Episode 10: Politische Ökologie
53 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Leander Scholz spricht mit Falko Schmieder (beide ZfL) über sein
Buch »Die Regierung der Natur. Ökologie und politische Ordnung«
(August Verlag 2022). ———————— Mit dem Aufkommen der politischen
Ökologie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist eine Wende von
einer anthropologischen zu einer ökologisch-terrestrischen
Anschauung der Welt zu beobachten. An diesem Bewusstseinswandel
interessiert Leander Scholz vor allem die Dialektik von
Politisierung der Natur und Ökologisierung der Gesellschaft.
Während durch die ökologische(n) Krise(n) immer mehr natürliche
Faktoren zum Gegenstand von Politik werden, geht die Natur
verstärkt in die Regierungspraxis ein und verändert damit den
politischen Raum. Dem Anthropos im epochenprägenden Bild der durch
menschliche Arbeitskraft entstandenen ›Zweiten Natur‹ steht in der
ökologisch-terrestrischen Epoche seine Dezentrierung gegenüber.
Diese tritt besonders radikal in Bewegungen wie Earth First!
zutage, bedeutet aber keineswegs ein Verschwinden des Menschen: Die
posthumane Welt ist nicht antihuman, sondern der Mensch teilt sie
sich mit anderen Lebewesen. Seine Aufgabe ist es nunmehr, die Reste
der durch sein Verschulden sterbenden Natur zu verwalten. Positiv
interpretiert kann diese Überwindung der Sonderstellung des
Menschen zu einem neuen Selbstverständnis und mit Latour gesprochen
zur Anerkennung der Natur als gleichberechtigter politischer
Akteurin führen. Wenn aber beispielsweise Naturentitäten mit
einklagbaren Rechten ausgestattet werden, ergeben sich
Stellvertretungsprobleme. Eine solche Ausweitung des
Demokratiebegriffs stellt nicht nur eine Herausforderung von
Positionen der politischen Philosophie (Arendt, Plessner) dar und
riskiert, in menschlichen Bestimmungen verhaftet zu bleiben. Sie
wirft vor allem die Frage ihrer praktischen Umsetzbarkeit auf. Eine
Grundfrage unserer Gegenwart ist daher, ob die politische Ökologie
letztlich nur der weiterhin dominierenden politischen Ökonomie
einverleibt wird oder ob ein echter Paradigmenwechsel stattfindet.
Fraglich ist auch, ob die Entwicklung des ökologischen Denkens
nicht zu einer Naturalisierung des Sozialen führt, die historisch
in ihren Extremfällen in Rassenkunde und Eugenik mündete. Leander
Scholz’ Rekapitulation der Geschichte der politischen Ökologie
nimmt vor allem rechtskonservative Denker und Konzepte in den
Blick, so zum Beispiel Friedrich Ratzels ›Lebensraum‹ oder Ernst
Rudorff, an dessen Person die Entstehung des Konzepts Naturschutz
im diskursiven Umfeld von Denkmal-, Brauchtums- und Heimatschutz
illustriert werden kann. Die heute geläufige Wahrnehmung der
Ökologiebewegung als links hat ihren Ursprung erst in der Fusion
der ökologischen mit den neuen sozialen Bewegungen der
Nachkriegszeit. Während ein Bewusstsein für die politische
Geschichte des Konzepts für seine heutige Nutzbarmachung
unabdingbar ist, geht es Scholz weniger um die Frage, ob die
politische Ökologie eher ›linke‹ oder ›rechte‹ Kritik übt, sondern
welches neue Paradigma mit ihr auftaucht, das die
anthropozentrischen politischen Lagereinteilungen zuweilen
durchbricht. In jedem Fall ist er sich sicher, dass die Entwicklung
der politischen Ökologie zu einer deutlichen Veränderung im
menschlichen Selbstverhältnis und Denken führt – fragt sich nur, ob
diese rechtzeitig kommt. ———————— Der Philosoph und Schriftsteller
Leander Scholz ist ZfL-Forschungsstipendiat im Programmbereich
»Lebenswissen«. Er studierte Philosophie, Kunstgeschichte und
Germanistik in Bonn, Bochum, Paris und Köln, hat mehrere Romane
veröffentlicht und ist Mitbegründer des Tropen Verlags sowie freier
Mitarbeiter des Deutschlandfunks. 2012 wurde er mit einer Arbeit zu
Todesobsessionen in der politischen Philosophie an der Fakultät
Medien der Bauhaus-Universität Weimar habilitiert. Der
Kulturwissenschaftler Falko Schmieder ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Das 20. Jahrhundert in
Grundbegriffen«. www.zfl-berlin.org
Buch »Die Regierung der Natur. Ökologie und politische Ordnung«
(August Verlag 2022). ———————— Mit dem Aufkommen der politischen
Ökologie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist eine Wende von
einer anthropologischen zu einer ökologisch-terrestrischen
Anschauung der Welt zu beobachten. An diesem Bewusstseinswandel
interessiert Leander Scholz vor allem die Dialektik von
Politisierung der Natur und Ökologisierung der Gesellschaft.
