„Die erschütterte Republik – Verliert Deutschland seinen gesellschaftlichen Zusammenhalt?“ - mit Joachim Gauck und Juli Zeh
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vor 8 Monaten
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck stellt klar, dass er
„den apokalyptischen Grundton“ meines provokativen
„Eingangsstatements so nicht teile. Wenn ich das höre, denke ich,
was will ich, Selbstmord oder einen Führer. (..) Wenn man die
Angst, wie es in Deutschland einige tun, zu einer Nationalkultur
erhebt, dann ist Zukunft weit weg. (..) Ich musste über 70
werden, als ich zum ersten Mal mit Blick auf das Land das Wort
Stolz in den Mund genommen habe, nicht Stolz, wie die Rechten
sagen (..), sondern ich bin stolz auf DIESES so gewordene
Deutschland, das sich aus diesem tiefsten Fall heraus zu einer
beeindruckenden Form von Rechtsstaatlichkeit, von Rechtstreue der
Bevölkerung, von Schaffung von Wohlstand… und von der
Friedenspolitik, dass wir überall Freunde haben um uns herum, vom
Abschied von preußischer Arroganz.“ - Ein stolzer
Verfassungspatriot also? - „Ja und wir brauchen zu diesem
Verfassungspatriotismus, der für intellektuelle Menschen ganz
wesentlich ist, einen Raum. Tucholsky hat Heimat einmal so
benannt: Es gibt Situationen, da sagst du DU zu dem Ort, wo du
bist“.
Die Schriftstellerin Juli Zeh ergänzt: „Es sind nicht nur die
Bäume und die Meere und die Felder, die dieses Gefühl, Du sagen
zu können zu seinem Land, befördern, sondern es muss so eine Art
stumme, ungeschriebene Vereinbarung noch dazu kommen, die eben
nicht in der Verfassung niedergelegt ist (..) so in einer Art
vorpolitischem Raum. Es gibt diesen tollen und ganz gruseligen
Satz vom Verfassungsrichter Böckenförde: ‘Die Demokratie beruht
auf Voraussetzungen, die sie selber nicht schaffen kann‘.( ..) Es
ist so etwas wie eine stumme Einverständniserklärung, dass wir
als Bürger dieses Landes ein sich selbst verwaltendes Kollektiv
sind, das irgendwie zusammengehört. Und das ist so etwas wie der
Punkt, an dem wir zurzeit spüren, (..) dass so eine Art Erosion
einsetzt, dass viele Leute anfangen, sich un-beheimatet zu
fühlen. Was darauf aber auf keinen Fall die Antwort sein kann,
sind konkurrierende Apokalypseerzählungen (.. als) Versuch, sehr
komplexe Dinge einfach zu machen. (..) Wenn ich eine
Apokalypse habe, dann ist die Analyse fertig und dann ist auch
die Frage, was muss sich denn tun, schon beantwortet: die Antwort
ist dann: alles und um jeden Preis.“
Nach Gauck gehe es „um „Menschen, die Angst haben, nicht mehr
beheimatet zu sein dort, wo sie leben. Dann entstehen
Suchbewegungen (..) und dann geht es nach rechts außen und dort
werden dann diese Ängste bewirtschaftet“. In „einer sich
fortentwickelnden Moderne ist es eine Unbehaustheit dessen, der
behaust sein will, der Verlust des Vertrauten. (..) Man hat zu
wenig gearbeitet am ideellen Wert der Dinge und sich stark darauf
verlassen, dass dieses Wachstumsversprechen genug Bindungswirkung
und Strahlkraft hat.“
Gauck zitiert Wilhelm Busch: „‚Nur was wir glauben, wissen wir
gewiss‘. (..) Das so zu erzählen, dass es eine persönliche wie
politische Beheimatung bietet, das ist die Aufgabe derer, die die
Zeiten zu deuten haben. - Dazu Zeh: „Was halt nicht gut ist, wenn
man versucht, (..) diesen Glauben an genau dieses Wertefundament
in gewisser Weise zu erzwingen oder zumindest zu befördern, indem
man ihm eine Feinderzählung gegenübersetzt“. Es brauche „eine
positive Erzählung, um den Menschen wieder klarzumachen: Kuck
doch, wir sind doch eine Rechtsgemeinschaft und es gibt
Bedrohungen, wir müssen uns zusammenschließen, wir müssen das
verteidigen“.
Schließlich gehe es, so Juli Zeh weiter, darum, „uns zu erlauben,
einfach mal zu sehen, was gut ist, die Zeitfenster grösser
fassen, die humanistische Fortschrittserzählung, nicht die
ökonomische, die sich nicht über 20, sondern über 200 oder 300
Jahre erstreckt: Es ist tatsächlich so, so Vieles besser geworden
und es steht nirgendwo geschrieben, dass das jetzt an einen
Endpunkt gelangt ist. Es ist ein narzisstischer Reflex zu sagen,
wir sind aber die letzten, es kann nicht mehr besser werden als
das, was wir waren“.
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