Polen nach der Wahl: Kann Donald Tusk die Spaltung der Gesellschaft überwinden und das Land zum europäischen Rechtsstaat zurückführen? - mit Karolina Wigura und Janusz Reiter

Polen nach der Wahl: Kann Donald Tusk die Spaltung der Gesellschaft überwinden und das Land zum europäischen Rechtsstaat zurückführen? - mit Karolina Wigura und Janusz Reiter

41 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Wahlsieg von Donald Tusk war eine Überraschung. Die
Wahlbeteiligung, so die polnische Soziologin Karolina
Wigura, war mit fast 75% viel höher als bei den ersten freien
Wahlen nach dem Ende des Kommunismus. Dazu haben sich zum ersten
Mal die jüngsten Wähler und Wählerinnen, die „schon als
Mitglieder der Europäischen Union geboren wurden und eine ganz
andere Haltung zum vereinigten Europa haben“, stärker beteiligt
als die älteste Generation. - Vor allem für die Opposition, so
Janusz Reiter, der frühere polnische Botschafter in
Deutschland, war dies „eine Schicksalswahl. (..) Viele haben
verstanden, dass es in dieser Wahl auch um sie geht“. Dabei sei
die Abtreibung für die junge Generation und die Frauen eine Frage
gewesen sei, „in der sie die Politik hautnah“ erleben. Tusk, so
Wigura, sei es letztendlich gelungen, „die Vision zu schaffen,
dass es möglich ist, in einem besseren Polen zu leben“.

Die Machtablösung werde sich aber, so Wigura,
höchstwahrscheinlich in die Länge ziehen. Trotzdem, so Reiter,
sei, „das Schlimmste, was manche befürchteten, nicht geschehen,
dass es nämlich in Polen eine Entwicklung geben könnte wie in
Amerika, wie ein Sturm auf das Parlament (..) Das ganze Spiel
findet jetzt hinter geschlossenen Türen statt“. Dabei werde es
Versuche der Wahlverlierer geben, „doch eine Mehrheit zu
schaffen“, die PIS bleibe ja stärkste Partei. „Der Versuch wird
fehlschlagen. (..) Das ganze wird aber die Freude über den
Wahlsieg verderben.(..) Das wird das Misstrauen vieler Menschen
in die Politik verstärken“. Präsident Duda, so Reiter weiter,
werde es „der neuen Regierung schwer machen. (..) Wie es heute
aussieht, wird er eher eine harte Linie fahren (..) Polen
regieren wird keine einfache Sache in einem polarisierten,
geteilten Land wie in Amerika“. Obama und Biden hätten
versprochen, „das Land zu einigen, aber das Land ist heute nicht
geeinigt“.

Ist ein Rückbau zum Rechtsstaat möglich? „Es geht nicht um
die Rückkehr zum Polen von 2015“, so Wigura, „sondern es geht
darum, alles so zu gestalten, dass wir nicht wieder eine Rückkehr
zum Populismus haben.“ – Auch für Reiter gehe es „nicht um die
Rückkehr zu einem vermeintlichen Goldenen Zeitalter. Es geht um
etwas Neues.“ Es gehe auch darum, dass „die Wähler der PIS sich
nicht so fühlen, als wären jetzt die Racheengel gekommen“. „Polen
bedeutet Spaltung“, so Wigura, „Spaltung und Polarisierung ist
unsere Geschichte. (..) Der Populismus funktioniert nur mit
Polarisierung, die er verstärkt. Aber damit könnten wir aufhören,
das könnte verschwinden. Ob Tusk dazu fähig ist, ich habe meine
Zweifel. Auch er hat immer mit dieser Polarisierung gespielt. Ob
er sich verändern kann, um die Wähler der PIS zu diesem neuen
Polen einzuladen, ich bezweifle das. Das ist die größte Aufgabe
nebst der Reparatur der Institutionen, um einen Wandel zu
erzielen. Sonst werden wir in vier Jahren, vielleicht schon
früher wieder einen Wechsel haben“.

Janusz Reiter ist „zuversichtlich, dass es der neuen Regierung
gelingt, die uns zustehenden Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds
zu erhalten“, weil Brüssel wisse, „dass diese neue Regierung es
ernst meint mit der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit.“.
Polen könne sich jetzt wieder in die europäische Politik
einbringen. Dafür erwartet Wigura aber von Deutschland, aus
der „osteuropäischen und mitteleuropäischen Geschichte zu lernen
und die Stereotypen zu überwinden gegenüber Osteuropäern und
gegenüber Polen“. Reiter ergänzt dazu: „Wenn ich einen Traum
haben könnte, (..) dann, dass der Begriff Osteuropa aus unserer
Diskussion verschwindet“, oder dass er „ersetzt würde durch
Mitteleuropa oder Ost-Mitteleuropa, das wäre auch schon
hilfreich, (..) weil die Benützung des Begriffes Osteuropa ein
bisschen auch die Weigerung ausdrückt, zu differenzieren und die
Unterschiedlichkeit der verschiedenen Länder und ihrer Probleme
im ganzen Raum östlich von Deutschland zu verstehen“. 

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