Episode 4: Selbstübersetzung

Episode 4: Selbstübersetzung

52 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren
Karine Winkelvoss (Universität Rouen) und Stefan Willer (HU)
sprechen über »W. G. Sebald, l’économie du pathos« (Paris:
Classiques Garnier 2021) und »Selbstübersetzung als
Wissenstransfer« (Berlin: Kulturverlag Kadmos 2020). Karine
Winkelvoss und Stefan Willer sprechen – auch anhand eigener
Erfahrungen – über die Selbstübersetzung als Thema und Modus
literatur- und kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Während der von
Stefan Willer und Andreas Keller herausgegebene Band
»Selbstübersetzung als Wissenstransfer« das Thema in historischer
Perspektive beleuchtet, erlebt Karine Winkelvoss die
Herausforderungen der Selbstübersetzung bei ihren Forschungen zur
»Poetik der Pathosformel« bei W. G. Sebald am eigenen Leib.
———————— Was bedeutet es, germanistische Themen in einer
Fremdsprache zu bearbeiten? Und was nützt die reizvolle und
erkenntnisfördernde Differenz zwischen Objekt- und Metasprache,
wenn französischsprachige Germanistik im deutschsprachigen Raum
letztlich nicht rezipiert wird? Vor allem aber: Steht am Ende der
Selbstübersetzung wirklich eine Übersetzung und nicht viel eher ein
neues Original? Ausgehend von diesen Fragen wird der Trugschluss
diskutiert, dass die Identität von Autor*in und Übersetzer*in
größtmögliche Deckung zwischen Original und Übersetzung
gewährleiste. Vielmehr bietet die Übersetzung eigener Texte größere
Freiheiten als die fremder, indem sie ein stetiges Um- und
Andersschreiben der eigenen Gedanken erlaubt. Aus Selbstübersetzung
wird so Selbstexperiment, in dem sich das schreibende Ich in ein
anderes übersetzt, das sich je nach Kontext neu verorten muss. Das
geschieht mal freiwillig, meist jedoch aus Notwendigkeit.
Interessant wird es besonders dann, wenn in der Selbstübersetzung
die hegemoniale Wissenschaftssprache verlassen wird, wie bei Luther
das Lateinische oder bei den Gebrüdern Humboldt das Französische.
Umgekehrt ist gerade in der heutigen globalisierten
Wissen(schaft)slandschaft ein Zwang zum Forschen und Schreiben in
der ›Leitsprache‹ festzustellen, die als reine ›Arbeitssprache‹
vermeintlich neutrales Kommunikationsmedium ist. Bei den
untersuchten und selbst erprobten Selbstübersetzungen rückt jedoch
gerade die sprachliche Verfasstheit und damit verbundene
Sprachabhängigkeit allen Wissens in den Vordergrund. Denn mit einem
Sprach- geht oftmals ein Registerwechsel einher, ein Übergang in
eine andere Wissenskultur und mit ihm ein Wissenstransfer. ————————
Die Germanistin Karine Winkelvoss lehrt an der Universität Rouen.
Von 2015–2018 war sie mit dem Projekt »Poetik der Pathosformel.
Beitrag zu einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft«
Forschungsstipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung am ZfL.
Stefan Willer ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der
Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2010–2018 war er
stellvertretender Direktor des ZfL, wo er unter anderem das
Forschungsprojekt »Übersetzungen im Wissenstransfer« leitete.
www.zfl-berlin.org

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