Wer ist noch zuständig für Wahrheit? - Wie kann sich der Journalismus in einer von Sozialen Medien geprägten Öffentlichkeit behaupten? – mit Judith Wittwer und Claus Kleber

Wer ist noch zuständig für Wahrheit? - Wie kann sich der Journalismus in einer von Sozialen Medien geprägten Öffentlichkeit behaupten? – mit Judith Wittwer und Claus Kleber

50 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Bisher waren professionalisierte Medien als vierte Gewalt im
Staat die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Die
Sozialen Medien haben diese Öffentlichkeit aber radikal verändert
und parallele Informationsräume mit ihren eigenen Wahrheiten und
Fake-news geschaffen. Von daher stellen sich die Fragen: Kommt
uns die Wahrheit abhanden? Was ist Wahrheit? - „Wir haben es“, so
Judith Wittwer, die Chefredakteurin der Süddeutschen
Zeitung, „zunehmend mit Menschen zu tun, die sagen, das ist
ja alles Ansichtssache, wissenschaftlich erhärtete Fakten werden
in Frage gestellt. (..) Aber Meinung ist kein Faktum (..) Unsere
Aufgabe ist, (..) den Menschen die Instrumente in die Hand zu
geben, um sich ihr eigenes Bild zu machen und auf der Basis von
Fakten diese Suche nach der Wahrheit voranzutreiben. (..) Je
komplexer die Welt ist, desto grösser das Bedürfnis, Übersicht
und Orientierung zu bekommen. (..) Es gibt ein enormes
Informationsbedürfnis (..) Nicht nur für Information, sondern für
diese Einordnung, die Hintergründe, die Reportage. (..) Die SZ
hat heute mehr Abonnentinnen und Abonnenten denn je.“

„Was mich bei aller Zuversicht sehr beunruhigt“, wendet der
frühere ZDF-Nachrichtenmoderator Claus
Kleber ein, sei, dass “ein punktuelles, anekdotisches Wissen
zu spektakulären Vorgängen vielen Menschen ausreicht, um sich
ihre Meinung zu bilden“, ohne traditionelle Medien zu benützen.
Trotzdem sieht er keine Ablehnung der professionellen Presse und
des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: „Offensichtlich gibt es
auch unter den jungen Leuten, die uns nicht sehen, das Gefühl,
dieses Land ist schon besser dran, wenn ein Goldstandard für
Information immer im Raum ist. (..) Man weiss, da gibt’s noch
eine Stelle, die achtet drauf, dass das nicht ausartet, dass die
Regierung uns nicht erzählen kann, was sie will“.

„Das wirklich Neue“ durch die sozialen Medien sei aber, so Claus
Kleber, „die normative Kraft der Lüge. (..) Der
Kontrollmechanismus braucht zu viel Zeit, im Moment ist die hohe
Geschwindigkeit der Lüge durch diese Reizbetonung zu einem ganz
entscheidenden Machtfaktor geworden“, und „dass dann ganz viele
vernünftige Leute sagen, man weiss ja gar nicht, was man da noch
glauben soll, und das reicht.(..) Das hat Hannah Arendt
festgestellt: Die Potenz des totalitären Staates, mit seiner
Propaganda zu lügen, ist nicht, dass die Leute die Lüge glauben,
sie liegt darin, dass die Leute gar nichts mehr glauben. Und ein
Volk, das nicht mehr weiss, was es denken soll, ist
handlungsunfähig. Mit ihm kann ein autoritärer Herrscher machen,
was er will. Donald Trump hat bis heute diese Waffe in der Hand
und nutzt sie.“

Trotzdem sind beide zuversichtlich für das künftige
Zusammenwirken des professionellen Journalismus mit den sozialen
Medien. „Auch wenn“, so Judith Wittwer, die Öffentlichkeit „halt
noch fragmentierter sein wird, (..) bin ich sehr wohl
optimistisch, dass wir unverändert ein Publikum finden werden und
das wird nicht zwingend immer älter werden (..) Aber ich sehe
schon, dass wir viele nicht erreichen werden, und dass diese
Kluft und diese Polarisierung fortschreiten.“  

Auch Claus Kleber ist optimistisch, „wenn wir die Qualität
unserer Leistung in die neuen sozialen Medien (..) einbringen für
Menschen, die sich ausschliesslich im Internet informieren und
diese kuratierten Produkte wie das Heute Journal oder die
gedruckte SZ nicht mehr abfragen.“ Dafür gelte es, einen neuen
„Biotop zu entwickeln (..), der der Öffentlichkeit gehört, einen
Public Space, für jeden zugänglich (..), und das so schnell und
so erfolgreich aufzubauen. (..) Da freue ich mich zu merken, dass
da die Ressourcen und die Gedanken hingehen, denn ohne das hätten
wir keine Zukunft. Aber ich glaube, die haben wir, weil wir das
rechtzeitig erkannt haben.“

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