Genetische Determinanten von kompartimenteller Inkompatibilität in Genom/Plastom-Artbastarden

Genetische Determinanten von kompartimenteller Inkompatibilität in Genom/Plastom-Artbastarden

Beschreibung

vor 22 Jahren
Die Pflanzenzelle enthält ein integriertes, kompartimentiertes
genetisches System, mit den Subgenomen im Zellkern, in den
Mitochondrien und den Plastiden, das aus Endocytobioseereignissen
mit prokaryotischen Zellen hervorgegangen ist. Im Laufe der
Evolution der eukaryotischen Zelle wurden die genetischen
Potentiale der symbiontischen Partnerzellen vermischt. Dabei ging
ein Teil genetischer Information verloren, ein anderer wurde aus
den Organellen in den Kern transferiert, und außerdem wurde neue
Information hinzugewonnen. Dies ging einher mit der Einbettung von
Mitochondrien und Plastiden in die Signaltransduktionsketten und
Regelkreise der Wirtszelle. Heute interagieren die Subgenome auf
vielen Ebenen; ihre Expression wird in der Pflanzenzelle
koordiniert in Raum, Zeit und Quantität reguliert. Die
Interdependenz der Subgenome hatte ihre Koevolution zur Folge, so
daß die genetischen Kompartimente der Zelle nicht mehr ohne
weiteres zwischen Arten ausgetauscht werden können. Kombinationen
von artfremden Organellen können zu Entwicklungsstörungen führen,
wie sie sowohl von "kompartimentellen" (Genom/Plastom-) Hybriden
als auch von Cybriden beschrieben worden sind (Bastardbleichheit,
Bastardscheckung). In dieser Arbeit wurden reziproke Cybriden der
Arten Atropa belladonna und Nicotiana tabacum auf molekulare
Determinanten von Genom/Plastom-Inkompatibilität untersucht. Die
Cybriden sind je nach Kombination elterlicher Organellen entweder
albinotisch [Kern von Atropa, Plastide vom Tabak; Ab(Nt)-Cybride]
oder gleichen dem Wildtyp [Kern von Tabak; Plastide von Atropa,
Nt(Ab)-Cybride]. 1. Als Voraussetzung für einen Sequenzvergleich
der plastidären Chromosomen beider Solanaceen-Arten wurde das
Plastidenchromosom von Atropa komplett sequenziert. Der Vergleich
der (Atropa)-Sequenz mit der bekannten des Chromosoms aus dem Tabak
und anschließende molekularbiologische Untersuchungen führten zur
Identifizierung von zwei potenziellen Ursachen für die Defekte im
albinotischen Material. 2. Die Ab(Nt)-Cybride zeigt eine gestörte
Akkumulation von Transkripten für eine Reihe von Operonen. Das
resultierende aberrante Transkriptmuster ähnelte verblüffend dem
von Tabakpflanzen mit Defizienz der plastidenkodierten
RNA-Polymerase (PEP). Möglicherweise ist in der Cybride die
Interaktion des PEP-Apoenzyms mit einem oder mehreren der
kernkodierten Sigmafaktoren gestört. Tatsächlich unterscheiden sich
die für eine Untereinheit der PEP kodierenden (plastidären)
rpoC2-Gene von Tabak und Atropa durch eine Insertion/Deletion an
einer Stelle im Molekül, die mit Sigmafaktoren interagieren kann.
Transformation der Plastiden der Ab(Nt)-Cybride mit dem rpoC2-Gen
aus Tabak führte in der Tat zu einer partiellen Reversion zum WT
und macht Transkriptionsdefekte als eines von offenbar mehreren
Determinanten für die Genom/Plastom-Inkompatibilität in
Artbastarden wahrscheinlich. 3. Neben der Transkription ist im
albinotischen Material auch die RNA-Edierung gestört. Die
plastidären Editotypen beider Solanaceen ähneln einander, doch gibt
es für beide Arten spezifische Edierungsstellen. Von den fünf
tabakspezifischen Stellen in der Ab(Nt)-Cybride werden vier nicht
ediert. Offensichtlich besitzt der Atropa-Kern nicht die
notwendigen Kernfaktoren zur Prozessierung dieser Stellen. Da
Edierung generell hochkonservierte und funktionell wichtige
Aminosäurepositionen betrifft, trägt der Ausfall der Edierung sehr
wahrscheinlich ebenfalls zum beobachteten Defekt in der
Plastidenentwicklung bei. 4. Auf der anderen Seite werden die
Stellen der grünen Nt(Ab)-Cybride, bemerkenswerterweise auch
Atropa-spezifische, heterolog vom Tabakkern ediert. Der erstmalige
Befund von heterologem Edieren stellte sich als Folge der
Allotetraploidie von Tabak heraus. Untersuchungen dieser Stellen in
den diploiden Eltern des allotetraploiden Tabaks, N.
tomentosiformis als Nachkomme des Vaters und N. sylvestris als
Nachkomme der Mutter, zeigten, daß der Tabak die Fähigkeit zur
heterologen Edierung von Atropa-spezifischen Stellen wohl vom Vater
ererbt hat. Dies wurde auch durch einen transplastomischen Ansatz
bestätigt. In diesen Experimenten wurde die intronnahe
ndhA-Edierungsstelle aus Spinat, die es auch in N. tomentosiformis
gibt, nicht aber in N. sylvestris, in Tabak über ballistische
Transformation eingebracht. 5. Über Konstruktionen, die entweder
der gespleißen oder ungespleißten ndhA-mRNA inklusive der
Edierungsstelle entsprachen, konnte gezeigt werden, daß die
Edierung an dieser Stelle immer erst nach dem Spleißen erfolgt.
Dies ist der erste Nachweis einer strikten kinetischen Verknüpfung
von RNA-Edierung mit einem anderen mRNA-Reifungsschritt in
Plastiden. Er zeigt an, daß das ndhA-Intron phylogenetisch älter
als die ndhA-Edierungsstelle ist. Mechanistische Implikationen
dieses Befundes werden diskutiert.

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