Während durch die ökologische(n) Krise(n) immer mehr natürliche
Faktoren zum Gegenstand von Politik werden, geht die Natur
verstärkt in die Regierungspraxis ein und verändert damit den
politischen Raum. Dem Anthropos im epochenprägenden Bild der durch
menschliche Arbeitskraft entstandenen ›Zweiten Natur‹ steht in der
ökologisch-terrestrischen Epoche seine Dezentrierung gegenüber.
Diese tritt besonders radikal in Bewegungen wie Earth First!
zutage, bedeutet aber keineswegs ein Verschwinden des Menschen: Die
posthumane Welt ist nicht antihuman, sondern der Mensch teilt sie
sich mit anderen Lebewesen. Seine Aufgabe ist es nunmehr, die Reste
der durch sein Verschulden sterbenden Natur zu verwalten. Positiv
interpretiert kann diese Überwindung der Sonderstellung des
Menschen zu einem neuen Selbstverständnis und mit Latour gesprochen
zur Anerkennung der Natur als gleichberechtigter politischer
Akteurin führen. Wenn aber beispielsweise Naturentitäten mit
einklagbaren Rechten ausgestattet werden, ergeben sich
Stellvertretungsprobleme. Eine solche Ausweitung des
Demokratiebegriffs stellt nicht nur eine Herausforderung von
Positionen der politischen Philosophie (Arendt, Plessner) dar und
riskiert, in menschlichen Bestimmungen verhaftet zu bleiben. Sie
wirft vor allem die Frage ihrer praktischen Umsetzbarkeit auf. Eine
Grundfrage unserer Gegenwart ist daher, ob die politische Ökologie
letztlich nur der weiterhin dominierenden politischen Ökonomie
einverleibt wird oder ob ein echter Paradigmenwechsel stattfindet.
Fraglich ist auch, ob die Entwicklung des ökologischen Denkens
nicht zu einer Naturalisierung des Sozialen führt, die historisch
in ihren Extremfällen in Rassenkunde und Eugenik mündete. Leander
Scholz’ Rekapitulation der Geschichte der politischen Ökologie
nimmt vor allem rechtskonservative Denker und Konzepte in den
Blick, so zum Beispiel Friedrich Ratzels ›Lebensraum‹ oder Ernst
Rudorff, an dessen Person die Entstehung des Konzepts Naturschutz
im diskursiven Umfeld von Denkmal-, Brauchtums- und Heimatschutz
illustriert werden kann. Die heute geläufige Wahrnehmung der
Ökologiebewegung als links hat ihren Ursprung erst in der Fusion
der ökologischen mit den neuen sozialen Bewegungen der
Nachkriegszeit. Während ein Bewusstsein für die politische
Geschichte des Konzepts für seine heutige Nutzbarmachung
unabdingbar ist, geht es Scholz weniger um die Frage, ob die
politische Ökologie eher ›linke‹ oder ›rechte‹ Kritik übt, sondern
welches neue Paradigma mit ihr auftaucht, das die
anthropozentrischen politischen Lagereinteilungen zuweilen
durchbricht. In jedem Fall ist er sich sicher, dass die Entwicklung
der politischen Ökologie zu einer deutlichen Veränderung im
menschlichen Selbstverhältnis und Denken führt – fragt sich nur, ob
diese rechtzeitig kommt. ———————— Der Philosoph und Schriftsteller
Leander Scholz ist ZfL-Forschungsstipendiat im Programmbereich
»Lebenswissen«. Er studierte Philosophie, Kunstgeschichte und
Germanistik in Bonn, Bochum, Paris und Köln, hat mehrere Romane
veröffentlicht und ist Mitbegründer des Tropen Verlags sowie freier
Mitarbeiter des Deutschlandfunks. 2012 wurde er mit einer Arbeit zu
Todesobsessionen in der politischen Philosophie an der Fakultät
Medien der Bauhaus-Universität Weimar habilitiert. Der
Kulturwissenschaftler Falko Schmieder ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Das 20. Jahrhundert in
Grundbegriffen«. www.zfl-berlin.org
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