Wird Europa bis 2050 klimaneutral? - Mit Günther Oettinger und Susanne Nies

Wird Europa bis 2050 klimaneutral? - Mit Günther Oettinger und Susanne Nies

41 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

2019 legte die EU mit dem „Green Deal“ das Ziel fest, Europa
bis 2050 klimaneutral zu machen. Bis 2030 sollen dafür die
Treibhausemissionen im Vergleich zu 1990 um 55% reduziert werden
(„fit for 55“). Im Zentrum steht der Energiesektor, der heute für
3/4 der Schadstoffemissionen verantwortlich ist. Putins Krieg hat
das ambitiöse Ziel zusätzlich belastet. Für den Ausstieg aus
fossilen Brennstoffen (heute 70% der Primärenergie) soll bis 2035
die EU-Stromproduktion um ein Drittel gesteigert und bis 2050
sogar verdoppeln werden. Das verlangt einen massiven Ausbau des
Stromanteils am EU-Energiemix von heute einem Viertel auf 60% bis
2050.

Wie – oder ob – die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden
kann, diskutiere ich mit Günther Oettinger, dem früheren
Vizepräsidenten der EU-Kommission und EU-Energie-Kommissar, und
der Politikwissenschaftlerin, Energie- und Klimafachfrau
Susanne Nies. Beide äussern sich trotz vieler offener
Fragen zuversichtlich.

Als europaweites Projekt hängt Klimaneutralität von der
koordinierten Lösung zahlreicher wirtschaftlicher, technischer,
administrativer und politischer Probleme ab. Das alles
funktioniere, so Oettinger, „nur europäisch, es gibt viel zu
viele nationale Alleingänge und Egoismen“.

Zu vier der diskutierten Problemfelder:

Heizen verursacht 1/6 des CO-2-Aussstosses in Deutschland.
Deshalb ist geplant, die Zahl der energetischen
Gebäudesanierungen bis 2030 zu verdoppeln und Heizungen auf
Wärmepumpen umzustellen. Die Heizungsdebatte sei deshalb, so
Nies, „absolut richtig, aber die Art wie es vermittelt wurde, war
eine absolute Katastrophe, das kam rüber als Verbot.“ Deshalb
argumentiert auch Oettinger generell für „marktwirtschaftliche
Lösungen im Regelfall“, insbesondere durch eine CO-2-Bepreisung
(ETS) und für „Gebote und Verbote nur im Ausnahmefall.“

Das Übertragungsnetz wird zu einem zentralen
Engpass des Energieumbaus. „Die Effizienz unserer Stromnetze ist
eine Katastrophe, weil Technologien nicht eingesetzt werden, um
Stromnetze optimal zu nutzen“, so Nies. Entscheidend für die
Konsumsteuerung seien Smart-Meters, damit der Verbrauch in
Kenntnis der Kosten erfolgt. „Wie kann es denn sein, dass in
diesem Land alle Stromzähler fast alle analog sind.“ Auch
Oettinger kritisiert: Durch den Ausbau der Wärmepumpen und
E-Mobilität werden „unsere Bestandsnetze in den Städten und
Gemeinden völlig überlastet.“ Für den grenzüberschreitenden
Stromaustausch ist Oettinger hingegen optimistischer: „Wir sind
heute viel weiter als vor 20 Jahren“, das habe sich vor allem in
der Zusammenarbeit mit Frankreich im letzten Winter
gezeigt.

Energie-Binnenmarkt und Ukraine: Ein erfolgreicher „Green
Deal“ verlangt die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Da sei, so
Nies, „schon sehr viel passiert (..) Europa ist immer dann
vorangekommen, wenn es eine grosse Krise gab.“ Als eindrückliches
Beispiel führt Oettinger die Ukraine und die „grandiose
Ingenieurleistung (auf), dass man mitten im Krieg die Integration
ins europäische Stromnetz geschafft hat und es funktioniert.“
Trotz der russischen Angriffe, glaube er, „dass die Ukraine in
diesem Krieg bezüglich Strom und Gas keinen grossen Schaden
nehmen wird“. Trotzdem, so Nies, „sind die grossen Umspannwerke
kaputt (..) und wir sehen in der Ukraine 500´000
10-MW-Dieselgeneratoren und das ganze Land stinkt nach
Diesel“.

Ohne Rahmenabkommen bleibt die Schweiz ohne Stromabkommen.
Das gefährdet die Versorgungssicherheit und führt zu hohen
Kosten. Das ausgehandelte und dann von Bern abgelehnte
Rahmenabkommen sei, so Oettinger, eine Chance, ein Zeitfenster
gewesen, „das Zeitfenster ist zu. Bis zu den europäischen Wahlen
(Juni 2024) wird gar nichts mehr geschehen. (..) Mit gutem Willen
könnte man 2025 ein Rahmenpaket mit einem Stromabkommen
beschliessen. Besser spät als nie.“ Bis dann „Notlösungen,
Übergangslösungen, kein effizientes Europa“. 

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