Haben wir eine Chinastrategie? - Mit Wolfgang Ischinger und Janka Oertel
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vor 1 Jahr
Mit dem langjährigen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
Wolfgang Ischinger und Janka Oertel, Verfasserin
des Buches „Ende der Chinaillusion“, diskutiere ich über eine
europäische Antwort auf die chinesische Herausforderung. Wolfgang
Ischinger stellt fest, dass Länder wie Deutschland „massive
wirtschaftspolitische, handelspolitische, Investitionspolitische
Interessen mit und in China haben“ und die „Sichtweise innerhalb
der 27 EU-Mitgliedstaaten zum Thema China ganz sicherlich nicht
einheitlich“ sei. Deshalb sei eine Chinastrategie notwendig, „die
die Mitgliedstaaten geradezu verpflichten, China gegenüber (..)
aber auch über China beispielsweise mit den USA mit einer Stimme
zu sprechen„. Dafür bestehe, so Oertel, „eine unglaubliche
deutsche Verantwortung, hier eine Vorreiterrolle
einzunehmen.“
Auch die Beziehungen mit den USA werden, so Ischinger, in
Zukunft von der Chinafrage geprägt. Er fordert deshalb besonders
für die Taiwanfrage „ein höchstrangige
Konsultationsmaschinerie (..), um sicherzustellen, dass
unsere europäische Stimme, so wie wir sie denn hätten, in
Washington erstmal ernsthaft zur Kenntnis genommen werden
müsste“, damit „wir uns nicht gegenseitig strategische
Überraschungen präsentieren.“ Denn, so Oertel, die Amerikaner
würden „einseitige Entscheidungen treffen, sofern die Europäer
nicht in der Lage dazu sind, mit einer gemeinsamen Antwort zu
kommen.“
Kann China noch ein Partner sein? „Ich glaube nicht“, so
Oertel, „dass es noch eine Frage gibt, in der wir echte Partner
noch sein können“. Sie glaube aber, „dass wir sehr wohl mit China
zusammenarbeiten können, in verschiedenen Feldern, weil es auch
Interessenskongruenzen geben wird. Aber wir sind keine Partner
mehr, auch als chinesischer Perspektive werden wir nicht als
Partner betrachtet. Chinas Partner ist momentan Russland (..) Die
Hebelwirkung, die wir haben gegenüber China ist aber gerade
grösser, als sie noch vor ein zwei Jahren war. Wir sind
eigentlich immer noch in einer Position relativer Stärke. Wir
nutzen das nur nicht aus, und die Zeit spricht auf lange Sicht
gegen uns. Wenn wir ein Einhalten von Regeln wollen, dann müssen
wir die mit Sanktionsmassnahmen belegen.“
Also klare Kante gegen China, obwohl eine Million deutscher
Arbeitsplätze vom chinesischen Markt abhängen? Oertel hat
Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Man dürfe nicht „aus der Gegenwart in die Zukunft eine Realität
extrapolieren, die es nicht geben wird“ weil „dieser Markt in
weiten Teilen immer weiter zusammenschrumpft“, wie das
chinesische Siemens Geschäft im Windbereich zeige, in dem „sie
keine Chancen mehr haben gegen lokale Konkurrenten. Ein Markt,
der möglicherweise gegen null geht, den können und müssen wir
ersetzen weltweit.“
Ist ein europäisches Umdenken möglich? Der Krieg in der
Ukraine habe gezeigt, so Oertel, „dass wir in der Lage sind zu
handeln, wenn wir die Dringlichkeit verstanden haben.“ Seit den
90er Jahren habe sich Deutschland außenpolitisch, so Ischinger,
„in eine Liebesaffäre mit dem Status quo begeben. Diese
Liebesaffäre ist jetzt erkennbar vorbei, aber es gibt leider in
unseren politischen Eliten Leute, die sich sehr schwertun (..)
Man hängt immer noch ein bisschen dran, das ist unser Problem
(..) Wenn wir bereit sind zu verstehen, dass sich die Welt vor
unseren Augen dramatisch verändert, dann taucht folgende Frage
auf, wann war es das letzte Mal, dass Deutschland bei der Frage
der Gestaltung des europäischen Integrationsprojekts eine grosse
Initiative vorgelegt hat. Das letzte Mal war 1989 die Idee des
Euro. Seither gibt es keine deutsche oder deutsch-französische
grosse europäische Initiative (..) Es ist höchste Zeit, dass
Deutschland ihre natürliche Führungs- oder Mitführungsrolle in
Europa als solche begreift (..) und Initiativen mit-anstößt, um
die EU wetterfest zu machen (..) Das können wir nicht Estland,
Portugal und Malta überlassen“.
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