergäbe einen 2-Kanal-Analysator für linear polarisiertes
Licht. Die PE-Zellen bilden ein eigentümliches Tapetum lucidum:
Höchst regelmäßig ausgerichtete Guaninreflektoren formen einen
Interferenz-Keilspiegel in unmittelbarer Nähe der
Zapfenaußenglieder. Die Kartierung der Photorezeptoren innerhalb
einer Retina zeigt ein Gebiet erhöhter Zapfendichte im
ventro-temporalen Quadranten - eine sog. „Area temporalis“ - das
eine maximale Sehschärfe im vorderen oberen Sehfeld garantiert. In
diesem Bereich befinden sich auch besonders präzise gestaltete
Polycone-Zapfen, die die modalitätsspezifische Struktur für die
Perzeption scharfer Polarisationskontrastbilder darstellen können.
Die Proportionen der Zapfenabschnitte variieren zwischen Area und
Fundus, ebenso die Guaninausstattung der PE-Zellen - zudem tritt
ein bisher unbekanntes Muster von Dreifachzapfen am dorsalen und
ventralen Retinarand auf. Die Übergangsregion zu den Polycones und
auch der Retinarand geben Hinweise auf die Morphogenese der
Vielfachzapfenreihen und der senkrecht stehenden Membranfalten, vor
allem bezüglich der langen Zapfen. Das regelmäßige Muster der
skleralen Abschnitte der Photorezeptoren von E. encrasicolus setzt
sich auch vitreal der äußeren Grenzmembran fort. Die synaptischen
Zapfenfüße bilden in der äußeren plexiformen Schicht eine Art
„Schachbrettmuster“, wobei die Terminalen eines Zapfentyps
benachbarter Reihen über sog. „Telodendriten“ miteinander verbunden
sind. Sie unterscheiden sich bei den langen und kurzen Zapfen in
charakteristischen Strukturmerkmalen: die Füßchen der kurzen Zapfen
enden weiter vitreal als die der langen. Letztere haben zwei
Gruppen von „synaptic ribbons“, während bei den kurzen Zapfen keine
eindeutige Gliederung in Synapsenfelder festzustellen ist. Aufgrund
der radialen Lage und der Zellmuster können drei Typen von
Horizontalzellen unterschieden werden. Für eine H1-Zelle wurde der
Versuch unternommen, ihre Verschaltung mit den Zapfen darzustellen:
diese Zelle ist spezifisch mit Pedicles der langen Zapfen verbunden
und gibt damit einen Hinweis auf eine Trennung von
e-Vektor-spezifischen Informationskanälen. Ferner ist bei der
Sardelle ein Bipolarzell-Typ mit einem Dendritenfeld ungewöhnlicher
Geometrie zu finden. Es folgt offensichtlich dem Reihenmuster der
Photorezeptoren. Neben der Europäischen Sardelle wurde auch von
anderen Vertretern der Heringsartigen die Struktur und das Muster
der Photorezeptoren und der Pigmentepithelzellen bestimmt. Die
Ergebnisse liefern Daten, die Aussagen über die Verbreitung und
Evolutio n der aberranten Polycone-Strukturen innerhalb der
Engraulididae gestatten - darüberhinaus geben sie Anlaß, eine neue
Feingliederung der Engraulididae vorzuschlagen. Neben wenigen
„Ausreißern“ lassen sich zwei Fischgruppen unterscheiden: eine mit
Polycones in Verzahnung mit dem PE und eine mit guaninhaltigen
PE-Vorhängen zwischen den Zapfenreihen und ohne Guaninplättchen.
Die erste Gruppe wird als Kerngruppe der Engraulidinae verstanden,
die zweite dürfte näher mit den Coiliinae verwandt sein.

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